„Keine Periode ist nicht normal“ – Kerbaol warnt vor Gesundheitsrisiken im Peloton

Radsport
Freitag, 01 August 2025 um 8:30
cedrine-kerbaol-imago1032659725h-670d36b7becac
Während die Tour de France Femmes 2025 in ihre entscheidenden Etappen geht, hat die französische Fahrerin Cédrine Kerbaol eine der wichtigsten Botschaften des Rennens übermittelt – eine Botschaft, die nichts mit Ergebnissen, sondern alles mit langfristiger Gesundheit zu tun hat.
Die 24-jährige Fahrerin des Teams EF Education–Oatly, die als erste Französin eine Etappe in der modernen Ära des Rennens gewann, hat in dieser Woche ihre Plattform genutzt, um sich gegen die zunehmende Kultur der extremen Schlankheit im Profiradsport – insbesondere auf der Women’s World Tour – auszusprechen. „Keine Periode zu haben ist nicht normal“, sagte sie in einem Live-Interview mit France Télévisions nach der 5. Etappe. „Abgesehen von der Fruchtbarkeit hat das Auswirkungen auf die Knochengesundheit und birgt ein sehr reales Risiko für schwere Verletzungen. Bevor wir Athletinnen sind, sind wir auch Frauen. Unsere Gesundheit zählt – nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft.“
Kerbaol ist nicht nur eine Spitzen-Bergfahrerin, sondern besitzt auch ein Diplom in Diätetik – was ihren Aussagen zusätzliches Gewicht verleiht. Kürzlich half sie bei der Gründung von @f.e.e.d_powr, einer Instagram-Initiative, die sie gemeinsam mit Teamkolleginnen und medizinischen Fachleuten ins Leben gerufen hat. Ziel ist es, über Relative Energy Deficiency in Sport (RED-S), gestörtes Essverhalten und die oft unterschätzten Gefahren von Menstruationsstörungen bei Ausdauersportlerinnen aufzuklären.
„Es gibt viele, die große Rennen mit sehr niedrigem Gewicht gewonnen haben“, erklärte sie in einem Interview mit L’Humanité. „Und indirekt nehmen junge Frauen, die Leistung bringen wollen, sie als Vorbilder. Wir leben in einer Zeit enormer Sichtbarkeit – jeder will besser werden, schneller sein, mehr Watt treten, weniger wiegen… aber zu welchem Preis?“

Die Warnung eines Whistleblowers

Kerbaols Aussagen kommen zu einem entscheidenden Zeitpunkt für den Radsport. Kürzlich gab ein anonymer Teamarzt eines WorldTour-Teams dem Magazin Knack ein aufsehenerregendes Interview, in dem er von weit verbreiteten Essstörungen, Täuschungen bei der Gewichtskontrolle und einem eklatanten Mangel an Aufsicht außerhalb des Renn- und Trainingsbetriebs berichtete.
„Einige Fahrerinnen lügen. Sie schicken Fotos von Mahlzeiten, die sie gar nicht gegessen haben, oder von einer Waage, die das Gewicht einer anderen Person zeigt“, berichtete der Whistleblower. „Sie denken nicht an die gesundheitlichen Risiken – es zählt nur die Leistung. ‚Ich will sowieso keine Kinder‘ oder ‚Osteoporose? Das kommt später‘ – das hört man oft.“
Trotz des Zugangs zu einem Netzwerk aus Ernährungsberater:innen, Gynäkolog:innen, Psycholog:innen und Physiotherapeut:innen erklärte der anonyme Arzt, dass die Teams oft machtlos seien, sobald die Fahrerinnen sich außerhalb betreuter Umgebungen befinden. „Auf Trainingslagern können wir genau hinschauen. Aber zu Hause? Das ist deutlich schwieriger.“

Leistung jagen, Perspektive verlieren

Der Drang nach immer höheren Leistungssteigerungen – gemessen in Watt, Gewicht und Ergebnissen – hat ein Hochdruckumfeld geschaffen, besonders in einem Peloton, das endlich die mediale Aufmerksamkeit und das Sponsoring erhält, das im Männerradsport längst selbstverständlich ist. Doch mit dieser Sichtbarkeit kommt auch eine dunkle Kehrseite: Fahrerinnen, die ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, um unerreichbaren Idealen zu entsprechen.
Was Kerbaols Stimme so eindringlich macht, ist die Kombination aus wissenschaftlichem Hintergrund, persönlicher Erfahrung und Führungsstärke. Ihre Sorge ist nicht theoretischer Natur – sie spiegelt Muster wider, die viele im Peloton selbst beobachtet oder am eigenen Körper erlebt haben. „Am leichtesten zu sein bedeutet nicht, am schnellsten zu sein. Und schon gar nicht, am gesündesten.“
cedrine kerbaol imago1032716668h 670d35f2ce140
Kerbaol gewann eine Etappe der Tour de France Femmes 2024 

Auf dem Weg zu einem Kulturwandel?

Eine neue Generation von Fahrerinnen wird in diesen Fragen zunehmend laut. Von Abi Smith und Ella Wyllie, die offen über Energiemangel und Menstruationsstörungen sprechen, bis hin zu Cédrine Kerbaol, die nun eine eigene Plattform zur Aufklärung ins Leben gerufen hat – der Druck für einen kulturellen Wandel wächst. Doch die entscheidende Frage bleibt: Wird der Radsport darauf reagieren?
Während die Tour de France Femmes weiterläuft, ist Kerbaols Warnung ein eindringlicher Hinweis darauf, dass Leistung nicht auf Kosten des Wohlbefindens gehen darf – und dass der Sport mehr tun muss, als seine Siegerinnen zu feiern. Er muss sie auch schützen. „Es geht nicht darum, perfekt zu sein“, sagt Kerbaol. „Es geht darum, gesund genug zu sein, um eine ganze Karriere – und ein ganzes Leben danach – genießen zu können.“
Klatscht 0Besucher 0
loading

Gerade In

Beliebte Nachrichten

Loading