„Alles in allem ist es ein ziemliches Kuddelmuddel“ – Thomas De Gendt enthüllt das Chaos hinter der Fusion von Lotto–Intermarche

Radsport
Freitag, 21 November 2025 um 15:15
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Thomas De Gendt hat eine der offensten Einschätzungen zur turbulenten Fusion Lotto–Intermarche abgegeben und eingeräumt, dass die betroffenen Fahrer durch eine „höllische“ Phase der Ungewissheit gehen und ohne die Informationen dastehen, die sie für ihre Zukunftsplanung brauchen.
Der 39-jährige Routinier, der vergangenen Winter nach über einem Jahrzehnt bei Lotto zurücktrat, nutzte seine aktuelle Cycling News-Kolumne, um die Kommunikationsdefizite, finanziellen Spannungen und Folgewirkungen anzuprangern, die seit dem Sommer den gesamten Transfermarkt einfrieren.
„Alles in allem ist das, wenn man sich das ansieht, ein ziemliches Schlamassel.“
Es ist eine ungewöhnlich scharfe Analyse von einem Fahrer, der eher für trockenen Humor als für explosive Kommentare bekannt ist, doch der Belgier macht klar, dass es hinter den Kulissen weit chaotischer zugeht, als Fans ahnen.

Fahrer „wissen nicht, ob sie drin oder draußen sind“ – und viele leben in Angst

Für De Gendt ist der Ausgangspunkt jeder Fusion brutal einfach: „Sobald im Peloton eine Teamfusion aufkommt, ist die Standardreaktion der betroffenen Fahrer: ‚Oh Scheiße, vielleicht habe ich keinen Job mehr.‘“
Er betont, dass Stars wie Arnaud De Lie und Biniam Girmay sicher sind, der Rest des Kaders aber monatelange Unsicherheit durchlebt.
„Was ich aus der Lotto–Intermarche-Situation höre, ist, dass die Fahrer wirklich nichts über das Team wissen, und eine beträchtliche Zahl weiß selbst im November noch nicht, ob sie drin oder draußen sind“, erklärt De Gendt. „Die weniger bekannten und die jungen Fahrer müssen sich sicher große Sorgen um Job und Zukunft machen… für diese Fahrer ist es ein bisschen wie in der Hölle.“
De Gendt argumentiert, die Ungewissheit betreffe nicht nur die beiden fusionierenden Teams – sie lähme den gesamten Markt, weil niemand Fahrer verpflichten will, die nach Klärung der Lage plötzlich verfügbar sein könnten. „Im Allgemeinen blockiert eine solche Fusion den gesamten Transfermarkt.“
Thomas De Gendt
De Gendt war über Jahre eine Stütze des Lotto-Teams

Die Sponsoren-Kettenreaktion: „Cube hat kein Team mehr zu sponsern“

Einer seiner schärfsten Punkte betrifft Ausrüster und Radpartner. Da das fusionierte Team Berichten zufolge 2026 zu Orbea wechselt, steht der bisherige Lieferant Cube plötzlich ohne WorldTour-Heimat da.
„Ich habe gehört, dass Orbea 2026 die neue Radmarke des fusionierten Teams ist, das heißt, Cube hat kein Team mehr zu sponsern, und ich kann mir vorstellen, dass die Marke trotzdem in der WorldTour bleiben möchte.“
Er warnt, dass Gleiches für Bekleidung, Material und sekundäre Sponsoren gilt – ein Welleneffekt, der den Markt zusätzlich destabilisiert.

Düstere Parallele: als 90 Fahrer 20 Jobs jagten

De Gendts Klartext speist sich aus eigener Erfahrung. 2013 brach Vacansoleil zusammen und mehrere Teams lösten sich auf – einer der brutalsten Winter der jüngeren Radsportgeschichte.
„Plötzlich waren 90 Fahrer auf dem Markt für etwa 20 freie Plätze in Teams“, erinnert sich der Belgier. „Ich hätte jedes Angebot vom Tisch akzeptiert… ich musste mich mit einer Gehaltskürzung um 80% abfinden.“
Er betont, dass die aktuelle Fusion für eine neue Generation exakt dasselbe Szenario erzeugen könnte. „So wie es jetzt ist – man kann kein bestimmtes Gehalt verlangen… man hat keinerlei Verhandlungsmacht.“

„Sie kennen immer noch nicht die ganze Geschichte“ – und die Kommunikation liegt brach

Einer seiner schärfsten Kritikpunkte richtet sich gegen die sich wandelnde interne Struktur bei Lotto. Er stellt das frühere, familiäre Umfeld unter Marc Sergeant und Herman Frison dem gegenüber, was Fahrer heute erleben.
„Als ich da war, war alles familiär und alle waren freundlich… aber jetzt wirkt es auf mich weniger offen, und vielleicht werden gewisse Dinge geheim gehalten“, sagt De Gendt. „Wenn über die Zukunft des Teams Geheimniskrämerei herrscht… und die Fahrer im November immer noch nicht die ganze Geschichte kennen, ist das für mich ein großes Problem.“
Er verweist zudem auf die schwerfälligen Managementprozesse, die Lotto aus seiner Sicht wiederholt wertvolle Verpflichtungen kosteten. „Wenn der Lohn über 350.000 € lag, musste es in eine Vorstandssitzung… in diesem Prozess haben sie viele gute Fahrer verloren, weil alles zu lange dauerte.“
Im Gegensatz dazu habe Patrick Lefeveres direkte Entscheidungsgewalt bei QuickStep schnelle, entschlossene Moves ermöglicht.

Budgetzweifel und 2,5 Millionen € Schulden: Die Zahlen passen nicht

Der finanzielle Teil von De Gendts Kolumne ist wohl der explosivste. Nach seinen internen Informationen existiert das versprochene Superbudget für das fusionierte Team schlicht nicht.
„Intermarche soll 2,5 Millionen € Schulden haben“, berichtet er. „Lotto dachte, dass Intermarche 2026 15 Millionen € einbringt… ich habe jedoch gehört, es ist deutlich weniger.“
Hinzu kommen Sponsoren, die nicht mitgehen, sowie Verträge, die abgefunden werden müssen: „Das neue Team hätte die Verträge der Fahrer zahlen müssen, die nicht bleiben… das sind rund elf Verträge, die sie auszahlen mussten.“
Sein Gesamtfazit ist drastisch: „Ich halte es nicht für besonders positiv, zwei Teams in Schwierigkeiten zu fusionieren, denn am Ende scheint ein fusioniertes Team weiter in Schwierigkeiten zu sein und das andere zu verschwinden.“
Er hat die menschlichen Kosten, die Marktblockade, das Sponsorenchaos, strukturelle Schwächen und die finanzielle Instabilität mit einer Klarheit offengelegt, wie sie nur wenige Insider öffentlich formulieren. Und sein Schlussakkord dürfte diese Geschichte noch Monate begleiten: „Alles in allem… es ist ein ziemliches Schlamassel.“
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