„Sport benutzen, um einen Völkermord zu 'beschönigen'“ – UCI und spanische Regierung im Streit über Vuelta-Proteste

Radsport
durch Nic Gayer
Dienstag, 16 September 2025 um 14:30
VueltaAEspana 3
Die Nachwirkungen der beispiellosen Unterbrechungen bei der Vuelta a Espana 2025 halten an. Nun liefern sich die UCI und die spanische Regierung einen offenen Schlagabtausch über die Bedeutung und Legitimität der pro-palästinensischen Proteste, die das Rennen wiederholt zum Stillstand brachten.
Was mit kleineren Demonstrationen begann, eskalierte zu täglichen Störungen und gipfelte im abrupten Abbruch der Schlussetappe in Madrid. Demonstranten drangen ins Peloton ein, bewarfen Fahrer mit Flüssigkeiten und lösten Stürze aus, die zu Aufgabe mehrerer Profis führten. Die UCI verurteilte die Vorfälle scharf und sprach von einer „schweren Verletzung der Olympischen Charta und der Grundprinzipien des Sports“.

UCI zweifelt Spaniens Glaubwürdigkeit als Gastgeber an

Der Weltverband lobte zwar Polizei und Organisatoren für den Umgang mit einer „beispiellosen Situation“, richtete seine Kritik jedoch gegen die spanische Regierung. Man bedaure, dass Premierminister und Kabinett Handlungen unterstützt hätten, die den reibungslosen Ablauf des Rennens behinderten. Eine solche Haltung widerspreche „den olympischen Werten von Einheit, gegenseitigem Respekt und Frieden“. Zudem stellte die UCI die Glaubwürdigkeit Spaniens als Gastgeber künftiger Großereignisse infrage – einschließlich der Fußball-Weltmeisterschaft 2030.
Die 21. Etappe in Madrid wurde aufgrund der Protesten abgesagt
Die 21. Etappe in Madrid wurde aufgrund der Protesten abgesagt
Madrid reagierte umgehend und scharf. In einem Brief an UCI-Präsident David Lappartient drückte José Manuel Rodriguez Uribes, Staatssekretär für Sport und Präsident des Consejo Superior de Deportes (CSD), „tiefes Unbehagen und Überraschung“ über die Haltung des Weltverbands aus. Er verteidigte das Recht auf friedlichen Protest als verfassungsmäßige Garantie und erklärte, dieses werde zur „moralischen Verpflichtung“, wenn es dem Schutz der Menschenrechte diene.

Spanien verteidigt Proteste und prangert „Schönfärberei“ an

Rodriguez Uribes warf der UCI vor, durch die Kritik den Völkermord in Gaza zu beschönigen. „Es gibt weder Frieden noch Gerechtigkeit, wenn man den Sport dazu benutzt, einen Völkermord wie den in Gaza zu rechtfertigen, bei dem Tausende unschuldiger Kinder sterben und die Vereinten Nationen eine Hungersnot ausgerufen haben.“ Zudem warf er der UCI Doppelstandards vor: Während 2022 nach Russlands Angriff auf die Ukraine sofort gehandelt wurde, habe man Israel nicht gestoppt.
Gleichzeitig wehrte sich Madrid gegen Zweifel an seiner Organisationsfähigkeit. Spanien habe in den vergangenen Jahren zahlreiche internationale Großveranstaltungen erfolgreich ausgerichtet – vom Copa-Libertadores-Finale 2018 bis zu Tennis-, Motorsport- und Radsport-Events. Rodriguez Uribes schloss seinen Brief mit einer deutlichen Botschaft: „Frieden ohne Gerechtigkeit ist nichts anderes als der Frieden der Friedhöfe.“

Sport zwischen Neutralität und Aktivismus

Die Kontroverse zeigt die tiefe Kluft zwischen sportlicher Neutralität und politischem Aktivismus. Für die UCI ist die Autonomie des Sports unantastbar, für die spanische Regierung hingegen bedeutet Neutralität angesichts von Menschenrechtsverletzungen selbst ein politisches Versagen.
Nach einer Vuelta, die weniger wegen des Sieges von Jonas Vingegaard als wegen der Proteste in Erinnerung bleibt, steht der Radsport vor zentralen Fragen: Wie kann ein Sport, der auf offenen Straßen stattfindet, seine Integrität in politisch aufgeheizten Zeiten schützen? Und allgemeiner – kann er jemals eine wirklich neutrale Bühne bleiben, wenn globale Konflikte mitten durchs Peloton ziehen?
Klatscht 0Besucher 0
loading

Gerade In

Beliebte Nachrichten

Loading