ANALYSE | Die Geschichte der E3 Saxo Bank Classic: Wie wurde die "kleine Flandern-Rundfahrt" zu einem echten Klassiker?

Radsport
durch Nic Gayer
Donnerstag, 27 März 2025 um 14:00
mathieuvanderpoel woutvanaert

Im Zentrum des flämischen Radsportlands, wo das Kopfsteinpflaster den Fahrern alles abverlangt und die steilen Anstiege über den Sieg entscheiden, ist die E3 Saxo Bank Classic ein wichtiges Ereignis. Es vereint kulturellen Charme mit einer sportlichen Herausforderung, die für die größten Tagesspezialisten zum Prüfstein wird.

Obwohl das Rennen noch jünger ist als viele der klassischen Frühjahrs-Monumente, hat es sich seit seiner ersten Austragung 1958 in Harelbeke zu einem festen Bestandteil der UCI WorldTour entwickelt. Häufig als "kleine Flandern-Rundfahrt" bezeichnet, ist das E3 in der Szene längst ein Klassiker.

Trotz häufiger Änderungen bei Sponsoren, Namen und Rennterminen bleibt das E3 Harelbeke, wie es von den Einheimischen noch immer genannt wird, tief verwurzelt in der Region. Es spiegelt den lokalen Stolz, die Tradition und das taktische Können wider, das dieses Rennen zu einem einzigartigen Erlebnis macht.

Der Weg zum Klassiker

Der Name des Rennens verweist auf die E3-Autobahn, die einst von Lissabon nach Stockholm führte und nahe Harelbeke vorbeiführte. Ursprünglich als Harelbeke-Antwerpen-Harelbeke gestartet, wurde es in den 1960er Jahren zum E3-Prijs Harelbeke umbenannt. Auch wenn die E3 heute als E17 bezeichnet wird, hat der Name Bestand und steht mittlerweile synonym für die legendären Kopfsteinpflasterstraßen Flanderns.

Die ersten Sieger wie Rik Van Looy, einer der größten belgischen Radsportler aller Zeiten, bestätigten schnell den Status des Rennens. In den 1960er Jahren dominierte Van Looy das Rennen mit vier Siegen und trug dazu bei, das E3 als Sprungbrett für zukünftige Klassiker-Spezialisten wie Jan Raas, Johan Museeuw und Andrei Tchmil zu etablieren. Selbst Mario Cipollini, der Sprinter, bekannt für seine Ausreißversuche, gewann 1993 und unterstrich die taktische Unberechenbarkeit des Rennens.

Namensänderungen und lokale Bedeutung

Im Laufe der Jahre wechselte das Rennen mehrmals den Namen, von E3-Prijs Vlaanderen über E3 BinckBank Classic bis hin zum aktuellen E3 Saxo Bank Classic. Doch das Rennen behielt stets seine Wurzeln in Harelbeke, mit dem Grote Markt, dem zentralen Platz der Stadt, als Start- und Zielpunkt. Seit dem Beitritt zur UCI WorldTour im Jahr 2012 bleibt es ein Highlight im Frühjahr, auch wenn die lokale Organisation durch das Komitee Hand in Hand vzw den Charme des Rennens bewahrt.

Eine bedeutende Änderung fand 2012 statt, als das Rennen von seinem traditionellen Samstagstermin auf den Freitag verlegt wurde. Diese Anpassung ermöglichte den Fahrern eine Erholungspause vor Gent-Wevelgem und sorgte für eine neue Struktur im Frühjahrs-Kalender.

Für die Bewohner von Harelbeke ist das E3 mehr als nur ein Rennen. Es ist ein jährliches Fest, das den Beginn der Flämischen Radsportwoche markiert und die Leidenschaft für den Radsport in der Region entfacht. Die Straßen füllen sich mit Fans, die an den Strecken stehen, Bierzelte und Picknickplätze entlang der Kopfsteinpflasterabschnitte aufstellen, während die flämischen Fahnen wehen.

Eine Atmosphäre wie keine andere

Die Nähe der Fans zu den Fahrern ist einzigartig. Ohne große Absperrungen versammeln sich Fahrer und Teams auf dem Stadtplatz, was den Fans die seltene Gelegenheit gibt, mit ihren Idolen zu sprechen oder ein Selfie zu machen. Ein Journalist beschrieb diese Atmosphäre als "charmant und familiär", ein Gegensatz zu den größeren, kommerziellen Veranstaltungen der WorldTour.

Diese Mischung aus Weltklasse-Radsport und einer familiären, lokalen Atmosphäre macht die E3 über Generationen hinweg zu einem beliebten Event. Als Reaktion auf die Entscheidung der Tour de Flandern, den legendären Muur van Geraardsbergen zu streichen, fügte das E3 diese Bergetappe 2012 wieder in die Strecke ein und bewahrte damit eine der traditionsreichsten Herausforderungen der Region.

Eine Liste legendärer Sieger

Die Siegerliste des E3 ist ein wahres "Who’s Who" der Klassikerspezialisten. Nach der frühen Dominanz von Rik Van Looy feierten in den 1970er und 80er Jahren Fahrer wie Jan Raas (mit drei Siegen in Folge), Jan Bogaert und William Tackaert große Erfolge. In den 1990er Jahren setzte eine neue Generation von Fahrern Maßstäbe. Johan Museeuw gewann 1992, bevor er in den folgenden Jahren die Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix dominierte. Andrei Tchmil sicherte sich 1994 den Sieg und bahnte sich den Weg zu Monument-Ruhm. Cipollinis überraschender Triumph 1993, als reiner Sprinter in einem Rennen, das heute vor allem durch seine Bergankünfte geprägt ist, bleibt eine kuriose Fußnote.

Van der Poel und Van Aert werden am Freitag im Einsatz sein
Van der Poel und Van Aert werden am Freitag im Einsatz sein

Die 2000er Jahre markierten einen Wendepunkt für das E3, als es zu einem wahren Frühjahrsschlachtfeld wurde. Tom Boonen, der unangefochtene Superstar Flanderns, machte den Taaienberg zu seiner persönlichen Bühne. Die Fans tauften ihn den "Boonenberg", nachdem er von 2004 bis 2007 viermal in Folge gewann und 2012 sogar im Regenbogentrikot seinen fünften Sieg holte.

Sein großer Rivale Fabian Cancellara fügte mit drei eigenen Siegen seiner Legende hinzu, darunter eine denkwürdige Solo-Attacke über 35 Kilometer im Jahr 2013. Ihre Duelle machten das Rennen noch spannender und hinterließen bei den Fans unvergessliche Momente.

Moderne Klassiker

In den letzten Jahren hat die E3 an Qualität und Teilnehmerzahl gewonnen. Fahrer wie Peter Sagan, Geraint Thomas, Greg Van Avermaet, Michał Kwiatkowski und Niki Terpstra haben sich in Harelbeke in die Siegerliste eingetragen. Jeder von ihnen brachte seine eigene Spezialität ein: Sprints, Solo-Attacken oder späte Ausbrüche.

Die Ausgabe 2021 war ein Paradebeispiel für taktische Raffinesse. Deceuninck-Quick-Step setzte mehrere Fahrer auf den Taaienberg und platzierte vier in der Spitzengruppe. Als Kasper Asgreen schließlich zuschlug, deckten seine Teamkollegen die Verfolger ab. Die „Wolfsrudel“-Strategie erwies sich als perfekt.

2022 sorgten Wout van Aert und Christophe Laporte für ein beeindruckendes Ergebnis, als sie 40 Kilometer vor dem Ziel attackierten und gemeinsam mit einem komfortablen Vorsprung von 1:34 Minuten auf den dritten Platz ins Ziel kamen.

Der Höhepunkt kam 2023, als die drei Giganten des Radsports – Van Aert, Van der Poel und Pogacar – erstmals zusammen in der E3 kämpften. Über 80 Kilometer vor dem Ziel setzten sie sich ab und lieferten sich ein episches Duell. Van Aert gewann den Sprint in Harelbeke, aber alle drei Fahrer kamen mit fast zwei Minuten Vorsprung vor ihren Verfolgern ins Ziel.

Besonders beeindruckend war dabei die Tatsache, dass Van Aert zu Beginn des Rennens nur knapp von Pogacar und Van der Poel distanziert wurde. Diese Ausgabe festigte nicht nur die Bedeutung der E3 als Generalprobe für die Ronde, sondern begeisterte auch die Fans.

Das Flandern-Prequel

Taktisch betrachtet dient die E3 als eine der letzten Bewährungsproben vor der Flandern-Rundfahrt. Sie findet neun Tage vorher statt und bietet ein nahezu identisches Terrain, das Tempo und die Herausforderungen der großen Ronde – jedoch in einem kompakteren Format (200 km statt 270+). Mit 12 bis 17 Anstiegen in den letzten 90 Kilometern bietet sie den Teams eine perfekte Simulation des Klassikers.

Die Parallelen sind so stark, dass die E3-Sieger oft auch die Ronde dominieren. Boonen, Cancellara, Van Avermaet und Van der Poel haben beide Rennen gewonnen. Für Teams ist eine starke Leistung in der E3 entscheidend, um die Taktik, Form und Ausrüstung für Flandern zu überprüfen oder Schwächen zu erkennen, die noch behoben werden müssen.

Die flämische Presse bezeichnet die E3 daher nicht ohne Grund als „kleine Ronde van Vlaanderen“. Für die Fans ist es der perfekte Vorgeschmack auf das, was noch kommt.

Taktik im Rennen

Die E3 erfordert eine Kombination aus Fähigkeiten: Kraft auf dem Kopfsteinpflaster, Punch bergauf und taktische Finesse. Aufgrund der kürzeren Distanz im Vergleich zur Ronde kommt es oft zu frühzeitigen Angriffen. Besonders am Taaienberg werden häufig entscheidende Angriffe lanciert.

Die Sieger kommen aus den unterschiedlichsten Szenarien: Alleingänge (wie Cancellara 2013), Zweikämpfe (Kwiatkowski gegen Sagan 2016) oder kleine Gruppensprints (Boonen, Stybar). Im Gegensatz zu Paris-Roubaix, wo oft die Ausdauer entscheidet, oder dem Amstel Gold Race mit seinem harten Finale, liegt die E3 irgendwo dazwischen: explosiv, aber taktisch, brutal, aber offen.

Der moderne Rennsport hat die Dynamik der E3 verändert. Teams wie Soudal-Quick-Step und Jumbo-Visma setzen zunehmend auf Teamarbeit und numerische Überlegenheit. GPS-Daten, Reifendruckmessung und Echtzeit-Kommunikation spielen eine immer größere Rolle. Zudem sind bei den häufigen Wetterkapriolen Instinkt und Ortskenntnis genauso wichtig wie die Wattleistung.

Ein einzigartiger Klassiker

Von seinen bescheidenen Anfängen als Straßenrennen hat sich die E3 Saxo Bank Classic zu einem modernen WorldTour-Event entwickelt, das seinen festen Platz im Kalender behauptet. Sie vereint die Tradition der Kopfsteinpflasterklassiker mit einem eigenen, unverwechselbaren Charakter – teils als Flandern-Simulation, teils als lokale Feier, teils als taktisches Schachspiel.

Mit einer Mischung aus Legenden, Überraschungen und packenden Rennen hat die E3 über die letzten zwei Jahrzehnten ihren Platz in der Radsportgeschichte gefestigt. Dabei hat sie sich nie ihren flämischen Charme nehmen lassen, der das Rennen so besonders macht.

Die E3 ist mittlerweile mehr als nur ein „Warm-up“ oder eine „Mini-Ronde“. Sie ist ein Klassiker für sich, bei dem Geschichte, Gemeinschaft und sportliche Spitzenleistungen jeden März in Harelbeke aufeinandertreffen.

Wer wird also diesen Freitag den Sieg erringen? Kann Mathieu van der Poel seine brillante Form von Mailand-Sanremo bestätigen oder wird Wout van Aert ihm zeigen, wer der wahre König der Pflastersteine ist? Was auch immer passiert, das Rennen wird entscheidende Impulse für den Rest der Saison geben.

Die E3 wird auch 2025 für aufregende Action sorgen.

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