Wenn
Remco Evenepoel ab 2026 offiziell das Trikot von Red Bull – BORA – hansgrohe trägt, ist das mehr als nur ein Transfer mit Schlagzeilenpotenzial. Es ist eine strategische Allianz: Einer der talentiertesten Fahrer seiner Generation trifft auf einen der angesehensten Performance-Experten des modernen Radsports – Dan Lorang.
Das Ziel ist klar formuliert: die Lücke zu
Tadej Pogacar zu schließen, dem Fahrer, der die 2020er-Jahre bislang geprägt hat. Für das Team bedeutet dieser Schritt, eine neue Entwicklungsstufe zu erreichen. Für Evenepoel ist es die Chance, seine Karriere in einem Umfeld fortzusetzen, das auf langfristige Grand-Tour-Erfolge ausgelegt ist.
Der Architekt hinter der Leistung
Dan Lorang ist kein Mann der großen Worte – aber seine Arbeit spricht für sich. Seit fast einem Jahrzehnt ist der 45-Jährige Teil des inneren Zirkels von BORA – hansgrohe und gilt als Architekt der Leistungsstrukturen, die das Team vom ambitionierten Herausforderer zu einer festen Größe der WorldTour gemacht haben.
Lorangs Hintergrund ist unkonventionell: Der gebürtige Luxemburger kam über den Triathlon zum Leistungssport, nachdem eine Knieverletzung seine Fußballkarriere beendet hatte. Im Triathlon betreute er Weltstars wie Jan Frodeno und Anne Haug und machte sich einen Namen für Präzision, Methodik und seine Fähigkeit, Athleten ganzheitlich zu verstehen.
„Beim Coaching geht es nicht nur um Zahlen und Daten“, sagt Lorang in einem Interview mit HLN. „Es geht um die menschliche Seite – darum, Vertrauen aufzubauen und zu verstehen, was ein Athlet wirklich braucht.“
Diese Philosophie hat BORA – hansgrohe geprägt – und sie soll nun auch Evenepoel zugutekommen.
Kleine Schritte, große Wirkung
Lorang glaubt nicht an Wundermethoden. Er vertraut auf schrittweise, nachhaltige Entwicklung – auf viele kleine Fortschritte, die über Monate und Jahre zu messbaren Erfolgen führen.
„Es gibt keine Einheitslösung, die für alle funktioniert“, erklärt er. „Jeder Fahrer hat individuelle Stärken, Schwächen, mentale Muster und physiologische Grenzen. Meine Aufgabe ist es, das herauszufinden – und dann die richtigen Werkzeuge bereitzustellen.“
Diese Herangehensweise könnte für Evenepoel genau zur richtigen Zeit kommen. Der Belgier hat in jungen Jahren bereits eine beeindruckende Liste an Erfolgen vorzuweisen: Weltmeistertitel im Einzelzeitfahren, ein Sieg bei der Vuelta a España, mehrere Monumente und das Regenbogentrikot.
Doch im Kampf gegen Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard hat Evenepoel noch nicht das letzte Puzzlestück gefunden. Bei BORA – hansgrohe will er dieses fehlende Element – Konstanz über drei Wochen – unter der Leitung von Lorang weiterentwickeln.
Ein Wechsel, der mehr ist als ein Trikot
Für Evenepoel bedeutet der Schritt zu Red Bull – BORA – hansgrohe auch eine Veränderung des Umfelds. Nach sieben Jahren bei Soudal – Quick-Step wechselt er von einem auf Eintagesrennen und Klassiker spezialisierten Team in eine Struktur, die sich zunehmend auf Grand Tours fokussiert.
Teamchef
Ralph Denk sieht darin eine logische Entwicklung: „Remco ist ein außergewöhnliches Talent. Aber um ihn weiterzuentwickeln, braucht er ein System, das langfristig denkt – und Menschen, die ihn verstehen. Dan ist genau dieser Typ Trainer: analytisch, ruhig und mit einem unglaublichen Gespür für Details.“
Evenepoel selbst weiß, dass er Geduld mitbringen muss. Der Belgier gilt als ehrgeizig und zielorientiert – aber auch als jemand, der aus Rückschlägen lernt. Mit Lorang bekommt er einen Coach, der genau diesen Prozess strukturiert begleiten kann.
Das Pogacar-Problem
Tadej Pogacar bleibt der Maßstab. Er hat 2025 alle fünf Monumente auf dem Podium beendet, die Tour de France gewonnen und das Regenbogentrikot verteidigt. Für Evenepoel ist das die Referenz – die Herausforderung, die seine Generation definiert.
„Um Pogacar zu schlagen, reicht es nicht, einfach stärker zu treten“, sagt Lorang. „Es geht um Planung, Regeneration, mentale Stärke und die Fähigkeit, über Wochen hinweg stabil zu bleiben. Diese Dinge entstehen nicht über Nacht.“
Für Red Bull – BORA – hansgrohe ist der Transfer daher auch ein Statement: Das Team will mehr sein als ein Außenseiter. Es will die Strukturen schaffen, in denen Fahrer wie Evenepoel ihr volles Potenzial ausschöpfen können – mit wissenschaftlicher Präzision und einem klaren Plan.
Blick nach vorn
Ab 2026 wird Lorang innerhalb des Teams eine flexiblere, fokussiertere Rolle einnehmen – weniger Management, mehr individuelle Betreuung. Evenepoel steht dabei im Zentrum, aber auch andere Fahrer sollen von dieser neuen Coaching-Struktur profitieren.
Lorang formuliert es schlicht: „Der Trainer gewinnt keine Rennen. Er schafft die Bedingungen, damit der Athlet sie gewinnen kann.“
Wenn das gelingt, könnte der Wechsel zu einem Wendepunkt in Evenepoels Karriere werden – und vielleicht der Moment, in dem die Dominanz Pogacars erstmals ernsthaft herausgefordert wird.