ANALYSE: Was macht das Debüt von Tadej Pogacar bei Paris-Roubaix so besonders?

Radsport
durch Nic Gayer
Donnerstag, 27 März 2025 um 11:30
pogacar

Jetzt ist es offiziell: Nach wochenlangen Spekulationen hat das UAE Team Emirates - XRG bestätigt, dass Tadej Pogacar 2025 erstmals bei Paris-Roubaix an den Start gehen wird – und das im Regenbogentrikot des amtierenden Weltmeisters. Zudem wird er eine Woche zuvor die Flandern-Rundfahrt bestreiten. Damit steht den Radsportfans ein spektakuläres Frühjahr bevor: Ein dreifacher Tour-Sieger stellt sich der härtesten Herausforderung des Kopfsteinpflaster-Rennkalenders.

„Ich habe das Funkeln in seinen Augen gesehen“, verriet UAE-Sportdirektor Aart Vierhouten über den Moment, als Pogacar die Entscheidung traf. „Da wusste ich: Er will das wirklich.“ Laut Teamangaben wurde der Entschluss intern getroffen, ohne äußeren Druck. „Er sagte einfach: 'Ja, ich werde fahren.'“

Die große Frage lautet nun: Kann Pogacar Paris-Roubaix gewinnen? Die Antwort liegt irgendwo zwischen Historie, körperlicher Verfassung und taktischem Geschick. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie selten Tour-Sieger sich dieser Prüfung gestellt haben – und wie herausfordernd der Weg zum Erfolg ist.

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache

Nur wenige Tour-de-France-Sieger haben sich der Tortur von Roubaix gestellt. Der letzte Ex-Tour-Champion, der dort startete, war Bradley Wiggins 2015 – er wurde 18. Der letzte amtierende Tour-Sieger, der Roubaix bestritt, war Greg LeMond 1991. Bernard Hinault war 1981 der letzte, der sowohl Paris-Roubaix als auch die Tour gewann. Und der letzte amtierende Tour-Champion, der Roubaix für sich entschied? Eddy Merckx im Jahr 1973.

Seit über 50 Jahren hat also kein Tour-Sieger Paris-Roubaix gewonnen. Pogačar wagt sich damit in ein Terrain, das für Rundfahrt-Spezialisten traditionell ein Minenfeld ist. Doch wenn jemand bereit ist, Geschichte neu zu schreiben, dann er.

Kann Pogacar Roubaix erobern?
Kann Pogacar Roubaix erobern?

Pogacars größte Herausforderung: Das Monument Roubaix

Was Pogacars Teilnahme so außergewöhnlich macht: Er ist nicht nur ein Tour-Sieger, der sich an den Klassikern versucht. Er ist der dominierende Fahrer seiner Generation, startet im Regenbogentrikot und hat bereits drei Monumente gewonnen. Und er weiß genau, welches Risiko er eingeht.

Paris-Roubaix wird die dritte Etappe auf Pogacars ehrgeiziger Reise durch alle fünf Monumente sein – ein Unterfangen, das nur wenigen Fahrern gelungen ist. Zuletzt schafften es Magnus Sheffield 2023 und Matej Mohoric 2022, allerdings ohne Pogacars Ambitionen. Er ist nicht nur dabei – er will gewinnen.

Seine bisherigen Monument-Siege:

  • Flandern-Rundfahrt (2023)
  • Lüttich-Bastogne-Lüttich (2021, 2024)
  • Il Lombardia (2021, 2022, 2023, 2024)

Noch fehlen ihm Mailand-Sanremo – wo er 2023 und 2025 Dritter wurde – und Paris-Roubaix, das er noch nie bestritten hat. Sollte er beide gewinnen, würde er sich in eine exklusive Liste einreihen: Nur Rik Van Looy, Eddy Merckx und Roger De Vlaeminck haben alle fünf Monumente gewonnen.

Doch der Weg nach Roubaix ist gepflastert mit Chaos, Stürzen und einem gewissen Mathieu van der Poel.

Warum ist Paris-Roubaix so riskant?

Im Gegensatz zu anderen Rennen entscheidet hier nicht die reine Wattzahl. Erfolg hängt von Kontrolle, Positionierung und Glück ab. Über 50 Kilometer Kopfsteinpflaster, darunter die berüchtigte Trouée d'Arenberg, Mons-en-Pévèle und das Carrefour de l'Arbre, machen das Rennen zu einem Überlebenskampf.

Reifenpannen und Stürze sind an der Tagesordnung. Wout van Aert erlebte das 2023 auf bittere Weise. Auch die Teamunterstützung ist entscheidend: Selbst der stärkste Fahrer der Welt ist machtlos, wenn er im Wald von Arenberg einen Defekt hat und keine Hilfe in der Nähe ist.

Deshalb wagen sich so wenige Tour-Sieger nach Roubaix. Das Verletzungsrisiko ist enorm, gerade wenige Monate vor der großen Rundfahrtensaison. Geraint Thomas versuchte es 2018 – und schied aus. Er gewann später die Tour, kehrte aber nie zurück.

Auch Pogacar kennt die Gefahr. 2023 brach er sich in Lüttich das Handgelenk, was seine Tour-Vorbereitung ruinierte. UAE Team Emirates überlässt deshalb nichts dem Zufall und hat das Terrain bereits intensiv erkundet. Doch eins bleibt: Pogacar hat seit zwei Jahren kein Kopfsteinpflaster-Rennen mehr bestritten.

Kann Pogacar gewinnen?

Physisch? Ja. Pogacar bewies 2022 auf der Roubaix-ähnlichen Tour-Etappe nach Arenberg seine Klasse. Bei der Flandern-Rundfahrt 2023 ließ er van Aert und van der Poel stehen und siegte solo. Seine explosive Kraft, Ausdauer und Radbeherrschung machen ihn zu einem Ausnahmetalent auf jedem Terrain.

Doch Paris-Roubaix ist unberechenbar. Es erfordert sechs Stunden perfekte Leistung – mechanisch, taktisch und physisch. Und am Ende bleibt eine Frage: Ist Pogacar bereit für das härteste Rennen der Welt?

Paris-Roubaix ist das Rennen der gescheiterten Helden. Wer hier triumphiert, hat zuvor oft bittere Rückschläge erlebt. Dylan van Baarle und Sonny Colbrelli brauchten mehrere Anläufe, bevor sie das Velodrom als Sieger erreichten. Selbst Ikonen wie Tom Boonen und Fabian Cancellara mussten jahrelang gezielt für Roubaix trainieren, ehe sie die Königsdisziplin des Kopfsteinpflasters beherrschten.

Tadej Pogačar hingegen gewann die Flandern-Rundfahrt gleich beim zweiten Versuch. Doch Roubaix ist eine andere Welt. Er mag die Power haben, um am Carrefour de l'Arbre mitzugehen, doch ein platter Reifen, ein Sturz oder eine taktische Fehlplatzierung können selbst den besten Fahrer aus dem Rennen werfen. Seine schärfsten Rivalen, Mathieu van der Poel und Jasper Philipsen, haben hier bereits bewiesen, dass Erfahrung den Unterschied macht – 2023 und 2024 belegten sie Platz eins und zwei. Das Alpecin-Deceuninck-Duo hat sich als taktisch nahezu unschlagbar erwiesen.

Aber ist Paris-Roubaix hart genug für Pogačar? Vielleicht sollte die Frage anders lauten: Gibt es dort genügend Anstiege, um van der Poel abzuhängen? Denn während der Slowene seine größten Siege oft mit explosiven Attacken an steilen Rampen errungen hat, fordert Roubaix eine andere Art der Zähigkeit – die Fähigkeit, Stunden auf brutalem Kopfsteinpflaster zu überleben.

Was Pogačars Teilnahme so besonders macht, ist nicht nur das Risiko, sondern auch die historische Dimension. Ein amtierender Tour-de-France-Sieger am Start von Paris-Roubaix? Das ist eine Seltenheit. Bradley Wiggins versuchte es 2015, zwei Jahre nach seinem Toursieg, doch war bereits auf dem Weg aus dem Rundfahrtsport. Greg LeMond startete 1991, gewann aber nicht. Der letzte Tour-Sieger, der in Roubaix triumphierte, war Bernard Hinault – 1981. Selbst der große Eddy Merckx schaffte das Kunststück nur einmal, 1973.

Pogačar könnte dieses Kapitel der Geschichte neu schreiben. Ein Sieg in Roubaix würde ihn nicht nur zum ersten Tour-Champion seit über 40 Jahren machen, der auf der "Hölle des Nordens" gewinnt, sondern ihn auch seinem Ziel näherbringen, alle fünf Monumente des Radsports zu gewinnen. Seine bloße Anwesenheit hebt die Bedeutung des Rennens – Experten spekulieren bereits, dass die Ausgabe 2025 eine der meistverfolgten Roubaix-Rennen der letzten Jahrzehnte sein könnte.

Vorher muss er sich jedoch einer letzten Bewährungsprobe stellen: der Flandern-Rundfahrt. Dort trifft er erneut auf Titelverteidiger van der Poel – die perfekte Gelegenheit für Fans und Analysten, seine Form und taktische Herangehensweise zu bewerten. Aktuell führt van der Poel nach seinem Sieg in Mailand-Sanremo im direkten Duell mit 1:0. Doch Pogačar hat ihn vor zwei Jahren in Flandern geschlagen. Wer hat diesmal die Oberhand?

Ein weiterer Flandern-Sieg würde ihm Rückenwind für Roubaix geben, eine Niederlage hingegen seinen Ehrgeiz nur noch verstärken. Danach folgt voraussichtlich ein Angriff auf Lüttich-Bastogne-Lüttich, wo er bereits gewonnen hat, und später die Verteidigung seines Titels in Il Lombardia. Sollte er tatsächlich alle fünf Monumente, die Tour de France und möglicherweise sogar die Vuelta in einem Jahr bestreiten, wäre das eine historische Leistung – eine, die den Sport für immer prägen könnte.

Pogačars Entscheidung für Roubaix ist mehr als nur ein ambitionierter Rennplan. Sie ist eine Kampfansage an die Grenzen des modernen Radsports. Er stellt sich einer Herausforderung, die selbst die Größten oft gemieden haben. Stürze, Defekte und das unberechenbare Chaos von Roubaix machen es zu einem Glücksspiel. Doch für einen Fahrer, der bereits die Tour, drei Monumente und den Weltmeistertitel gewonnen hat, liegt wahre Größe nicht im Bewahren des Erreichten, sondern im Erobern des Unerreichbaren.

Ob er gewinnt oder nicht – sein Start in Roubaix ist ein Sieg für den Radsport. Ein Statement, dass die besten Fahrer keine Herausforderungen scheuen. Und sollte er tatsächlich als Erster ins Velodrom einfahren, erleben wir vielleicht gerade den komplettesten Radsportler aller Zeiten.

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