Dramen auf der Straße sind der Vuelta a España nicht fremd. Doch im Jahr 2025 waren es nicht Attacken am Berg oder Stürze im Finale, die die Schlagzeilen bestimmten – sondern Szenen abseits der Rennstrecke. Pro-palästinensische Proteste, ausgelöst durch die Teilnahme von Israel – Premier Tech, überschatteten die Rundfahrt und stellten Fragen zu Sicherheit, Meinungsfreiheit und der Politisierung des Sports in den Mittelpunkt.
Für Jesper Mørkøv, den sportlichen Leiter von Visma | Lease a Bike, war die Lage nicht nur beunruhigend – sie war spürbar bedrohlich.
„Wir wollten uns eigentlich im Teambus treffen“, erinnerte sich Mørkøv im Café Eddy-Podcast. „Aber dann meldete sich ein Fahrer: ‚Seid ihr sicher, dass wir das im Bus machen sollten?‘ Wir schauten hinaus und sahen rund 200 Demonstranten und die Polizei um uns herum. Also hielten wir das Meeting lieber im Hotel ab.“
Proteste entlang der Strecke
Es war nur eine von mehreren Situationen, in denen die Grenzen zwischen Spitzensport und politischem Aktivismus verschwammen. Von Bilbao bis Madrid säumten Demonstranten mit Bannern, Fahnen und Megaphonen die Straßen, um auf die israelischen Militäraktionen im Gazastreifen aufmerksam zu machen. Ihr Ziel war klar: das Team Israel – Premier Tech.
Mit zunehmender Dauer der Rundfahrt nahmen die Spannungen zu. Etappe 15 musste nach einem Zwischenfall mit einem Demonstranten kurzzeitig unterbrochen werden, Etappe 16 wurde aus Sicherheitsgründen verkürzt. Der dramatische Höhepunkt kam in Madrid, wo über 100.000 Menschen auf die Straßen strömten und die Organisatoren gezwungen waren, die letzte Etappe abzubrechen.
„Es begann recht friedlich, aber das war in der letzten Woche nicht mehr der Fall“, gab Mørkøv zu. „Ich glaube, ich bin ziemlich gut darin, alles auszublenden, wenn es passiert. Aber ich glaube, es war das Auto des Bahrain-Teams, das am Tag vor der letzten Etappe zu Bruch ging. Das bringt einen zum Nachdenken.“
Unsicherheit im Peloton
Die Atmosphäre im Fahrerfeld war angespannt. Teams, die normalerweise Rivalen sind, mussten plötzlich enger zusammenarbeiten, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Für Visma | Lease a Bike war die Situation besonders heikel, da das Team zweimal im selben Hotel wie Israel – Premier Tech untergebracht war.
„Man merkte, dass es nicht so war wie bei Lidl-Trek oder Quick-Step“, so Mørkøv. „Da lag einfach eine gewisse Spannung in der Luft.“
Die Organisatoren reagierten mit erhöhter Polizeipräsenz, Streckenänderungen und abgespeckten Siegerehrungen. Trotzdem blieb die Unsicherheit spürbar – selbst im neutralisierten Peloton.
Symbolische Gesten, keine Lösungen
In einem Versuch, die Lage zu beruhigen, entfernte Israel – Premier Tech schließlich das Wort „Israel“ von seinen Trikots. Doch dieser Schritt brachte kaum Entspannung. Die UCI verurteilte die Vorfälle als „militante Störungen“, während die Rennleitung sie als „absolut inakzeptabel“ bezeichnete.
Der sportliche Wert des Rennens rückte dabei zunehmend in den Hintergrund. Zwar holte sich Jonas Vingegaard den Gesamtsieg, doch es gab keine Schlussetappe, um diesen Triumph zu feiern – keine Runden um Madrid, keinen Zielsprint vor jubelnden Zuschauern. Stattdessen endete die Vuelta 2025 mit einem abgebrochenen Rennen und einem nachdenklichen Peloton.
Ein Wendepunkt für den Radsport
Als sich der Staub legte, blieb mehr als nur ein sportliches Fazit. Die Vuelta 2025 wird wohl weniger wegen des Duells um das Rote Trikot in Erinnerung bleiben, sondern als Wendepunkt – als Mahnung, dass der Profiradsport nicht losgelöst von den politischen und gesellschaftlichen Realitäten dieser Welt existiert.
Sie war ein Spiegel der Gegenwart – und vielleicht der Moment, in dem der Radsport endgültig lernen musste, dass selbst auf der Straße der Frieden nicht selbstverständlich ist.