„Wenn man diese Phase übersteht, kann man fliegen“ – Demi Vollering spricht offen über Zyklus, Druck und Befreiung

Radsport
Montag, 06 Oktober 2025 um 20:00
demi vollering
In einer Sportart, die sich oft durch Härte, Schweigen und eiserne Disziplin definiert, hat Demi Vollering ein Tabu gebrochen. Die niederländische Topfahrerin sprach nach ihrem überlegenen Solosieg bei den Europameisterschaften 2025 in Frankreich offen über ein Thema, das im Profisport noch immer gemieden wird: die Auswirkungen des Menstruationszyklus auf die Leistungsfähigkeit von Sportlerinnen.
„Es überrascht mich, wie sehr meine Worte in der Gesellschaft ankommen“, sagte die 28-Jährige im Gespräch mit Het Nieuwsblad. „Leider gibt es auch negative Reaktionen. Aber im Großen und Ganzen ist es positiv – und wenn ich auch nur ein paar Menschen helfen kann, macht mich das glücklich.“
Vollering hat ihre Plattform in den vergangenen Jahren bewusst genutzt, um über Themen zu sprechen, die im Spitzensport lange verschwiegen wurden. Mit ihrer Offenheit stellt sie sich in eine wachsende Reihe von Athletinnen, die Transparenz fordern, wenn es um Menstruationsgesundheit und körperliche Belastung geht.

Biologie statt Taktik – Vollering erklärt das Unsichtbare

Die Niederländerin blickt auf eine durchwachsene Weltmeisterschaft in Ruanda zurück, wo sie im Straßenrennen nur Siebte wurde. Nun erklärte sie, dass ihr Körper zum falschen Zeitpunkt reagiert habe – nicht aufgrund taktischer Fehler, sondern biologischer Faktoren. „Ich hatte das gleiche Problem wie bei Lüttich-Bastogne-Lüttich Anfang des Jahres“, sagte sie. „In Ruanda hat es mich wieder erwischt.“
Sie beschreibt die Auswirkungen präzise und unverblümt: „Die Herzfrequenz und die Körpertemperatur sind höher, die Atmung wird unregelmäßiger. Du fühlst dich einfach nicht wohl in deinem Körper, und das wirkt sich auch auf dein Selbstvertrauen aus. Aber wenn man diese Phase übersteht, wie ich es bei der EM getan habe, kann man manchmal fliegen.“

Ein Sieg als Befreiungsschlag

Diese „Flucht“ gelang Vollering auf eindrucksvolle Weise: ein 39 Kilometer langer Alleingang über die anspruchsvollen Straßen der Ardèche, der ihr nicht nur die Goldmedaille, sondern auch ein tiefes Gefühl der Erleichterung brachte. „Ich wusste, dass mir der lange Anstieg liegt und dass ich dort angreifen wollte“, erklärte sie. „Ich wollte es für die Mannschaft zu Ende bringen – und das haben wir geschafft.“
Nach einer Saison voller Höhen und Tiefen war der Erfolg ein Befreiungsschlag. Eine Krankheit bei der Tour de Suisse hatte ihre Form im Sommer beeinträchtigt, und auch die Weltmeisterschaften waren ein Rückschlag gewesen. Doch der anschließende Höhentrainingsblock in Livigno brachte sie zurück auf Kurs – bis die Menstruation erneut zum ungünstigsten Zeitpunkt kam.

Mehr als Zahlen und Medaillen

Trotz ihrer Erfolge – Vollering zählt längst zu den dominierenden Fahrerinnen des Pelotons – will sie den Fokus erweitern. Für sie geht es nicht nur um Siege, sondern auch darum, Bewusstsein zu schaffen. „Manchmal versuche ich, zu viel zu tun“, sagte sie rückblickend auf die Weltmeisterschaften 2024 in Zürich. „Ich wollte alles perfekt machen – und es hat einfach nicht funktioniert. Diesmal habe ich beschlossen, etwas mehr loszulassen. Darüber habe ich sogar mit Nationaltrainer Laurens ten Dam gesprochen. Und es hat einfach geklickt.“
Vollering beschreibt sich selbst als Perfektionistin – ehrgeizig, fokussiert, kompromisslos. Doch in Frankreich fand sie die Balance zwischen Kontrolle und Vertrauen. „Es gibt immer Enttäuschungen – wie bei den Weltmeisterschaften – aber ich hänge nicht an der Vergangenheit“, sagte sie. „Ich bin eine Gewinnerin und schaue immer nach vorne. Wenn wir so gewinnen, gemeinsam, ist das noch befriedigender.“
Mit ihrer Offenheit und ihrem Sieg sendet Vollering eine starke Botschaft – an junge Sportlerinnen, an Trainer und an den gesamten Radsport: Körperliche Realität ist kein Zeichen von Schwäche. Sie gehört zum Sport, genau wie Wille, Talent und Mut.
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