Sean Kelly über Paris-Roubaix 2025: Van der Poels Instinkt, Pogacars Mut und Pedersens Pech

Radsport
durch Nic Gayer
Dienstag, 15 April 2025 um 15:00
sean kelly
Wenn jemand weiß, was es braucht, um bei den Frühjahrsklassikern zu bestehen, dann Sean Kelly. Der inzwischen 68-jährige Ire hat nahezu alles gewonnen, was der Radsport zu bieten hat: Paris-Roubaix, Mailand–Sanremo, Etappen bei der Tour de France, die Vuelta a España – nur die Flandern-Rundfahrt fehlt in seinem beeindruckenden Palmarès. Umso aufmerksamer lauscht man seinen Worten, wenn er die Gegenwart des Klassikersports kommentiert.
In seiner jüngsten Kolumne wirft Kelly einen kritischen Blick auf das Paris-Roubaix 2025 – ein Rennen, das erneut von Mathieu van der Poel geprägt wurde. Doch im Fokus seiner Analyse stehen auch Tadej Pogacars mutiges Debüt, Mads Pedersens unglücklicher Auftritt und die Frage nach Wout Van Aerts Formkurve.

Pogacar: Mutig, aber entscheidend gepatzt

Für viele Fans war es das Highlight des Frühjahrs: Tadej Pogacars erstes Antreten bei Paris-Roubaix – als amtierender Tour-de-France-Sieger, was seit Jahrzehnten keinem Fahrer mehr gelungen war. Pogacar hatte bereits die Flandern-Rundfahrt, Il Lombardia und Lüttich–Bastogne–Lüttich gewonnen. Doch Kelly sieht in Pogacars Sturz in einer Kurve den entscheidenden Wendepunkt des Rennens – und eine verpasste historische Chance.
„Wenn Pogacar genau in dem Moment zur Stelle gewesen wäre, als van der Poel sein Defekt ereilte, hätte er das Rennen gewonnen“, urteilt Kelly. „Er hätte in den Zeitfahrmodus schalten können – in Roubaix reicht das, um mit letzter Kraft ins Ziel zu kommen.“
Gleichzeitig nimmt Kelly Pogacar nicht aus der Verantwortung. „Es war ein großer Fehler. Van der Poel fährt technisch so stark, er kann wahrscheinlich auf Eis durch die Kurven – da darf man sich keine Patzer leisten.“ Und doch lobt Kelly den Slowenen für seinen Mut: „Er ist der Typ Fahrer, der Risiken eingeht – ob mit einer Attacke 70 Kilometer vor dem Ziel oder in einer gefährlichen Kurve. Dieses Mal hat es nicht funktioniert.“
Trotz des zweiten Platzes bleibt Kelly überzeugt: Pogacar wird Roubaix irgendwann gewinnen. „Es ist nur eine Frage der Zeit. Wenn die Bedingungen passen – trocken, aber nicht staubig – wird er zuschlagen. Ich wäre überrascht, wenn er nächstes Jahr nicht zurückkommt.“

Van der Poel: Taktisches Genie auf zwei Rädern

Während Pogacar auf der Strecke blieb, fuhr van der Poel mit einer weiteren Machtdemonstration zu seinem dritten Sieg in Roubaix. Für Kelly liegt das Geheimnis nicht allein in der physischen Überlegenheit des Weltmeisters: „Sein Handling, seine Linienwahl, sein Gespür für den richtigen Moment – van der Poel macht alles ein kleines bisschen besser. Und genau das summiert sich zu diesem entscheidenden Vorsprung.“
Auch wenn der Niederländer in den entscheidenden Momenten oft vom Glück begünstigt scheint, glaubt Kelly: „In Roubaix ist man seines Glückes Schmied. Van der Poel liest das Rennen brillant, er vermeidet Situationen, die andere zu Fall bringen. Das ist Können, nicht Zufall.“

Pedersen: Der große Pechvogel

Einer, der das Drehbuch beinahe umgeschrieben hätte, war Mads Pedersen. „Er hat das Rennen von Anfang an animiert“, sagt Kelly. „Seine Attacken im ersten Sektor zeigten, dass er an sich glaubte – und ich dachte nur: Wird er dafür bezahlen? Leider kam es nicht durch seine Beine, sondern durch einen Reifenschaden.“ Kelly bedauert besonders, dass dem Dänen so die Chance verwehrt blieb, sich mit van der Poel und Pogacar direkt zu messen.

Van Aert: Mehr Ausdauer als Explosivität?

Auch Wout Van Aert kommt in Kellys Analyse nicht ungeschoren davon. Nach seinem schweren Sturz bei Dwars door Vlaanderen musste der Belgier sowohl Flandern als auch Roubaix verletzt auslassen – und das in einer Saison, in der seine Form ohnehin Fragen aufwirft.
„Van Aert hat in den letzten Rennen an Punch eingebüßt“, sagt Kelly. „Wenn es in den entscheidenden Momenten zur Sache geht, fehlt ihm der letzte Kick. Vielleicht ist das eine natürliche Entwicklung – mehr Ausdauer als Explosivität im späteren Karriereverlauf.“ Für Kelly bleibt Van Aert zwar ein Weltklassefahrer, „aber nicht mehr mit der Präsenz, die man bei den Klassikern zum Siegen braucht.“
Klatscht 0Besucher 0
Schreiben Sie einen Kommentar