Vor der Saison 2025 traf
Tom Pidcock eine mutige Entscheidung: Er verließ das Star-Ensemble der INEOS Grenadiers und schloss sich dem mittelgroßen ProTeam Q36.5 Pro Cycling an. Für den 26-jährigen Briten war es ein klares Statement – er hatte genug von den internen Machtkämpfen und der unklaren Hierarchie bei INEOS. Bei Q36.5 erhielt er die volle Unterstützung als Teamleader, auch wenn das mit einem deutlichen Gehaltsverzicht verbunden war.
Der Bruch hatte seine Wurzeln in einer zunehmend belasteten Beziehung zwischen Fahrer und Team. Vier Jahre lang arbeiteten beide Seiten zusammen, doch die Erwartungen klafften immer weiter auseinander. Pidcock, einer der bestbezahlten Profis im Peloton, blieb hinter den Resultaten zurück, die INEOS für seine Zukunft als Grand-Tour-Kapitän voraussetzte. Umgekehrt fühlte er sich zu selten konsequent unterstützt. Am Ende war die Trennung für beide Seiten eine Erleichterung.
„Q36.5 ist ein unglaublich kleines Team“,
betont Chris Horner in seiner YouTube-Analyse zur neuen Rolle des Briten. „Tom Pidcock ist der einzige große Name, bei dem man sagen kann: Wenn alles perfekt läuft – und Tadej Pogačar nicht am Start steht – kann er diese Rennen gewinnen.“
Für Q36.5 war der Transfer dennoch ein massives Risiko. Zwar steigerte das Schweizer Team mit Pidcock schlagartig seine Sichtbarkeit, doch es investierte viel Geld in einen Fahrer, der bisher nur punktuell Topresultate eingefahren hatte. „Er hatte gerade einmal vier große Siege, bevor er zu Q36.5 kam. Wie hätte man also erwarten können, dass das sofort funktioniert?“
Doch die Verpflichtung erwies sich als Volltreffer. „Wenn man ein Team unter den Umständen verlässt, die Pidcock bei INEOS erlebt hat, kommt man mit einer unglaublichen Wut aus dem Wintertraining. Man will einfach rausgehen, Rennen gewinnen – und es ihnen so richtig ins Gesicht werfen“, erklärt Horner.
Tadej Pogacar und Tom Pidcock waren die Hauptanimateure der Strade Bianche 2025
Lektion in Taktik
Was aus Horners Sicht weniger ideal verlief, war die taktische Herangehensweise von Pidcock und Q36.5 in manchen Rennsituationen. Ohne ein Top-Unterstützungsteam an seiner Seite ließ sich Pidcock häufig von seinem Instinkt leiten, attackierte früh – und fand sich anschließend isoliert an der Spitze wieder.
Zum Teil ist das seinem offensiven Fahrstil geschuldet, doch Horners Meinung nach müssen die sportlichen Leiter ebenfalls eingreifen und ihren Kapitän gelegentlich einbremsen. Ein Beispiel: die Strade Bianche, als Pidcock rund 80 Kilometer vor dem Ziel mit Tadej Pogačar die Zusammenarbeit suchte – ein mutiger, aber letztlich taktisch fragwürdiger Schritt.
Beeindruckender Sprung in der Konsistenz
Pidcocks Aufstieg in der Saison 2025 lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen. Horner hebt dabei vor allem eine deutlich größere Konstanz im Jahresverlauf hervor: „Er hat gezeigt, dass er 2025 eine bessere Form hat als 2024 – und zwar über einen längeren Zeitraum hinweg.“
„Wenn wir die vier Jahre bei INEOS betrachten, hatte er phasenweise eine ähnlich hohe Spitzenform. Das Problem war jedoch immer, diese Form länger zu halten – über ein bis zwei, vielleicht sogar drei Monate hinweg konstant Ergebnisse zu liefern.“
In dieser Hinsicht habe Pidcock einen entscheidenden Schritt gemacht, so Horner: „Er hat enorm daran gearbeitet, seine Beständigkeit im Vergleich zu den INEOS-Jahren zu verbessern und gleichzeitig etwas mehr Flair gezeigt. Er hat mehr Siege eingefahren – aber es fehlen ihm noch die ganz großen.“
Als Beispiel nennt Horner die 11. Etappe der Vuelta a España, die Pidcock im Sprint gegen Jonas Vingegaard wohl gewonnen hätte – wäre die Zielankunft nicht aufgrund von Protesten kurzfristig neutralisiert worden.