Chris Horner nahm nach der abgebrochenen 21. Etappe der Vuelta a España 2025 kein Blatt vor den Mund. Während andere über den Gesamtsieg von Jonas Vingegaard sprachen, nutzte der amerikanische Grand-Tour-Sieger seinen YouTube-Kanal, um deutliche Kritik am UAE Team Emirates – XRG zu äußern. Für ihn steht fest: Die Equipe hat in dieser Saison mit wiederkehrenden taktischen Fehlern gleich mehrere große Chancen verspielt.
„Almeida im Stich gelassen“
„Die VAE haben bei dieser Vuelta sieben Etappen und die Mannschaftswertung gewonnen“, räumte Horner ein. „Aber taktisch haben sie Almeida im Stich gelassen.“ Besonders kritisierte er die Entscheidung, Juan Ayuso – dessen Wechsel zum Saisonende längst feststand – und Jay Vine auf Etappenjagd gehen zu lassen, anstatt ihre Kräfte voll in den GC-Kampf von João Almeida zu investieren.
Horner sieht dieses Muster nicht erst seit der Vuelta. Schon beim Giro d’Italia im Mai hätten sich ähnliche Fehler gezeigt. Damals verlor Isaac Del Toro das Rosa Trikot auf der 20. Etappe am Colle delle Finestre. „Del Toro hätte 2025 den Giro gewinnen müssen“, sagte Horner. „Stattdessen verlor er das Rosa auf der vorletzten Bergetappe, weil die Teamleitung zu defensiv agierte und nicht auf Druck von Simon Yates und Richard Carapaz reagierte.“
Almeida oft ohne Helfer
Almeidas Konstanz brachte ihn am Ende auf Platz zwei der Gesamtwertung. Doch laut Horner wurde er von seinem eigenen Team geschwächt. „Ayuso durfte zwei Etappen gewinnen, Vine ebenfalls. Beide fuhren für sich selbst, statt Almeida zu unterstützen“, kritisierte er.
Besonders bitter sei, dass UAE längst wusste, dass Ayuso das Team verlassen würde. Trotzdem setzte man auf ihn – und entzog Almeida damit wertvolle Unterstützung. „Auf Etappe 9, als Vingegaard mit Jorgenson attackierte, war Almeida allein. Auf Etappe 11, als Tom Pidcock das Feld sprengte, wieder. Und selbst auf den letzten Bergetappen fehlten ihm Helfer, wenn er sie am meisten brauchte.“
Verpasste Chancen
Für Horner summierten sich die Versäumnisse. Er verwies auf die 9. Etappe, als Almeida aus der Position fiel, und auf die 19. Etappe, als Vingegaard Bonussekunden sammelte. „Da war UAE schlicht überrumpelt.“ Erst auf der 20. Etappe habe das Team taktisch sauber gearbeitet, doch Almeida musste trotz Ayusos Hilfe zu viele Führungsarbeit leisten – während Visma geschlossen verteidigte. „Mit mehr Unterstützung hätte das Ergebnis der Vuelta anders ausfallen können“, so Horner.
Eine Saison der Beinahe-Erfolge
Der zweite Platz von Almeida reiht sich ein in eine Serie verpasster Chancen. Del Toros Giro-Niederlage und Almeidas Vuelta-Resultat seien für Horner Teil desselben Problems: zu viele interne Interessen, zu viele Fahrer, die ihre eigenen Ambitionen ausleben. „Sie müssen ihre internen Strukturen ordnen, wenn sie ihre Stärke in Gesamtsiege umwandeln wollen“, lautet sein Fazit.
Während UAE die Tiefe vergeudete, setzte Visma | Lease a Bike auf Disziplin. Jonas Vingegaard mag nicht mehr die Kletterdominanz früherer Jahre besitzen, meinte Horner – „das Mehr an Muskelmasse hat seine Explosivität am Berg reduziert“ – doch taktisch sei Visma „ruhig, klug, verteidigte im richtigen Moment und nutzte Fehler der Konkurrenz konsequent aus“.
Für Horner ist der Kontrast eindeutig: Ein Team schöpfte jede Ressource aus, das andere verzettelte sich. Seine Analyse dürfte viele bestätigen, die schon länger glauben, dass die größte Stärke der VAE – ihre Vielzahl an GC-Kapitänen – zugleich ihre größte Schwäche ist.
Ob UAE die richtigen Schlüsse für 2026 zieht, wenn Tadej Pogacar nicht mehr dabei ist, bleibt die entscheidende Frage. Denn Potenzial für Grand-Tour-Siege ist reichlich vorhanden – doch genutzt wird es bislang nicht.