Thomas Voeckler hat eine der deutlichsten Einschätzungen zum aktuellen Männer-Peloton abgegeben: Er würdigt Tadej Pogačars außergewöhnliches Leistungsniveau, warnt jedoch zugleich, dass die Dominanz von UAE Team Emirates – XRG eine Wettbewerbssituation geschaffen hat, mit der viele Teams schlicht nicht mehr mithalten können.
Im Gespräch mit Cyclism’Actu stellte der französische Nationaltrainer klar, dass Pogacars sportliche Brillanz unbestreitbar sei. Zugleich räumte er offen ein, dass diese Überlegenheit für die Spannung im Rennen problematisch geworden ist. „Pogacar ist bewundernswert. Was er macht, ist unglaublich – mit einer Einfachheit und einer Rennfreude, die Respekt erzwingt. Aber ja: Es ist langweilig.“
Diese unverblümte Einschätzung untermauerte Voeckler mit einem konkreten Beispiel. Bei den Europameisterschaften, so erklärte er, verschob sich der Fokus des gesamten Rennens auf das Geschehen hinter Pogacar: „Bei der EM lag das Interesse … beim dritten Platz. Das Publikum schaute darauf, wer aufs Podium fährt. Man kann nicht behaupten, dass das ideal für die Spannung ist.“
Für Voeckler geht es dabei jedoch nicht allein um einen überragenden Athleten, sondern um das System, das ihn umgibt. „Die Dominanz von UAE wirft auch Fragen für die Konkurrenz auf. Wenn ein Team die besten jungen Talente verpflichtet, die Mittel hat, alles zu optimieren und möglicherweise in einem anderen finanziellen Rahmen agiert als Mannschaften mit klassischen Sponsoren, destabilisiert das am Ende den Markt.“
Die Realität, so sein Fazit, sei ernüchternd: Um heute im Konzert der WorldTour-Topteams mitzuspielen, brauche es Investitionen in einem Ausmaß, das viele langjährige Sponsoren nicht mehr stemmen können. „Um heute in den Top 10 der Welt mitzuspielen, braucht man ein Budget, das sich im Vergleich zu vor fünf Jahren verdoppelt hat. Das ist für viele nicht mehr tragfähig.“
„Ein massiver Geldzufluss hat alles in die Luft gejagt“
Voeckler ist überzeugt, dass die finanzielle Transformation der vergangenen Jahre den Radsport weit stärker verändert hat, als viele Fans wahrnehmen. „Der massive Geldzufluss hat alles explodieren lassen: Gehälter, Budgets, Erwartungen. Und nicht einmal alle Helfer profitieren davon. Viele Unternehmen können heute nicht mehr wie früher in den Radsport investieren – die Summen sind einfach zu hoch.“
Diskussionen über mögliche Gegenmaßnahmen – Salary Cap, Budgetobergrenzen oder Umverteilung – lassen ihn skeptisch zurück. Eine einfache Lösung sieht er nicht. „Ich denke viel darüber nach, aber ich habe keine Wunderformel. Eine Budgetobergrenze könnte helfen, aber dafür bräuchte es echten gemeinsamen Willen. Und der Rugby zeigt, dass es selbst mit Salary Cap immer Schlupflöcher gibt. Diese Inflation zu bremsen, wäre gut, aber dafür müsste man Teams, UCI und Veranstalter an einen Tisch bekommen. Das ist enorm komplex.“
Bis dahin, so seine Einschätzung, wird sich die Schieflage eher verstärken als entschärfen. „Eine Handvoll Fahrer monopolisiert die Siege – und damit die Punkte. Ohne ein oder zwei große Leader, die regelmäßig um den Sieg fahren können, ist es heute fast unmöglich, in der Nationenwertung mitzuhalten.“
Bezahlter Streckenrand? „Wir müssen den freien Geist des Radsports bewahren“
Vor dem Hintergrund neuer Ideen zur Generierung zusätzlicher Einnahmen – etwa über kostenpflichtige Zuschauerzonen an ikonischen Anstiegen der
Tour de France – bezieht Voeckler klar Stellung. Für ihn ist ein solcher Schritt undenkbar. „Wir müssen den freien Zugang zum Radsport bewahren: Er ist ein starkes Symbol.“
Begrenzte Hospitality-Bereiche hält er für vertretbar, warnt jedoch entschieden davor, das Wesen der Tour anzutasten. „Man kann sich einige sehr begrenzte Premium-Zonen vorstellen, um Partner oder Entscheidungsträger anzuziehen … aber wer
Christian Prudhomme bittet, die letzten fünf Kilometer der Alpe d’Huez kostenpflichtig zu machen, der bleibt nicht lange in seinem Büro.“
Zugleich betonte er, dass selbst höhere TV-Einnahmen strukturelle Probleme nicht lösen würden. „Viele Rennen müssen für ihre TV-Produktion bezahlen. Große Veranstalter verdienen mit einigen Events, machen mit vielen anderen aber Verlust. Eine Umverteilung könnte helfen, aber sie wird das Kräfteverhältnis zwischen einem Team wie UAE und einer kleineren Formation nicht ausgleichen.“
Voecklers Wunsch für 2026: endlich Spannung
In einem der vielleicht aufschlussreichsten Momente des Gesprächs sprach Voeckler offen aus, was viele Fans seit Längerem empfinden. „Ein bisschen mehr Spannung … Ich verehre Pogacar, aber wenn er ein Rennen startet, ist die Spannung oft begrenzt.“
Diese Realität, so ergänzt er, beeinflusst längst die Saisonplanung. „Sie bringt manche Fahrer dazu, Rennen zu meiden, bei denen er am Start steht – außer bei der Tour, zu der alle müssen.“
Trotz dieser Dominanz bleibt Voeckler zuversichtlich mit Blick auf die französischen Perspektiven. „Wir haben viele junge Fahrer, die den nächsten Schritt machen können: Romain Grégoire, Kevin Vauquelin, Paul Magnier … Wenn einige von ihnen dieses nächste Niveau erreichen und zu regelmäßigen Außenseitern oder mehr werden, haben wir eine großartige Saison. Ein offeneres, unberechenbareres 2026 – das wäre perfekt.“