„Ich habe total mitgefiebert – im wahrsten Sinne des Wortes“ – Jan Ullrich zieht euphorische Tour-de-France-Bilanz

Radsport
durch Nic Gayer
Dienstag, 29 Juli 2025 um 12:00
jan ullrich 3
„Was für ein Teufel“, ruft Rick Zabel begeistert, als er mit Jan Ullrich die Schlussetappe der Tour de France 2025 Revue passieren lässt. Dieser eine Satz ist sinnbildlich für die Faszination, die das größte Radrennen der Welt erneut ausgelöst hat – insbesondere bei den beiden ehemaligen Radprofis, die in ihrem Podcast „Ulle und Rick“ mit erfrischender Emotionalität und tiefem Fachwissen die Geschehnisse der vergangenen drei Wochen analysieren.
Die Tour endete mit einem Novum: Statt des traditionellen Schlussspurts auf der Champs-Élysées wählte man in Paris eine Route über den Montmartre. Drei Mal erklommen die Fahrer den Hügel im Herzen der französischen Hauptstadt – und das bei Regen und über glitschiges Kopfsteinpflaster. Ein Finale, das alles andere als eine Kaffeefahrt war.

"Das war meine schönste Paris-Erinnerung jemals"

Rick Zabel war live vor Ort. „Ich glaube, das war vielleicht meine schönste Paris-Erinnerung jemals“, gesteht er. Die Atmosphäre, die Emotionen, das Wiedersehen mit Kollegen und Freunden – für Zabel war es ein Höhepunkt. Gemeinsam mit seiner Frau Leonie verbrachte er ein unbeschwertes Wochenende in Paris. Ohne berufliche Verpflichtungen, nur als Fan. Doch der Enthusiasmus, mit dem er über die Fahrer, Teams und Fans spricht, zeigt: Der Radsport ist und bleibt für ihn mehr als nur ein Beruf.
Sorgte mit seinem Sieg auf der letzten Etappe für einen emotionalen Tour-Abschluss: Wout Van Aert
Sorgte mit seinem Sieg auf der letzten Etappe für einen emotionalen Tour-Abschluss: Wout Van Aert
Einen besonderen Fokus legte die Rennjury in Paris auch auf die Sicherheit und Fairness – deutlich wurde das mit der Entscheidung, die Zeitnahme für die Gesamtwertung bereits vor dem eigentlichen Zielstrich einzufrieren. „Ich glaube, das war bei Zielüberfahrung vier oder so“, erinnert sich Zabel. Ein Schritt, der durch das schlechte Wetter gerechtfertigt war und den Fahrern erlaubte, das Finale mit mehr Risiko zu gestalten – ohne Auswirkungen auf das Klassement.
Das wiederum war wohl auch der Grund, warum sich Pogacar die Freiheit nahm, um den Etappensieg zu kämpfen. „Umso beachtlicher“, sagt Ullrich, „weil er hätte einfach rollen können.“ Auch das Grüne Trikot ging an einen Fahrer, der sich konstant durchsetzte: Jonathan Milan bewies auf den Flachetappen seine Endschnelligkeit und holte sich verdient das Maillot Vert. „Der war einfach eine Macht im Sprint“, lobt Zabel.

Pogacars vierter Triumph – und doch kein Selbstläufer

Tadej Pogacar hat es geschafft: Sein vierter Tour de France-Triumph steht in den Büchern. Doch einfach war der Sieg keineswegs. Insbesondere Etappe 18 mit dem brutalen Schlussanstieg auf den Col de la Loze war von vielen als Königsetappe eingestuft worden. Dort sollte sich entscheiden, ob Jonas Vingegaard das Ruder doch noch herumreißen kann.
„Da lag richtig Spannung in der Luft“, so Ullrich. Doch am Ende war es Pogacar, der taktisch klug agierte, sich nicht aus der Reserve locken ließ und immer wieder konterte. Selbst am letzten Tag, als die Gesamtwertung längst eingefroren war, attackierte er auf der Montmartre-Etappe. „Er wollte einfach noch mal gewinnen“, so Zabel, „und das ist das, was ihn so besonders macht.“
Eine kleine Randnotiz aus dem Podcast dürfte für viele Fans eine große Nachricht sein: Tadej Pogacar wird die Vuelta Espana 2025 wohl auslassen. „Er hat gesagt, dass er in der dritten Woche richtig müde war“, berichtet Zabel. Es sei körperlich und mental spürbar gewesen – selbst Interviews und sein sonst so charismatischer Auftritt wirkten verändert. „Er war nicht mehr der lockere, verspielte Pogi, wie man ihn kennt“, so Zabel weiter.
Diese Aussagen lassen vermuten, dass sich Pogacar auf andere Ziele konzentrieren wird – etwa die Lombardei-Rundfahrt oder die Weltmeisterschaft. Ullrich stimmt zu: „Man hat schon gemerkt, der war durch. Aber trotzdem: Wie er das nach Hause gefahren hat, war beeindruckend.“
Doch einer war auf der finalen Etappe noch stärker: Wout Van Aert. Der Belgier krönte seine aufopferungsvolle Tour mit einem fulminanten Etappensieg in Paris – nach unzähligen Versuchen und Rückschlägen. „Da sieht man wieder, was für ein unfassbarer Fahrer er ist“, lobt Ullrich.

Florian Lipowitz – Deutschlands neuer Hoffnungsträger

Im Mittelpunkt vieler Gespräche: Florian Lipowitz. Der Deutsche überrascht bei seiner ersten Tour mit dem dritten Gesamtrang und dem Gewinn des Weißen Trikots. „Einfach unglaublich“, schwärmt Ullrich. Zabel ergänzt: „Ich habe wirklich Gänsehaut bekommen.“
Lipowitz wurde zum Symbol für eine neue Generation deutscher Radsporthelden. Doch sein Weg aufs Podium war alles andere als glatt. Besonders Etappe 18 bot Anlass zur Diskussion: Das Team Red Bull - BORA - hansgrohe leistete sich taktische Fehler. Lipowitz musste auf sich allein gestellt eine große Distanz in den Alpen absolvieren – gegen den Wind, isoliert. Die Hilfe von Roglic blieb aus.
„Da hätte er Unterstützung gebraucht“, analysiert Ullrich und zeigt Verständnis für die Kritik vieler Fans. Zabel verteidigt dennoch die Gesamtleistung: „Trotz der Fehler – sie haben ihr Ziel erreicht. Lipowitz steht auf dem Podium.“
Besonders bewegend war für Zabel das Gespräch mit Lipowitz’ Familie nach der letzten Etappe. „Sie waren demütig, bodenständig, fast ehrfürchtig vor dem, was da auf sie zukommt. Kein bisschen abgehoben.“ Ein Hoffnungsschimmer für den deutschen Radsport, da sind sich beide einig.

Die Alpen als Wendepunkt – taktisches Chaos und mentale Stärke

Etappe 18 – mit 5.400 Höhenmetern über Col de la Madeleine, Col de la Loze und Co. – wurde zum Taktik-Krimi. Die große Attacke vom Team Visma - Lease a Bike um Vingegaard blieb ohne Ertrag. Zabel kritisiert: „Sie haben Pogacar isoliert, hatten Jorgenson in der Spitzengruppe – aber dann fährt der weg, statt im Tal für Jonas Tempo zu machen. Das war schwer zu verstehen.“
Auch die BORA-Strategie sorgte für Stirnrunzeln. Roglic wartete nicht auf Lipowitz, der daraufhin alleine durch die Abfahrt musste. Eine kraftraubende Solo-Fahrt, die ihm am Ende beinahe das Podium kostete. „Da wurde viel verschenkt“, konstatiert Ullrich. Trotzdem: Lipowitz hielt stand. Auf der Etappe nach La Plagne zeigte er erneut seine Klasse, konterte Oscar Onleys Angriffe und sicherte sich seinen dritten Platz.
„So abgeklärt – obwohl er erst zwei Jahre in der WorldTour fährt“, schwärmt Ullrich. Auch Pogacar gratulierte ihm im Ziel persönlich. Ein Zeichen des Respekts unter großen Fahrern.

Emotionale Etappensiege und die Magie von Paris

Besonders bewegend erlebte Rick Zabel den Moment nach der Etappe in Paris an den Team-Bussen. Dort, wo sich Emotionen oft ungefiltert zeigen. „Da treffen die Fahrer das erste Mal wieder auf ihre Familien“, berichtet er. Besonders bei Red Bull - BORA - hansgrohe herrschte eine euphorische Stimmung. „Da war ich dann auch bei Ralph Denk, dem Teamchef, der hatte Tränen in den Augen“, erzählt Zabel.
Auch Gespräche mit Fahrermanager Marc Bator hinterließen Eindruck – dieser betreut mit Lipowitz und Felix Gall zwei der Top-5-Fahrer dieser Tour. „Er sagte, dass das ein Tag ist, den er sich immer erträumt hat.“ Für Zabel ist klar: „Das sind die Geschichten, die man sonst nicht mitbekommt – und die zeigen, wie viel Radsport in Deutschland gerade wieder bedeutet.“
Neben Lipowitz waren es Fahrer wie Thymen Arensman oder Caden Groves, die mit emotionalen Siegen für Gänsehautmomente sorgten. Groves triumphierte nach einer starken Solofahrt – für Zabel „wahrscheinlich sein schönster Sieg überhaupt.“
Etappe 20 war ein letzter wilder Ritt für die Etappenjäger. Bei nassem Wetter gelang Groves der entscheidende Angriff. Der Sturz von Ivan Romeo spielte ihm zwar in die Karten, doch letztlich war es seine Stärke am Anstieg, die ihm den Tagessieg brachte.
Die Bilder aus Paris – Fahrer mit Familien, der Antrag von Quinn Simmons an seine Freundin auf der Champs-Élysées – machten einmal mehr klar: Die Tour ist weit mehr als ein Radrennen.
„Da kommen Tränen“, gesteht Ullrich bewegt. Besonders der Abschied von Geraint Thomas – 14 Tour-Teilnahmen, ein Sieg 2018 – ließ keinen der beiden kalt. „Chapeau für diese Karriere“, so Zabel.

Die neue Generation ist bereit

Auch bei der Tour de France Femmes, die zeitgleich begann, zeigen sich spannende Entwicklungen. Marianne Vos gewinnt zum Auftakt und Mavi García feiert einen Solosieg.
Zabel und Ullrich kündigen für die nächste Podcast-Folge eine ausführliche Analyse der Tour der Frauen an. Für jetzt aber bleibt der Fokus auf dem, was war: eine der emotionalsten, dramatischsten und spannendsten Frankreich-Rundfahrten der letzten Jahre.
Und obwohl die Tour nun vorbei ist, bleibt der Radsportkalender randvoll. Rick Zabel wirft bereits einen Blick voraus: Der Klassiker von San Sebastián steht unmittelbar bevor, gefolgt von den Cyclassics Hamburg und der Deutschland-Tour im August. Spannend bleibt auch die Transferphase: „Ich habe so viele Gespräche in Paris geführt, aber ich darf noch nix verraten“, sagt Zabel.
Ab dem 1. August wird es offiziell – dann dürfen Wechsel bekannt gegeben werden. Besonders heiß diskutiert: Ein möglicher Wechsel von Anton Schiffer zu Visma-Lease a Bike. „Ich glaube, das kommt“, spekuliert Zabel. Für Fans verspricht das einen goldenen Spätsommer – mit neuen Geschichten, neuen Duellen und vor allem: neuen Helden.

Ullrich und Zabel Auf Wolke 7

Am Ende der Folge wird klar, wie sehr auch Zabel und Ullrich vom Tour-Fieber gepackt sind. „Ich bin komplett glückselig“, sagt Zabel, der sich in Paris unter die Menge mischte, mit alten Kollegen anstieß und die besondere Atmosphäre aufsaugte.
„Er hat sich diesen Erfolg verdient – mit Herz, Klasse und Demut“, sagt Ullrich über Lipowitz. Die beiden blicken freudig zurück – auf Pogacars Dominanz, auf van Aerts Auferstehung, auf emotionale Siege und auf taktische Dramen. „Das war eine richtig, richtig lässige und tolle Tour de France. Ich habe total mitgefiebert - im wahrsten Sinne des Wortes“, lachte Ullrich zum Abschluss.
Klatscht 0Besucher 0
loading

Gerade In

Beliebte Nachrichten

Loading