Heute steht Gent-Wevelgem 2025 auf dem Programm, ein Rennen, das nicht nur als fester Bestandteil der Frühjahrsklassiker gilt, sondern auch für seine Mischung aus Drama und historischer Bedeutung bekannt ist. Erstmals 1934 ausgetragen, findet es in der Regel am letzten Sonntag im März statt – genau eine Woche vor der Flandern-Rundfahrt.
Obwohl das Rennen aufgrund seines flachen Ziels oft als "Sprinterklassiker" bezeichnet wird, zeigt es immer wieder, dass es mehr ist als nur eine Sprintprüfung. Unvorhersehbare Wetterbedingungen, schroffe Kopfsteinpflasteranstiege und weite, exponierte Felder, die den Wind zu einer tödlichen Waffe machen, machen es zu einer Herausforderung für die besten Fahrer.
Ein weiteres herausragendes Merkmal von Gent-Wevelgem ist seine geografische und emotionale Lage. Die Strecke führt durch die ehemaligen Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs in Westflandern. An markanten Orten wie dem Menin-Tor in Ypern – einem Denkmal für die gefallenen Soldaten – sowie dem berüchtigten Kemmelberg wird Geschichte lebendig. Die härtesten Anstiege und das unberechenbare Wetter machen das Rennen oft zu einer Prüfung des Überlebens statt eines klassischen Sprintduells.
Neben den physischen Herausforderungen trägt das Rennen auch eine tiefere Symbolik. Der Titel von Gent-Wevelgem ist eine Hommage an das Gedicht „Auf den Feldern von Flandern“, das die Tragödie des Krieges einfängt. Seit 2012 finden die Rennen der Männer und Frauen am gleichen Tag statt, was das Rennen noch bedeutungsvoller macht. Diese Elemente verleihen Gent Wevelgem einen emotionalen und taktischen Charakter, der es zu einem der spannendsten Klassiker im Radsport macht.
Im folgenden Rückblick auf fünf denkwürdige Ausgaben des Rennens – bei den Männern und Frauen – werden die besonderen Momente beleuchtet, die die Essenz dieses historischen Klassikers verkörpern.
1977: Ein unvergessener Sieg von Bernard Hinault
Der Gent Wevelgem 1977 setzte neue Maßstäbe. Mit einer Länge von 277 Kilometern war es die längste Ausgabe des Rennens und führte tief in die flämischen Ardennen. Elf Anstiege, darunter der berüchtigte Koppenberg und zwei Durchfahrten des Kemmelbergs, machten das Rennen zu einer wahren Herausforderung. Das Feld verwandelte sich in ein überlebensgroßes Durcheinander, das dem klassischen „Sprinterfinale“ widersprach.
Inmitten des Chaos setzte der 22-jährige Bernard Hinault ein Ausrufezeichen. Der junge Franzose, der damals als vielversprechendes Talent galt, setzte sich von einer Verfolgergruppe ab und siegte im Alleingang. Sein Triumph in Wevelgem war nicht nur eine Überraschung, sondern auch eine deutliche Botschaft an die Radsportwelt: Hinault war bereit, auch auf den harten Straßen Nordeuropas zu dominieren.
Dieser Sieg bekräftigte die Vielseitigkeit des Rennens und die Fähigkeit von Gent Wevelgem, Fahrer zu einem Gesamtsieg zu führen, der ebenso taktisch und prestigeträchtig ist wie die großen Monumente des Radsports.
2012: Ein historischer Moment für die Frauen
2012 trat Gent Wevelgem mit der Einführung des ersten Frauenrennens in eine neue Ära. Die britische Lizzie Armitstead (jetzt Deignan) schrieb in diesem Jahr Geschichte, als sie 40 Kilometer vor dem Ziel im Alleingang attackierte und sich mit einer mutigen Fahrt gegen Wind und Wetter durchsetzte.
Armitstead’s Soloangriff war nicht nur spektakulär, sondern auch symbolträchtig. Es war der Beginn ihrer Saison, die später mit einer olympischen Silbermedaille gekrönt wurde. Ihr Sieg zeigte eindrucksvoll, wie wichtig die Aufnahme von Frauenrennen in den Kalender der großen Klassiker war. In der Folge wurde Gent Wevelgem 2016 Teil der Women's WorldTour und setzte einen Meilenstein für den Frauenradsport.
2015: Ein brutales Rennen in den Männerklassen
Das Jahr 2015 bleibt für das Männerrennen von Gent Wevelgem in Erinnerung, weil es alle Erwartungen durchbrach. Heftige Seitenwinde zerstückelten das Feld, und Stürze sowie die brutal gegen die Fahrer ankämpfende Natur ließen nur 39 Fahrer ins Ziel kommen. Ein starker Moment des Rennens war der Sturz von Geraint Thomas, der durch eine Windböe von seinem Rad geworfen wurde – ein Clip, der zu einem der bekanntesten im Frühjahr 2015 wurde.
Inmitten des Chaos brillierte der Italiener Luca Paolini. Der 38-jährige setzte sich mit einem entschlossenen Soloangriff 6 Kilometer vor dem Ziel ab und sicherte sich den größten Sieg seiner Karriere. Es war eine Demonstration, dass Gent Wevelgem, selbst bei widrigsten Bedingungen, genauso hart und prestigeträchtig wie Paris-Roubaix oder die Flandern-Rundfahrt sein kann.
2015: Das Frauenrennen als Jugendliche Erhebung
Das Frauenrennen 2015 fand unter denselben extremen Wetterbedingungen statt, was zu einem weiteren unvergesslichen Moment führte. Floortje Mackaij, die mit nur 19 Jahren in ihrer ersten vollständigen Profi-Saison war, setzte sich in einem packenden Finale durch. Sie bildete zusammen mit ihrer Teamkollegin Amy Pieters die entscheidende Gruppe und griff in den letzten Kilometern an. Mackaijs Solosieg gilt als einer der größten Momente in der Geschichte des Frauenrennens, ein wahrer Ausdruck jugendlicher Unerschrockenheit.
2022: Biniam Girmay schreibt Geschichte
Das Jahr 2022 brachte mit Biniam Girmay einen weiteren Meilenstein in der Geschichte von Gent Wevelgem. Der Eritreer setzte sich mit einem mutigen Sprint gegen Christophe Laporte, Jasper Stuyven und Dries Van Gestel durch und wurde der erste afrikanische Fahrer, der einen großen Eintagesklassiker gewann.
Girmays Sieg war mehr als nur ein sportlicher Erfolg. Es war ein kultureller Durchbruch und ein Beweis dafür, dass der Radsport mittlerweile globaler ist als je zuvor. In diesem Rennen zeigte Girmay seine beeindruckende Taktik und Sprintkraft, die ihn nicht nur in Belgien, sondern weltweit bekannt machten. Sein Erfolg in Gent Wevelgem eröffnete eine neue Ära für den afrikanischen Radsport.
Durch diese denkwürdigen Ausgaben bleibt Gent Wevelgem nicht nur als eines der härtesten, sondern auch eines der bedeutungsvollsten Rennen der Saison im kollektiven Gedächtnis des Radsports.