ANALYSE | „Ein organisiertes Verbrechen“ - Fahrer und Experten zerreißen die Vuelta a Espana 2025

Radsport
durch Nic Gayer
Montag, 15 September 2025 um 15:00
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Die Vuelta a Espana 2025 sollte traditionell mit der Schlussetappe in Madrid enden – einem Tag voller Champagner-Fotos, Parade durch die Hauptstadt und großem Sprintfinale. Stattdessen erlebte der Radsport einen Schock: Wegen pro-palästinensischer Proteste wurde das Rennen abgebrochen, Jonas Vingegaard erhielt sein rotes Trikot auf einem Hotelparkplatz. Für Fahrer, Teams und Organisatoren war es ein surrealer Abschluss von drei turbulenten Wochen voller Unterbrechungen, neutralisierter Etappen und politischer Debatten.
Die Proteste richteten sich gegen die Teilnahme von Israel - Premier Tech und zwangen die Rennleitung zu Neutralisierungen, Umleitungen und Absagen. So wurde das Mannschaftszeitfahren der 5. Etappe blockiert, die 11. Etappe neutralisiert, ohne Sieger gewertet, und der Angliru-Anstieg der 13. Etappe verschoben. Auch die 16. Etappe war betroffen. Am Ende zweifelte niemand mehr an der Ernsthaftigkeit der Lage – doch die Meinungen darüber, wie mit der Krise hätte umgegangen werden sollen, gingen weit auseinander.

Stimmen aus dem Peloton

Die plötzliche Absage der Schlussetappe löste bei vielen Fahrern Frust aus. Kamiel Bonneu von Intermarché - Wanty, der die kompletten drei Wochen fuhr, fand klare Worte: „Das war kein Protest, das war organisiertes Verbrechen. Wenn ihr Frieden wollt, dann macht das auf friedliche Weise.“ Seine Empörung spiegelte den Tenor vieler Profis wider, die eine Grenze zwischen politischem Ausdruck und offener Sabotage überschritten sahen.
Auch Jonas Vingegaard zeigte sich nach dem Ende in Madrid enttäuscht: „Es ist eine Schande, dass uns ein so zeitloser Moment genommen wurde. Ich hatte mich sehr auf den Sieg mit meiner Mannschaft und den Fans gefreut. Jeder hat das Recht zu protestieren, aber nicht so, dass es unsere Karriere gefährdet.“ Gleichzeitig betonte er sein Verständnis: „Ich weiß, warum sie protestieren. Ich wünschte nur, sie hätten es an einem anderen Ort getan. Sie haben hier eine Plattform gefunden, die sie sonst nicht hätten.“
Für Matthew Riccitello von Israel - Premier Tech, der das Weiße Trikot gewann und als Fünfter der Gesamtwertung überraschte, war die psychische Belastung enorm: „Es war hart – nicht nur für uns, sondern für das gesamte Peloton. Ich habe nur wenig telefoniert, fast nur mit Familie und Freunden gesprochen. Es waren extrem anstrengende Wochen.“

Politik und Verantwortung

Spaniens Bildungs- und Sportministerin Pilar Alegria betonte während der Vuelta: „Es ist wichtig, dass die Vuelta stattfinden kann, wie andere große internationale Events auch. Die spanische Gesellschaft darf angesichts der Lage in Gaza nicht neutral bleiben. Auch der Sport darf die Realität nicht ignorieren.“ Damit stellte sie den Erhalt des Rennens zwar heraus, erkannte aber gleichzeitig die Legitimität öffentlicher Proteste an.
Die UCI reagierte zurückhaltend. Sie verurteilte die Störungen, betonte die Neutralität des Sports und seine verbindende Rolle. Doch Fahrer und Teams kritisierten das Ausbleiben konkreter Maßnahmen. Jan Ullrich sprach von fehlendem Rückgrat, Rick Zabel warf den Organisatoren vor, das Image der Vuelta beschädigt zu haben. Patrick Lefevere hinterfragte die Sorgfaltspflicht: „Sie laden uns zu ihren Rennen ein, aber beim Schutz unserer Fahrer handeln sie nicht.“

Israel - Premier Tech im Fokus

Im Zentrum der Kritik stand Israel - Premier Tech. Einige forderten einen Rückzug des Teams, um Spannungen zu entschärfen. Tom van Asbroeck wies das entschieden zurück: „Wenn man uns ausschließt, während Teams aus den Emiraten oder Bahrain starten dürfen, ist das inkonsequent. Lasst die Fahrer einfach antreten.“ Er erinnerte daran, dass Sport selten unpolitisch ist – und selektive Prinzipien die Glaubwürdigkeit untergraben.
Auch Michal Kwiatowski warnte: „Man kann nicht so tun, als ob nichts passiert. Jeder weiß jetzt, dass ein Radrennen eine Bühne für Proteste ist. Beim nächsten Mal wird es schlimmer.“
Proteste auf den spanischen Straßen: Das Symbolbild der Vuelta a Espana 2025
Proteste auf den spanischen Straßen: Das Symbolbild der Vuelta a Espana 2025

Ein Dilemma für den Radsport

Die Vuelta 2025 legte ein Kernproblem offen: das Spannungsfeld zwischen Protestrecht und Fahrersicherheit. Während Bonneus Wut, Vingegaards Enttäuschung und Riccitellos Stress die menschlichen Kosten verdeutlichten, kritisierten viele die fehlende Absicherung. Am Ende bleibt festzuhalten: Nichts ist wichtiger als die Sicherheit der Fahrer.

Blick in die Zukunft

Die Vuelta 2025 wird als das Rennen in Erinnerung bleiben, in dem Politik und Sport frontal kollidierten. Für Tour de France und Giro d’Italia stellt sich nun die Frage, wie sie auf künftige Proteste reagieren. Braucht es stärkere Polizeipräsenz – auch wenn das die offene Atmosphäre des Radsports verändert? Oder einen direkten Dialog mit Aktivisten, um Eskalationen zu vermeiden?
Eines ist klar: Mit Erklärungen und Schuldzuweisungen allein wird es nicht mehr getan sein. Fahrer fordern Schutz, Teams verlangen Sicherheit, Fans wollen Vertrauen. Die Vuelta a Espana 2025 hat endgültig gezeigt, dass der Radsport nicht länger außerhalb politischer Konflikte steht.
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