Die 17. Etappe der
Tour de France war die letzte realistische Chance für einen klassischen Massensprint – und die Sprinterteams wollten sich diese Gelegenheit nicht nehmen lassen. Nach einer Reihe intensiver und kräftezehrender Etappen schien dieser Tag für viele im Peloton wie eine willkommene Verschnaufpause. Doch das Rennen verlief alles andere als ruhig.
Die Ausreißergruppe des Tages bestand aus vier Fahrern: Etappensieger Jonas Abrahamsen, Vincenzo Albanese, Quentin Pacher und Mathieu Burgaudeau. Als das Rennen scheinbar in ruhigen Bahnen verlief, sorgten die INEOS Grenadiers rund 100 Kilometer vor dem Ziel für eine erste Zäsur. Sie verschärften am Anstieg das Tempo und versuchten, die Sprinter abzuhängen und das Feld zu sprengen.
Ihr Vorstoß blieb jedoch ohne Erfolg. Das Hauptfeld fand wieder zusammen. Rund 45 Kilometer vor dem Ziel versuchte Wout van Aert mit einer Soloattacke, zur Spitze aufzuschließen. Doch auch dieser Versuch verpuffte.
Der anvisierte Sprint endete schließlich im Chaos: Ein schwerer Sturz kurz vor dem Ziel zerteilte das Feld, sodass nur wenige Fahrer um den Etappensieg sprinten konnten. Jonathan Milan nutzte die Gunst der Stunde, gewann seine zweite Etappe bei dieser Tour und rückte damit dem Gewinn des Grünen Trikots näher.
Am Ende der Etappe baten wir einige unserer Autoren um ihre Einschätzungen zum Renngeschehen:
Rúben Silva (CyclingUpToDate)
Langweilig wird diese Tour wahrlich nicht – dafür sorgte heute unter anderem die Taktik der INEOS Grenadiers. Ihre Attacke war wenig erfolgversprechend und wirkte unlogisch, doch das hohe Tempo am ersten Anstieg des Tages brachte viele Fahrer aus dem Rhythmus und führte zu weiteren Attacken sowie einem allgemein animierten Rennverlauf. Auch van Aerts Versuch am Schlussanstieg hätte das Rennen gefährlich machen können – doch der Rückstand zur Ausreißergruppe war zu groß. Der Visma-Fahrer verbrannte seine Kräfte umsonst.
Ein Schulterschluss mehrerer Teams sorgte dafür, dass es trotz allem zum Massensprint kam – ansonsten hätte Abrahamsen wohl erneut triumphiert. Doch Regen und hohes Tempo verwandelten das Finale in ein Nervenchaos. Der Sturz war unschön, der Sieg von Milan hingegen angesichts der Abwesenheit seines größten Konkurrenten Tim Merlier keine große Überraschung.
Carlos Silva (CiclismoAtual)
Ein ehrlicher Ausreißversuch, bei dem Abrahamsen sich teuer verkaufte. Wäre es auf den letzten Metern nicht zu einem Sturz gekommen, hätte Milan wohl nicht gewonnen. Er hatte Glück – und wie ich immer sage: Der Stärkste hat gewonnen, aber nicht der Beste. Die Attacke von INEOS? Beeindruckendes Tempo, aber welchen Zweck verfolgte man damit, wenn doch ihr eigener Sprinter ebenfalls auf den Sprint setzte?
Van Aerts Angriff am letzten Anstieg war schwer zu verstehen – vor allem, weil er zuvor viel Energie nach einem Defekt aufwenden musste. Der Regen kehrt zurück, und es sieht ganz so aus, als würde er die Fahrer auch auf den bevorstehenden Alpenetappen begleiten. Ich bin gespannt auf morgen – es wird brutal.
Félix Serna (CyclingUpToDate)
Der Tag versprach eine dieser ereignisarmen Flachetappen zu werden. Zwei kurze Anstiege in der Mitte – mehr nicht. Vier Fahrer vorne, das Peloton kontrollierte alles. Doch dann kam der Plan von INEOS. Aus taktischer Sicht nachvollziehbar, denn Axel Laurance klettert besser als Milan oder Merlier – aber in der Umsetzung war das Ganze schwach.
Dass Wout van Aert dann seinerseits attackierte, war überraschend. Es zeigt, wie viel Freiheit ihm sein Team gewährt. Letztlich brachte der Versuch nichts, aber wenn jemand wie van Aert geht, muss man es zumindest versuchen.
Ob seine Energieverschwendung heute ein Problem für Vingegaards Tour-Ziele darstellt? Eher nicht. Mit Campenaerts, Yates und Kuss hat Visma starke Helfer für die Berge. Van Aert war ohnehin nicht als Schlüsselmann vorgesehen.
Der chaotische Sprint war leider kein Einzelfall: Von fünf Massensprints dieser Tour endeten bislang nur zwei ohne Sturz auf den letzten Kilometern. Interessant: Sowohl Merlier als auch Milan haben zwei Etappensiege – doch Milan hat Merlier nie geschlagen, wenn beide gleichzeitig sprinteten. Dennoch scheint das Grüne Trikot dem Italiener kaum noch zu nehmen.