Giro-Debatte nach Woche 2: Del Toro immer stärker – Latinos im Aufwind, doch gefährden die UAE den mexikanischen Traum in Rosa?

Radsport
Montag, 26 Mai 2025 um 14:27
del toro ayuso
Am Ruhetag des Giro d’Italia lohnt sich ein Blick zurück auf die Ereignisse der zweiten Woche – eine Phase, in der sich zwei klare Konstanten herauskristallisierten: ein dominantes Team und ein herausragender Fahrer.
Lidl-Trek präsentierte sich in absoluter Topform und sicherte sich drei der sechs möglichen Etappensiege – ein beeindruckender Wert, der die Ausgeglichenheit und Angriffslust der Mannschaft unterstreicht.
Doch auch in der Gesamtwertung gab es eine klare Figur: Isaac del Toro. Der junge Mexikaner übernahm in Siena das Maglia Rosa – und verteidigte es seitdem nicht nur souverän, sondern baute seinen Vorsprung sogar noch aus. Sein Auftritt in der zweiten Woche war ein weiteres Statement eines Fahrers, der immer mehr wie der legitime Gesamtsieger wirkt.

10. Etappe

Die Woche begann mit einem Einzelzeitfahren, das von vielen als vorentscheidend für die Gesamtwertung eingeschätzt wurde – und doch sorgte es für einige Überraschungen. Der Tagessieg ging völlig unerwartet an Daan Hoole, der bei seiner ersten Grand Tour überhaupt direkt einen bleibenden Eindruck hinterließ.
Bester Fahrer aus dem Kreis der Klassementaspiranten war Derek Gee, der einmal mehr seine Vielseitigkeit unter Beweis stellte. Auch Primoz Roglic, Juan Ayuso, Thymen Arensman und Simon Yates zeigten starke Leistungen gegen die Uhr und festigten ihre Positionen im Gesamtklassement.
Die größten Verlierer des Tages waren Egan Bernal und Richard Carapaz, die Zeit einbüßten – doch der Rückstand hielt sich in Grenzen und ist im Kontext der kommenden Bergetappen noch kein Grund zur Sorge.

11. Etappe

Die 11. Etappe brachte einen ersten Vorgeschmack auf das, was in den Bergen noch bevorsteht – und entwickelte sich zu einem lebhaften und spannenden Tag. Richard Carapaz zeigte eine echte Meisterleistung: Neun Kilometer vor dem Ziel setzte er zur Attacke an und begann, einen Teil der Zeit gutzumachen, die er im Zeitfahren eingebüßt hatte.
Auch Isaac del Toro nutzte die Gelegenheit. Der Mexikaner, mittlerweile bekannt als „Mr. Bonifikation“, gewann den Sprint um Platz zwei in der Favoritengruppe – und sicherte sich dadurch wertvolle sechs Sekunden im Gesamtklassement. Kleine Gewinne, die sich im weiteren Rennverlauf noch als entscheidend erweisen könnten.

12. Etappe

Der einzige reine Sprint der Woche ging an Visma und Olav Kooij, der mit einem perfekten Wurf von Wout Van Aert in Viadana gewann und damit seinen ersten Sieg in dieser Ausgabe errang. Es war auch der dritte Sieg für die Niederländer in dieser Ausgabe, eine Nation, die eindeutig im Rampenlicht steht.

13. Etappe

Pedersen hatte seit einer Woche nicht mehr gewonnen – und für einen Fahrer mit Galaktiker-Ambitionen war das bereits eine kleine Durststrecke. Doch auf der 13. Etappe schlug der Däne eindrucksvoll zurück – mit seinem bislang stärksten Auftritt bei diesem Giro d’Italia!
Der Etappensieg in Vicenza war spektakulär. Die Zielankunft erinnerte mit ihren brutalen Rampen stark an Klassiker wie die Mur de Huy oder die Mur de Bretagne. 200 Meter vor dem Ziel setzte sich das Maglia Ciclamino unwiderstehlich ab – und ließ sich selbst von einem kraftvollen Schlusssprint von Wout van Aert nicht mehr einholen.
Isaac del Toro sicherte sich erneut Bonussekunden: 4 Sekunden durch die Platzierung und weitere 3 durch seine aktive Fahrweise unterwegs – kleine Zeitgewinne, die im Kampf um das Maglia Rosa am Ende den Unterschied ausmachen könnten.

14. Etappe

Diese Etappe war eine echte Schinderei – und das war auch gut so! Lange Zeit bestimmten die Sprinterteams das Tempo und kontrollierten das Rennen, während eine kleine Ausreißergruppe vorneweg fuhr. Doch 23 Kilometer vor dem Ziel änderte sich schlagartig alles: Auf einem schmalen Kopfsteinpflasterabschnitt in einer Ortschaft kam es zu einem folgenschweren Sturz im vorderen Drittel des Pelotons.
Auch wenn nur wenige Fahrer direkt zu Boden gingen, blockierte der Vorfall große Teile des Feldes. Viele Fahrer waren auf der Straße eingeklemmt – ein Rückstand, den sie bis ins Ziel nicht mehr wettmachen konnten.
Das prominenteste Opfer: Giulio Ciccone. Der Italiener stürzte schwer, lag minutenlang am Boden, kämpfte sich dennoch tapfer ins Ziel – doch später wurde sein Ausstieg aus dem Rennen offiziell bestätigt.
Nur eine Handvoll Favoriten blieb an diesem Tag verschont und verlor keine Zeit: Derek Gee, Tom Pidcock, Richard Carapaz, Damiano Caruso, Einer Rubio, Isaac del Toro und Simon Yates.
Dramatik herrschte auch im Kampf um den Etappensieg: Kasper Asgreen stemmte sich erfolgreich gegen das anstürmende Feld der Sprinter und rettete wenige Sekunden Vorsprung ins Ziel – ein Sieg aus der Ausreißergruppe heraus, der sinnbildlich für den chaotischen Tag stand.

15. Etappe

Ein Vorgeschmack auf das, was in Woche drei bevorsteht! An einem Tag, an dem die Anstiege etwas weiter vom Ziel entfernt lagen, zögerten die Favoriten nicht lange – erste Attacken gab es bereits 93 Kilometer vor dem Ziel. INEOS bestimmte das Geschehen am Monte Grappa mit einem brutalen Tempo, ehe Egan Bernal die Initiative ergriff und angriff. Richard Carapaz und Isaac del Toro reagierten prompt, kurze Zeit später schlossen auch Thymen Arensman und Derek Gee zur Gruppe auf.
Doch der Ausreißversuch wurde von UAE Team Emirates vereitelt – nicht etwa aus taktischer Raffinesse, sondern aus Vorsicht. Juan Ayuso befand sich in der zurückliegenden Gruppe, und so entschied sich das Team für die defensive Variante und neutralisierte die Flucht. Ein weiterer Beleg dafür, dass UAE trotz Stärke immer wieder von internen Ambivalenzen gebremst wird.
Der Moment des Angriffs von Egan Bernal auf den Monte Grappa
Der Moment des Angriffs von Egan Bernal auf den Monte Grappa
Am nächsten Anstieg setzte Richard Carapaz zu mehreren Attacken an – ein-, zwei-, dreimal. Doch statt die Konkurrenz zu distanzieren, sorgten seine Tempoverschärfungen vor allem dafür, dass Primoz Roglic endgültig den Anschluss verlor und aus dem Kampf um das Gesamtklassement gedrängt wurde. Der Etappensieg ging an den „fuga de la fuga“: Carlos Verona triumphierte und sicherte Spanien den zweiten Etappenerfolg dieses Giros sowie Lidl-Trek den sechsten.

Ein Giro, der Spanisch spricht: Del Toro, Ayuso, Carapaz, Bernal

Nach 15 Renntagen führt Isaac del Toro die Gesamtwertung an – und wirkt dabei immer gefestigter, konstanter und mental stärker. Doch genau hier lauert auch die größte Gefahr: sein eigenes Team. Die interne Konkurrenz mit Juan Ayuso, der sich nach seiner Knieverletzung langsam erholt, könnte dem Mexikaner in den entscheidenden Etappen noch zum Verhängnis werden.
Zwischen den beiden UAE-Fahrern liegt mit Simon Yates ein Profi, der bislang kaum auffiel, aber mit 1:20 Minuten Rückstand Del Toros engster Verfolger bleibt. Die wohl größte Bedrohung geht jedoch von zwei Altmeistern aus: Egan Bernal und Richard Carapaz. Beide sind in guter Form, wissen, wie man in Woche drei eine Grand Tour gewinnt – und sie scheuen keine Attacke.
Beachten sollte man auch Derek Gee. Der Kanadier klettert unaufhörlich in der Gesamtwertung und liegt inzwischen auf Rang sechs. Roglic hingegen scheint endgültig außer Reichweite für das Podium – doch ein endgültiges Urteil bleibt abzuwarten. Noch verliert er Zeit, aber ein Platz in den Top 10 ist für den Slowenen zumindest wahrscheinlicher.

Italien wartet weiter auf den ersten Etappensieg

Eine kuriose Randnotiz: Italien hat bei diesem Giro bislang noch keine Etappe gewonnen. Zwar trug Diego Ulissi zwischenzeitlich das Maglia Rosa und Lorenzo Fortunato führt die Bergwertung an – doch trotz zahlreicher Top-10-Platzierungen fehlt der große Wurf. Mit Tiberi und Caruso sind allerdings noch zwei Italiener aussichtsreich im Rennen um das Podium – sie könnten dem Gastgeberland doch noch ein Happy End bescheren.
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