Die 15. Etappe des Giro d’Italia 2025 geriet für
Primoz Roglic zum Desaster. Der Star von Red Bull – BORA – hansgrohe, der vor dem Rennen als einer der großen Favoriten auf das Maglia Rosa galt, erlebte am Monte Grappa einen völligen Einbruch. Während sich die Gruppe der Klassementfahrer absetzte, kämpfte Roglic mit sich selbst – und war nicht einmal mehr in der Lage, dem Tempo seiner eigenen Helfer zu folgen. Ein schmerzhafter Anblick für alle Fans des fünfmaligen Grand-Tour-Siegers.
Lesen Sie die Einschätzung von Fin Major – Journalist und Autor bei cyclinguptodate.com
Ist der Giro für Roglic wirklich verloren?
Mit 1:30 Minuten Rückstand auf den Gesamtführenden Isaac del Toro erreichte Roglic das Ziel. Damit liegt der Slowene nun 3:53 Minuten zurück – nur noch auf Platz zehn der Gesamtwertung. Es war nicht nur ein schwacher Tag, sondern eine regelrechte Demontage. Die Fragen nach seiner Form, seiner Gesundheit und seiner Zukunft im Rennen wurden lauter. Und mit jedem Tag wächst die Spekulation: Wird Roglic den Giro nach dem zweiten Ruhetag überhaupt fortsetzen?
Primoz Roglic ist kein gewöhnlicher Fahrer. Seine Karriere ist gespickt mit Rückschlägen – und spektakulären Comebacks. Es wäre nicht das erste Mal, dass er aus scheinbar aussichtsloser Lage zurückschlägt. Ein Blick zurück zeigt: Roglic hat eine bemerkenswerte Fähigkeit, sich nach Rückschlägen neu zu formieren. Im Jahr 2024 stürzte er bei der Tour de France schwer, erlitt einen Wirbelbruch – und stand nur einen Monat später bei der Vuelta a España wieder am Start. Trotz eines Rückstands von fast fünf Minuten auf Ben O’Connor kämpfte er sich zurück, holte auf Bergetappen Zeit gut, überstand eine Zeitstrafe – und triumphierte auf der 19. Etappe mit einem Solo, das ihm seinen vierten Vuelta-Titel sicherte.
2022 musste er sich nach einem heftigen Sturz bei der Tour de France und einer ausgekugelten Schulter aus dem Rennen zurückziehen. Bei der Vuelta stieg er zwar wieder ein, doch ein später Sturz beendete seinen Traum vom Sieg. Dennoch: Dass er überhaupt wieder mitmischte, war ein Zeichen seiner mentalen Stärke.
Und auch 2021 gab er nach einem Sturz früh die Tour auf – nur um wenig später Olympiasieger im Zeitfahren zu werden und mit einem Rekordvorsprung die Vuelta zu gewinnen.
Die große Frage: durchziehen oder aussteigen?
2025 ist jedoch anders. Es ist das Jahr, in dem Roglic erstmals für BORA bei der Tour de France um Gelb kämpfen soll. Deshalb wiegt die Entscheidung schwerer. Sollte er den Giro durchziehen – trotz Schmerzen, trotz schwindender Chancen? Oder wäre es klüger, das Rennen zu beenden, sich zu regenerieren und bei der Tour voll anzugreifen?
Die letzten Bergetappen des Giro sind brutal. Und mit seiner angeschlagenen Physis könnte jeder Tag mehr Schaden als Nutzen bringen. Platz fünf wäre womöglich das Maximum – aber ist das den Kraftaufwand wert, wenn in sechs Wochen das wichtigste Rennen der Saison wartet?
Auf der anderen Seite lebt Roglic von Rhythmus. Ein vorzeitiger Ausstieg könnte mental demotivierend wirken – und der lange Zeitraum bis zur Tour vielleicht zu viel Pause bedeuten. Zumal es 2025 keine Vuelta-Rettung geben wird: Die Spanien-Rundfahrt ist diesmal keine Option mehr für ein Comeback.
Fazit: Roglic steht vor einer schwierigen Entscheidung
Er kann versuchen, in Italien noch etwas zu retten – oder sich frühzeitig auf das große Ziel im Juli vorbereiten. Beides birgt Risiken. Doch wenn seine Karriere eines gezeigt hat, dann das: Primoz Roglic ist nie abzuschreiben. Wo andere straucheln, steht er wieder auf. Ob das auch diesmal gelingt, werden die nächsten Tage zeigen – oder die Entscheidung, ob er sie überhaupt noch fährt.
Roglic weiß, wie man sich aus der Verzweiflung erholt
Ein DNF würde Roglic mehr als einen Monat Zeit geben – Zeit zur Erholung, zum Wiederaufbau und zur gezielten Vorbereitung. Für einen Fahrer wie ihn, der sich schon mehrfach in kürzester Zeit von schweren Verletzungen zurückgekämpft hat, wäre das mehr als ausreichend. Sollte ihn tatsächlich eine muskuläre oder knöcherne Verletzung plagen, wäre es jetzt klüger, zu stoppen, statt das Risiko einzugehen, den Schaden zu verschlimmern.
Wer Roglics Karriere kennt, weiß: Nach Rückschlägen folgt bei ihm oft ein neuer Aufschwung. Ein Ausstieg aus dem Giro würde es ihm ermöglichen, sich voll auf die Tour de France zu konzentrieren – jenes große Ziel, das ihm bislang noch fehlt. 2020 war er so nah dran wie nie zuvor. Dass er dieses Kapitel noch nicht abgeschlossen hat, steht außer Frage.
Nein, es sind nicht nur schlechte Nachrichten. Die Hoffnung auf den Giro-Gesamtsieg ist dahin, ja. Doch seine Saison ist es nicht. Ganz im Gegenteil – seine Geschichte lehrt uns, dass genau solche Tiefpunkte oft der Auftakt zu einem neuen Höhepunkt waren.
Wir haben das Roglic-Drehbuch schon oft gelesen. Und jedes Mal hat er es geschafft, das Ende neu zu schreiben. Geben Sie ihn nicht auf. Noch lange nicht.