Die 13. Etappe der
Vuelta a Espana zum legendären Alto del'Angliru war von vornherein als entscheidend erwartet worden. Nur wenige Anstiege im Profiradsport sind so brutal: 12,4 Kilometer mit durchschnittlich fast 10 Prozent, wobei die berühmte Rampe Cueña les Cabres Steigungen von über 23 Prozent aufweist. Am Freitag war es wieder soweit:
Joao Almeida setzte sich gegen
Jonas Vingegaard durch und lieferte nach Ansicht von
Johan Bruyneel „die beste Leistung seiner Karriere“. Almeida präsentierte sich damit nicht nur als Weltklasse-Kletterer, sondern auch als Elite-GC-Fahrer, der im direkten Duell mit den stärksten Konkurrenten bestehen kann.
Im Podcast „The Move“ analysierten Bruyneel und Spencer Martin alle Aspekte des Rennens – von Almeidas bahnbrechendem Sieg über die Auswirkungen auf die Gesamtwertung bis hin zu Teamdynamiken und Kontroversen abseits der Strecke. Dabei ging es nicht nur um die Geschehnisse auf den harten Pisten von Angliru, sondern auch um die Bedeutung für die verbleibenden Etappen der Vuelta.
UAE kontrolliert das Rennen
Wie Martin erklärte, schalteten sich die Fernsehsender erst 65 Kilometer vor dem Ziel ein, doch die Form des Rennens war bereits klar: eine Ausreißergruppe ohne reale Chancen an der Spitze und dahinter
UAE Team Emirates - XRG, das das Tempo bestimmte. „Ich glaube, dass UAE gegen Ende des vorletzten Anstiegs vorne ist und dann in den Schlussanstieg geht“, sagte er. Domen Novak, Jay Vine und Felix Großschartner legten ein Lehrbuch-Tempo vor, wobei die Leistung des Österreichers besonders auffiel. „Großschartner machte vorne so viel Druck, dass er sogar Joao Almeida überholte, der am zweiten Rad sitzt, und Tom Pidcock abhängte.“
Joao Almeida schlägt Jonas Vingegaard auf dem Angliru
Am Fuße des Angliru hatte sich das Feld auf Vingegaard, Almeida, Sepp Kuss, Jai Hindley und Pidcock verkleinert. Almeida übernahm dann die Kontrolle und setzte ein Tempo, das kein anderer mitgehen konnte. „Er hat nie zurückgeschaut, Vingegaard nicht um etwas gebeten, sondern einfach bis zur Ziellinie weiter gepusht“, erklärte Martin.
Almeidas Durchbruch?
Für Bruyneel markierte die Fahrt ein neues Niveau für den Portugiesen. „Es ist das erste Mal, dass wir ihn bei dieser Vuelta auf einem so hohen Niveau und wirklich entschlossen sehen. Er fährt sein eigenes Tempo und schaut nicht zurück. Das war beeindruckend.“ Das gleichmäßige, metronomische Tempo überraschte selbst die Analysten, die einen Zusammenbruch nach einer so langen Belastung erwartet hatten. Stattdessen hielt Almeida das Tempo durch und überquerte als Erster die Ziellinie, was ihm zehn Bonussekunden einbrachte. Vingegaard kam direkt neben ihm ins Ziel, gewann sechs Bonussekunden, verlor aber insgesamt vier auf Almeida.
Martin schätzte, dass Almeida auf dem entscheidenden Abschnitt etwa 6,3 Watt pro Kilo produzierte, während Vingegaard im Vergleich zu seinen Spitzenwerten bei der Tour de France deutlich schwächer agierte. Die Überraschung war jedoch nicht Almeidas Stärke, sondern das Ausbleiben eines entscheidenden Angriffs von Vingegaard. Bruyneel: „Ich habe einen Angriff von Jonas erwartet. Ich glaube, er selbst hat heute auf einen Etappensieg gehofft. Aber er war am Limit und hatte einfach nichts mehr, um zu beschleunigen.“ Selbst 500 Meter vor dem Ziel, als die kurvige Straße in eine enge Rinne mündete, konnte Vingegaard Almeida nicht überholen. Martin bemerkte zudem, dass der Däne im Ziel etwas verunsichert wirkte und sich abseits der anderen Fahrer hielt.
Statistiken und historische Vergleiche
Interessant ist, dass kein Fahrer, der das rote Trikot des Gesamtführenden trug, jemals auf dem Angliru gewonnen hat. In über zwei Jahrzehnten scheiterten Topfahrer wie Abraham Olano 1999, Chris Horner 2013, Chris Froom 2017, Primoz Roglic 2020 und Sepp Kuss 2023, obwohl sie den Tag in Rot begannen. Selbst wenn sie nahe am Sieg waren, wie Horners zweiter Platz oder Froomes dritter Rang, hat der Berg den Erfolg verhindert.
Podiumsbild und Gesamtwertung
Hinter den Spitzenreitern rückte das Feld enger zusammen. Jai Hindley erreichte das Ziel 28 Sekunden hinter Almeida und Vingegaard, Sepp Kuss 30 Sekunden und Tom Pidcock 1:16 Minuten. Almeidas Sieg verkürzte seinen Rückstand auf Vingegaard auf 46 Sekunden. Hindley rückte auf den vierten Platz vor, nur 52 Sekunden vom Podium entfernt, während Pidcock trotz starker Belastung seinen dritten Rang verteidigte. Bruyneel bezeichnete Pidcocks Leistung als gemischtes Ergebnis: „Eine kleine Enttäuschung. Wir entdecken ihn noch in diesem Terrain. Er ist seit fast zwei Wochen im Rennen und hat noch nie eine Rundfahrt bestritten. Es war kein einfacher Tag, aber er hat seine Verluste begrenzt.“ Martin ergänzte: „Pidcock fuhr die 13. schnellste Zeit aller Zeiten auf dem Angliru. Keine schlechte Leistung.“
Für Egan Bernal verlief der Tag weniger positiv: In der zweiten Hälfte des Anstiegs schwächte er ab und wiederholte damit das Muster des Giro d’Italia, bei dem er Probleme hatte, seine Form über drei Wochen konstant zu halten.
Egan Bernal hatte mit dem Angliru zu kämpfen
Proteste behinderten die Ausreißer
Auf der Etappe kam es zu Störungen, als Demonstranten die Strecke blockierten und die Ausreißer behinderten. Das Peloton wurde nicht gestoppt, sodass die Ausreißer benachteiligt wurden. Martin erklärte: „Der Rennfunk sagte, Proteste sollen wie Bahnübergänge behandelt werden, alle Gruppen neutralisiert werden – das ist hier nicht geschehen. Man muss die Strecke sauber halten.“ Bruyneel stimmte zu: „Wenn man die Regeln anwendet, hätte man das Peloton stoppen müssen.“ Auch der Druck auf Israel - Premier Tech war spürbar. „Es gibt mehr Druck auf Israel - PremierTech, das Rennen zu verlassen“, so Bruyneel, „jeder beobachtet das.“
Mads Pedersen baute seine Führung im Punktetrikot weiter aus, indem er die Zwischensprints gewann: „Jetzt führt er mit 192 zu 122 Punkten vor Vingegaard. Es sieht sehr gut aus für Pedersen.“ Auch das Duell um das Weiße Trikot zwischen Pellizzari und Riccitello nahm Fahrt auf. Pellizzari konnte auf den letzten 500 Metern Zeit gutmachen, während Riccitello auf Platz sieben der Gesamtwertung blieb.
Ausblick auf Etappe 14
Der Blick richtet sich auf den kommenden Tag: 136 Kilometer mit über 4.000 Höhenmetern, darunter ein zweigeteilter Anstieg – zehn Kilometer hügeliger Powerpisten, gefolgt von sieben Kilometern mit fast neun Prozent Steigung. Martin: „Es wird ein GC-Tag. Kurz, brutal und interessanter als heute. Ich setze auf Almeida.“ Bruyneel: „Ich vertraue auf Vingegaard. Er ist ein Drei-Wochen-Spezialist und solide, während Almeida bekannt dafür ist, Höhen und Tiefen zu haben.“
Beide spekulierten über mögliche Ausreißer: Bruyneel sah Javier Romo von Movistar als Kandidaten, Martin meinte, Juan Ayuso könnte sich erneut nicht an Teamvorgaben halten. „Es macht keinen Sinn, er sollte nicht in der Ausreißergruppe sein, aber wir wissen ja, wie er tickt“, so Martin.
Die 13. Etappe hat die Vuelta nicht entschieden. Almeida ist ein echter Konkurrent geworden, während Hindley und Pidcock den Kampf um das Podium offenhalten. Das Rote Trikot bleibt bei Vingegaard, doch die Aura der Unvermeidbarkeit ist verschwunden. Bruyneel resümierte: „Diese Vuelta ist für Jonas noch nicht gewonnen. Er darf sich keinen schlechten Tag erlauben. Das Gleiche gilt für Almeida. Beide sind die stärksten Kletterer.“