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Tour de France 2025 gab es ein Novum, das viele Radsportfans begeisterte: Auf der legendären 21. Etappe in Paris wurde die klassische Sprintankunft auf den Champs-Élysées durch ein anspruchsvolleres Finale ersetzt. Mit dem Montmartre als Schlüsselanstieg endete die Tour 2025 spektakulär, als Wout van Aert Tadej Pogačar besiegte und das Rennen entschied.
Aufgrund des Erfolgs wird das Format 2026 erneut aufgegriffen – wenn auch mit weniger Steigung. Während dies bei Fans für Freude sorgt, sorgt es bei Puristen für Kritik. Einer der prominentesten Kritiker ist
Marcel Kittel, ehemaliger reiner Sprinter mit 14 Etappensiegen bei der Tour de France, der die Entwicklung des Rennens bedauert.
Im Podcast Domestique Hotseat sprach Kittel ungewöhnlich offen über ein Thema, das ihm sehr am Herzen liegt: den schwindenden Stellenwert der reinen Sprinter im modernen Radsport. Für ihn, eine der großen Sprint-Referenzen des vergangenen Jahrzehnts, droht die Tour de France dadurch einen wichtigen Teil ihrer Identität zu verlieren.
„Früher gab es acht oder zehn echte Chancen für Sprinter“, erinnert Kittel. „Jetzt, wenn wir Glück haben, vielleicht noch vier.“ Für ihn ist die Veränderung nicht einfach eine Streckenanpassung, sondern ein schleichender Verlust des Raums, der seine Spezialität einst definierte.
Wout van Aert besiegte Tadej Pogacar im "neuen" Ziel der Tour de France.
Flache Bühnen, die vom Aussterben bedroht sind?
Eine der Kernbotschaften, die Kittel immer wieder betont, lautet: Spektakel lässt sich nicht erzwingen, wenn die Strecke es nicht zulässt.
„Wenn eine Etappe völlig flach ist, kann man kein Wunder erwarten, nur weil Sprinter am Start sind“, erklärt er. Es sei unfair, dass Teams öffentlich unter Druck gesetzt werden, das Rennen an solchen Tagen „aufzupeppen“, wenn das Peloton Ruhe braucht oder das Terrain einfach keine spektakulären Szenen zulässt.
„Es ist die Strecke, die eine Etappe spannend macht oder nicht“, betont Kittel. Und wenn die wenigen flachen Tage zu harten Übergangsetappen werden, ist das Ergebnis klar: weniger echte Chancen für jene Fahrer, die Wochen lang um das Überleben in den Bergen kämpfen.
Besonders emotional wird es für ihn, wenn es um das Finale der Tour geht. Der Sprint auf den Champs-Élysées war für Kittel nicht nur Tradition, sondern der logische Höhepunkt der dreiwöchigen Anstrengungen. „Eine große Tradition ist verloren gegangen“, sagt er – mit Nachdruck und einem Hauch von Nostalgie.
Kittel ist kein gewöhnlicher Beobachter. Mit 89 Profi-Siegen, darunter 14 Tour-, 4 Giro- und 1 Vuelta-Etappe, gehört er zu den größten Sprintern seiner Generation. Er hat die Champs-Élysées zweimal gewonnen und kennt jedes Detail.
Er erinnert sich an die Atmosphäre vor dem großen Finale: „Die Einfahrt nach Paris, die Ankunft auf den Champs-Élysées, das erste Überqueren der Ziellinie … man spürt sofort, dass ein entscheidender Moment beginnt.“
Und dann ist da noch etwas sehr Persönliches, beinahe Sinnliches: „Paris riecht anders. Besonders die Champs-Élysées. Es riecht nach Essen und Parfüm. Es ist nicht wie die anderen Zieleinläufe der Tour.“
Eine neue Herausforderung im Radsport
Kittel ist sich bewusst, dass sich der Radsport weiterentwickelt und dass die neue Generation reiner Sprinter gezwungen ist, sich anzupassen. „Sie müssen vielseitiger sein. Auch die Konkurrenz hat sich verändert: Praktisch jedes Team hat jetzt einen eigenen Sprinter, und jede Chance ist wertvoller, gerade weil es weniger davon gibt.“
„Jeder Sprint ist härter als früher“, räumt er ein. In diesem Umfeld müssen Sprinter das Beste aus jeder Gelegenheit machen.
Kittel fordert keine Rückschritte und stellt die Notwendigkeit von Innovationen nicht infrage. Seine Botschaft ist vielmehr eine andere: Die Tour sollte nicht vergessen, was ihre Geschichte einzigartig macht. Die Sprintetappen gehörten zum natürlichen Gleichgewicht des Rennens; sie boten Kontrast, Erholung und gleichzeitig die Spannung des Schlussfeldes.
„Das ist ein Teil dessen, was die Tour zur Tour macht“, schließt Kittel.