ANALYSE | Die 5 spannendsten Transfers, die Ihnen entgangen sein könnten

Radsport
Samstag, 27 Dezember 2025 um 11:30
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Mit Blick auf 2026 schließt sich für World- und ProTeams das Transferfenster. Einige Mannschaften sind aus dem Peloton verschwunden, andere haben ihren Platz eingenommen. Viele Fahrer sind eine Stufe auf- oder abgestiegen, etliche haben ihre Profikarriere aus unterschiedlichen Gründen beendet. In Erinnerung bleiben wird dieses Fenster jedoch vor allem wegen zahlreicher Ausstiegsklauseln bei prominenten Rundfahrt-Akteuren, insbesondere Remco Evenepoel, Juan Ayuso, Oscar Onley und voraussichtlich auch Derek Gee. Wir blicken auf einige Transfers, die eher unter dem Radar liefen.
Über die aktuellen und künftigen Grand-Tour-Stars wurde ausreichend geschrieben, jetzt schauen wir auf interessante Wechsel, die keine Schlagzeilen machten, aber sich rasch als kluge Coups ihrer neuen Arbeitgeber erweisen könnten.
Zu den Kriterien: Wechsel innerhalb derselben Struktur zähle ich nicht, etwa Jakob Söderqvists Beförderung vom Lidl-Trek Future Racing ins WorldTeam. Gleiches gilt für Fahrer wie Jakob Omrzel, Senna Remijn oder Maxime Decomble – allesamt spannende Talente, die 2026 den nächsten Schritt machen.
Mit diesem Vorwort: Welche Transfers stechen vor der neuen Saison hervor?

Dorian Godon (Decathlon -> Ineos Grenadiers)

INEOS Grenadiers erlebten ein turbulentes Transferfenster, geprägt von Managementwechseln, dem Start eines eigenen Development-Teams und alles anderen als geradlinigen Gesprächen. Unterm Strich jedoch fällt die Bilanz positiv aus: Schlüsselakteure wie Geraint Thomas (nun in Managementfunktion) werden durch aufstrebende Kräfte ersetzt, angeführt vom diesjährigen Tour-de-France-Vierten Oscar Onley sowie dem Siebten Kévin Vauquelin.
Zudem bleibt das Team neben dem GC anderen Bereichen treu, holt Sprinter Sam Welsford und einen Fahrer, auf den ich besonders gespannt bin – Dorian Godon.
Der 29-Jährige fährt seit fast einem Jahrzehnt auf Top-Niveau, doch sein Limit scheint noch nicht erreicht. Ich verfolge Godon seit zwei Jahren genauer, seit mir jemand sagte, er habe damals die besten Leistungswerte im gesamten Decathlon-Team (damals AG2R). Eine spannende Aussage, denn Godon gewann in jenem Jahr Brabantse Pijl und Giro del Veneto, rangierte aber in der UCI-Wertung nur am Ende der Top 200.
Seither erfüllte sich die Prognose Schritt für Schritt: Godon steigerte sich jährlich spürbar. 2025 reichte das für Rang 76 der Weltrangliste – genug, um bei Rivalen wie INEOS Grenadiers Interesse zu wecken, wo er einen Dreijahresvertrag unterschrieb. Verdient.
Dorian Godon bei der Tour de Pologne 2025
Dorian Godon at the Tour de Pologne 2025
Der Franzose holte in dieser Saison sechs Siege. Nach einem Auftaktsieg bei der Tour des Alpes-Maritimes dauerte es bis zu den nationalen Meisterschaften, ehe er wieder jubelte – in einem von Decathlon dominierten Rennen mit drei Fahrern in den Top 10. Später, im Trikot in Blau-Weiß-Rot, gewann Godon zwei Etappen und wurde Gesamtzweiter bei der Tour Poitou-Charentes, siegte bei der Coppa Bernocchi und rundete seine Bilanz mit einem Heimsieg bei der Tour de Vendée ab.
Was ist 2026 von Godon zu erwarten? Gemeinsam mit dem jüngeren Landsmann Axel Laurance kann ein starkes französisches Duo für die Ardennen-Klassiker entstehen. Laurance scheut weite Vorstöße nicht, wie bei der U23-WM vor zwei Jahren, während Godon am Ende harter Tage auf seine exzellente 30-Sekunden-Power bauen kann.
In Anwesenheit von Tadej Pogacar und Remco Evenepoel ist das schwer durchzusetzen, doch jedes Rennen, das in einen Sprint einer reduzierten Gruppe mündet, ist eine Chance für Godons Qualitäten.

Roger Adrià (Red Bull - Bora - hansgrohe -> Movistar Team)

Wie der langjährige Rivale aus dem Vereinigten Königreich setzt auch Movistar in diesem Fenster auf Verjüngung. Neben dem Start eines eigenen Development-Programms trennte sich das Traditionsteam von Stützen wie Fernando Gaviria, Ruben Guerreiro, Davide Cimolai, Gregor Mühlberger und Will Barta. Geschwächt ist Movistar 2026 dennoch nicht – im Gegenteil.
Cian Uijtdebroeks’ überraschender Wechsel von Team Visma | Lease a Bike stahl die Show, doch Movistar tätigte mehrere zukunftsorientierte Verpflichtungen. Der Zugang von Roger Adrià kann jedoch sofort den Unterschied machen.
Der 27-jährige Spanier ist seit seinem 11. Platz bei den World Championships 2024 längst kein unbeschriebenes Blatt mehr, doch 2025 bedeutete einen leisen Rückzug aus dem Rampenlicht, während die Ambitionen von Red Bull - BORA - hansgrohe grenzenlos wuchsen. Im hochkompetitiven Umfeld des deutschen Teams ging Adria unter; sein einzig nennenswerter Erfolg blieb daher ein Etappensieg zum Auftakt der Vuelta a Burgos.
In Zahlen ausgedrückt fiel Adria im UCI-Ranking von Position 71 auf 197.
Roger Adria bei den World Championships 2024
Roger Adria bei den World Championships 2024
Bei Movistar trifft er auf ein gänzlich anderes Kollektiv. In einem Team, das stark in seine GC-Ambitionen investiert, sollte Adria einer der Hauptakteure für seine bevorzugten hügeligen Klassiker sein. Auch wenn der Aufstieg von Carlos Canal in diesem Jahr bemerkenswert war, dürfte der erfahrenere Adria normalerweise in Ardennen-ähnlichen Rennen die Kapitänsrolle übernehmen und einen Top-10-Platz in Rennen wie der Amstel Gold Race anpeilen, während er zugleich um Siege/Podien bei kleineren Eintagesrennen sowie in einigen Rundfahrten kämpft.
Und wenn er die Beine vom Ende 2024 wiederfindet, könnte Adria durchaus auf einen Grand-Tour-Etappensieg zielen – etwas, das Movistar 2025 verwehrt blieb.

Laurenz Rex (Intermarché -> Soudal - Quick-Step)

Die Fusion Lotto–Intermarché lief wohl nicht so reibungslos wie erhofft, denn einige der größten Stars des früheren Teams entschieden sich für neue Wege, statt ihr Schicksal der neuen Struktur anzuvertrauen. Am auffälligsten war der Abgang von Biniam Girmay zum NSN Cycling Team, doch Laurenz Rex ist ein weiterer Fahrer, den die neue belgische WorldTour-Formation im Hinblick auf die Pflaster-Klassiker im Frühjahr nur zu gerne in ihren Reihen behalten hätte.
Mit 26 Jahren wartet der großgewachsene Belgier noch auf seinen endgültigen Durchbruch, doch es ist nicht ausgeschlossen, dass 2026 zum Wendepunkt seiner Karriere wird. Bei Soudal - Quick-Step trifft er auf ein runderneuertes Team, das nicht mehr um die Figur Remco Evenepoel zentriert ist. Der Titel „größter Star“ ist nun an Sprinter Tim Merlier übergegangen, der vom jungen Paul Magnier herausgefordert wird. Doch die entstehende Klassiker-Mannschaft könnte die beiden schnellen Männer komplett überstrahlen. Die Verpflichtungen von Jasper Stuyven und Dylan van Baarle sind ein glasklares Bekenntnis zur Rückkehr zu den Wurzeln des Wolfpack.
Und obwohl Rex seinen Namen noch nicht ganz groß in den Asphalt gemeißelt hat, feierte er auf dem Kopfsteinpflaster bereits beachtliche Erfolge – insbesondere Paris-Roubaix scheint ihm zu liegen. In den letzten drei Ausgaben fuhr Rex zweimal in die Top 10 (stürzte 2024).
2023 konnte man es noch als „Glück“ abtun, weil die Fluchtgruppe weit in das Rennen hinein überlebte und Rex sich zu einem unerwarteten 9. Platz durchbiss. Um zu beweisen, dass es nicht nur Glück war, kehrte Rex – untermauert von einem Top-10-Ergebnis bei Gent-Wevelgem zwei Wochen zuvor – in diesem Jahr erneut in die Top 10 der Roubaix-Ergebnisliste zurück.
Laurenz Rex am Oude Kwaremont bei der Tour of Flanders 2025
Laurenz Rex am Oude Kwaremont bei der Tour of Flanders 2025
In der Breite fehlte diesem Frühjahr vielleicht der ganz große Ausreißer nach oben – Rex’ bestes Resultat war Platz 4 bei der Antwerp Port Epic. Wichtiger war jedoch die gewachsene Konstanz über die intensive Dreimonatsphase, in der Rex sein Niveau stabil hoch hielt. Die zweite Saisonhälfte fiel schwächer aus, was seine Platzierung im UCI-Ranking drückte.
Gemeinsam mit Stuyven und Van Baarle kann das Trio die traditionelle Drei-Spitzen-Taktik wiederbeleben, die das Wolfpack legendär machte. Man beachte: Von einer Top 10 bei einem Monument ist der Weg zu einer Top 5 – und schließlich zum Sieg – nicht weit. Also den 26-Jährigen genau beobachten!
Und wenn es damit nicht aufgeht, kann Rex den „Plan B“ ziehen und als Anfahrer zum Erfolg von Merlier oder Magnier beitragen.

Lewis Askey (Groupama - FDJ -> NSN Cycling Team)

Die größte Veränderung beim NSN Cycling Team im Vergleich zu Israel - Premier Tech scheint das Verschwinden kanadischer Fahrer zu sein. Da die Umstellung spät in der Saison erfolgte, waren die meisten Transfers wohl bereits vor dem kritischen Punkt, der Vuelta a España, entschieden. Klar ist: Die GC-Ambitionen werden mit den Abgängen des Giro-Vierten Derek Gee und des Vuelta-Fünften Matthew Riccitello aufgegeben, während Klassiker- und Sprinterabteilung gestärkt werden – vor allem durch die Verpflichtung von Biniam Girmay.
Die meiste Aufmerksamkeit wird dem Eritreer gelten, doch genau dann öffnen sich oft Chancen für seine Teamkollegen. Einer davon ist ein weiterer Neuzugang – Lewis Askey.
2026 ist sein erstes Jahr außerhalb der Ausbildungsformation Groupama - FDJ. Der 24-jährige Brite bringt ein komplettes Paket zu NSN: Vielseitigkeit für hügelige Profile, einen starken Punch für Finale sowie Technik und Motor, um auf Kopfsteinpflaster und Schotter zu glänzen.
Trotz dieses Skillsets dauerte es bis Mai, ehe Askey sein erstes Profirennen gewann: die Boucles de l'Aulne. Eine Woche später legte er mit einem Etappensieg bei den 4 Jours de Dunkerque nach und wurde Gesamtzweiter. Anschließend fuhr er bei der Tour de Suisse zweimal auf ein Etappenpodium.
Lewis Askey hinterließ 2025 einen starken Eindruck
Lewis Askey hinterließ 2025 einen starken Eindruck
Wie bei Rex lief auch bei Askey die zweite Saisonhälfte alles andere als ideal, doch die Basis ist gelegt. Der Brite wird 2026 einer der spannendsten Namen für die Klassiker sein, wenn er gemeinsam mit seinen Landsleuten Jake Stewart und Ethan Vernon antritt.
Am wahrscheinlichsten peilt er erneut .1- und .Pro-Rennen an, doch er kann auch bei großen Terminen wie Omloop Het Nieuwsblad, Gent-Wevelgem oder der Bretagne Classic um Topresultate fahren.

Matyáš Kopecký (Novo Nordisk -> Unibet Rose Rockets)

Unibet Rose Rockets hat eines der beeindruckendsten Transferfenster hingelegt, die der Radsport je gesehen hat. Das französisch-niederländische Team war zuletzt eine solide ProTeam-Mannschaft im Mittelfeld, erzeugte mehr Aufmerksamkeit über seine Social-Kanäle als über Resultate – wobei Lukáš Kubiš eine erwähnenswerte Ausnahme war und es in die Top 60 der UCI-Rangliste schaffte. Für die kommende Saison wird das Team durch die Starzugänge der Tour-de-France-Etappensieger Dylan Groenewegen, Wout Poels und Victor Lafay komplett transformiert.
Damit erscheint die Mannschaft von Bas Tietema plötzlich als Topfavorit auf eine Tour-Wildcard. Und Matyas Kopecky könnte zu den ausgewählten „8“ gehören, die zur Grand-Boucle-Premiere des Teams fahren.
Dass der 22-Jährige früher oder später im WorldTour-Peloton oder bei einem großen ProTeam landet, deutete sich seit ein paar Jahren an. Als herausragender Diabetiker-Athlet von Team Novo Nordisk zog der in den Niederlanden lebende tschechische Allrounder bereits in seiner zweiten Profisaison großes Interesse auf sich, unter anderem mit Rang 5 bei der U23-EM auf dem VAM-Berg-Rundkurs.
Die folgenden zwei Jahre standen für ihn im Zeichen stetiger Entwicklung und beeindruckender Konstanz: In zwei Dritteln seiner Rennen fuhr er in die Top 25, dazu kamen über 20 Platzierungen in den Top 10. Meist gelang ihm das in entscheidenden Rennphasen mit sehr begrenzter – wenn überhaupt vorhandener – Teamunterstützung.
Matyas Kopecky spricht bei einer Teampräsentation in der Saison 2025
Matyas Kopecky ist ein Vorbild für alle Diabetiker-Athleten: Seine Erkrankung setzt keine Grenzen
Tatsächlich hätte ich erwartet, dass ein noch größeres Team den Klassiker-Spezialisten verpflichtet. Vielleicht schrecken Topmannschaften vor den zusätzlichen Herausforderungen durch Diabetes zurück. Denn nach den Leistungsdaten müsste der Tscheche für viele Spitzen-Teams äußerst attraktiv sein.
Die Saison 2026 wird für Kopecky eine große Aufgabe, vermutlich mit seinen ersten tiefen Einblicken in die flämischen Klassiker. Zum Glück hat er mit seinem älteren Bruder Tomáš den bestmöglichen Wegweiser, der bereits mit Platz 7 beim GP Denain und Rang 33 bei Paris–Roubaix bei seinem Debüt auf sich aufmerksam machte. Gemeinsam mit dem Slowaken Kubiš kann Unibet eine schlagkräftige Klassiker-Aufstellung für die Zukunft formen.
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