„Reißzwecken, Seile und pure Angst“ – Quick-Step-Profi schildert chaotisches Vuelta-Finale

Radsport
Montag, 15 September 2025 um 21:30
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Als Louis Vervaeke mit Soudal – Quick-Step am Ende der Vuelta a Espana 2025 in Madrid eintraf, hätte er eigentlich Erleichterung verspüren sollen. Drei harte Wochen im Sattel lagen hinter ihm. Stattdessen überwog das Gefühl, Teil einer der surrealsten und beunruhigendsten Grand Tours der jüngeren Vergangenheit gewesen zu sein. Immer wieder hatten pro-palästinensische Demonstrationen den Ablauf des Rennens überschattet und dabei mehrfach gefährliche Ausmaße erreicht.
Im Gespräch mit Sporza Daily, nachdem der traditionelle Abschluss in Madrid wegen Sicherheitsbedenken abgesagt worden war, schilderte Vervaeke die bedrückende Atmosphäre im Peloton. Für Außenstehende habe es wie ein gewöhnliches dreiwöchiges Etappenrennen ausgesehen, eingerahmt von farbenfrohen Protesten. Doch für die Fahrer sei es immer mehr zu einem politischen Sturm geworden, in dem sie ungewollt eine Rolle spielten.
„Es gab Stellen, an denen sie Reißzwecken auf die Straße geworfen haben – das geht zu weit“, erklärte Vervaeke. „Teamleiter erzählten mir, dass Leute sogar mit Seilen von Brücken sprangen, um Autos zu stoppen. Nicht alles wurde gefilmt, aber was wir erlebten, war spektakulär – und zwar im negativen Sinn.“

Bilbao als Wendepunkt

Der kritische Moment kam für viele Fahrer auf der 11. Etappe nach Bilbao. Bis dahin, so erinnert sich Vervaeke, habe das Feld die Proteste noch weggesteckt. Doch in der baskischen Metropole änderte sich die Stimmung dramatisch: „Die erste Zieldurchfahrt war ein Augenöffner. Man sollte es nicht so sagen, aber es fühlte sich fast an wie wilde Tiere hinter den Absperrungen, die verzweifelt ausbrechen wollten.“
Von da an wich die Angst nicht mehr. Immer wieder mussten die Profis mit der Gefahr rechnen, dass Demonstranten die Strecke blockierten, Gegenstände warfen oder das Rennen unterbrachen. Die Unsicherheit prägte jeden Kilometer und ließ die Vuelta an den Rand des Chaos geraten.

Angst und Mitgefühl im Peloton

Besonders hart traf es Israel – Premier Tech, das mit seiner Flagge und Ausrüstung ungewollt zur direkten Zielscheibe wurde. Vervaeke zeigte Verständnis: „Das war nicht ihre Entscheidung. Sie tragen ein Trikot, das heute extrem belastet ist. Sie haben gelitten und wollten einfach nur, dass die Vuelta endet. Einige fragten sogar, ob wir nächstes Jahr Platz in unserem Team hätten. Sie fühlten sich gefangen, weil sie unter Vertrag stehen und ihren Job riskieren.“
Für die übrigen Teams war die größte Angst eine andere: gezwungen zu werden, abrupt anzuhalten. „Die Leute wissen nicht, wie gefährlich es ist, einen Fahrer bei 40 oder 50 km/h zu stoppen. Wir wollten einfach nur ein Rennen fahren, nicht in die Politik hineingezogen werden. Aber wir waren in Gefahr – und in Madrid war die Situation nicht mehr tragbar.“

Madrid im Ausnahmezustand

Das Finale in Spaniens Hauptstadt fand schließlich unter massivem Polizeischutz statt. Die Fahrer bewegten sich in einer „sicheren Zone“, streng abgeschirmt von den Menschenmengen. Für Vervaeke reichte das aus, um die unmittelbare Angst zu vertreiben. „Ich habe mich in Madrid nie unsicher gefühlt“, sagte er – doch der psychische Schaden war bereits entstanden.
Im gesamten Feld herrschte das Gefühl, dass die Vuelta nicht mehr in den Händen des Sports lag. Selbst Team Visma | Lease a Bike, das mit Jonas Vingegaard den Gesamtsieg feierte, musste zugeben, dass die Atmosphäre die Freude trübte. Der traditionelle Champagner wurde ausgelassen, viele Fahrer wirkten mehr erschüttert als erleichtert.

Offene Fragen für die Zukunft

Das Chaos löste sofort eine Debatte darüber aus, ob die Organisatoren härter hätten durchgreifen müssen. Experten zogen Vergleiche zu belgischen Klassikern, wo Protestaktionen in enger Abstimmung zwischen Regierung, Polizei und Aktivisten kontrolliert worden waren. Der Unterschied zu Spanien war eklatant.
Für Vervaeke steht fest: Die Vuelta 2025 war einzigartig – und nicht im positiven Sinne. „Wir waren in Gefahr. Es fühlte sich an, als ob wir in einen politischen Konflikt hineingezogen wurden, der nichts mit uns zu tun hat. Das kann nicht die Absicht sein.“
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