Während Mads Pedersen und Jasper Philipsen die Schlagzeilen dominieren, schiebt sich bei der Vuelta a España 2025 ein anderer Name in den Fokus:
Orluis Aular.
Der 28-jährige Venezolaner von Movistar gilt bislang als Außenseiter, doch seine Formkurve zeigt steil nach oben. Nach einem konstanten Frühjahr und einem gezielten Höhentrainingsblock nimmt Aular nicht nur Etappensiege ins Visier, sondern auch das Punktetrikot. „Mein Traum ist es, Etappen bei den großen Rundfahrten und eines Tages ein Monument zu gewinnen“, erklärt er im Gespräch mit EFE im Movistar-Teamhotel in Turin. „Darauf habe ich all die Jahre hingearbeitet.“
Von der Wildcard zum geschützten Fahrer
Seine Entwicklung blieb im Peloton nicht unbemerkt. Der zweite Platz in Oliva 2024 – Schulter an Schulter mit den schnellsten Sprintern der Welt – machte ihn endgültig sichtbar. Der Wechsel von Caja Rural zu Movistar war die logische Folge. Nun startet er nicht mehr als Außenseiter, sondern als geschützter Fahrer in einem der größten Teams der WorldTour. „2023 wurde ich endlich wahrgenommen“, sagt Aular. „Jetzt sind die Ziele größer. Ich bin nicht mehr nur hier, um ins Ziel zu kommen – ich will gewinnen.“
Eine Vuelta für Allrounder
Die diesjährige Vuelta bietet Sprintern nur wenige echte Chancen. Steigungen, Hitze und Höhenmeter prägen das Profil, klassische Flachetappen sind Mangelware. Das Grüne Trikot könnte deshalb nicht an den schnellsten, sondern an den vielseitigsten Fahrer gehen – ein Szenario, das Aular entgegenkommt. „Die Strecke ist hart. Die Sprintmöglichkeiten sind begrenzt, aber ich habe mich gut vorbereitet und werde jede Chance nutzen“, sagt er.
Während Top-Sprinter wie Philipsen oder Pedersen in den Bergen oft an ihre Grenzen stoßen oder vor Madrid aussteigen, will Aular bis zum Schluss durchhalten. Seine Ausdauer könnte sich gerade auf der 15. Etappe als entscheidend erweisen, wenn es um das Punktetrikot geht.
Vom improvisierten Rad zum WorldTour-Profi
Aulars Geschichte ist eine von Widerstandskraft und Tatendrang. Aufgewachsen in Nirgua im venezolanischen Bundesstaat Yaracuy, spielte er zunächst Fußball und Baseball. Mit 14 bekam er von seinem Cousin einen alten Fahrradrahmen geschenkt. „Mein Vater half mir beim Aufbau – er besorgte die Pedale, die Gruppe, alles“, erinnert er sich. „Da fing der Traum an.“
Sein Weg ins Pro-Peloton führte über Venezuela, Spanien, Belgien, Bolivien und Japan, wo er sich den Spitznamen „Lateinamerikanischer Samurai“ verdiente. Fünf Jahre bei Caja Rural gaben ihm die Plattform, sich zu entwickeln – inklusive seiner ersten Vuelta-Teilnahme. „Caja Rural war alles für mich. Ohne dieses Team wäre ich nicht hier.“
Hoffnungsträger für den venezolanischen Radsport
Heute lebt Aular in Andorra, kehrt aber regelmäßig nach Venezuela zurück. Dort gilt er längst als Vorbild. „Es ist eine Verantwortung. Die Leute verfolgen, was ich tue. Ich versuche immer, mein Bestes zu geben – für sie und für mich“, erklärt er. Seine eigenen Idole waren Carlos Ochoa und Leonardo Sierra. Nun sieht er sich selbst in dieser Rolle: „Es gibt mehr Schulen, mehr Kinder, die Rennen fahren. Das Niveau steigt wieder. Ich glaube, wir werden bald mehr Venezolaner in Europa sehen.“
Mehr als nur ein Sprinter
Aular ist kein klassischer Sprinter à la Kittel oder Cavendish. Er ist vielseitiger, taktisch klug und ausdauerstark. In diesem Frühjahr debütierte er bei Mailand–Sanremo, der Flandern-Rundfahrt und Gent–Wevelgem – und beendete sie alle. „Die Klassiker waren ein Traum. Vor allem Flandern. Das hat mich stärker gemacht – und schlauer.“
Sein Vorteil: Er kann anspruchsvolle Finale überstehen und Chaos besser lesen als viele reine Sprinter. Er weiß, wann er das richtige Rad wählen muss – vielleicht sogar das von Philipsen oder Pedersen.
Markierte Etappen – und große Träume
Welche Etappen er konkret anpeilt, will Aular nicht verraten. Aber er deutet an: „Es gibt Tage, an denen die reinen Sprinter Probleme haben könnten. Dort will ich zuschlagen.“
Seine besten Chancen sieht er bei Etappen mit leichten Anstiegen oder Seitenwind – Szenarien, in denen Cleverness über rohe Sprintkraft entscheidet. „Ich habe nicht den größten Sprintzug, aber ich vertraue mir selbst. Ich muss nur das richtige Rad finden.“
Bereit für die große Bühne
Noch steht sein Name nicht in den Favoritenlisten. Doch unterschätzt werden sollte Aular nicht. Er bringt Hunger, Erfahrung und die Härte aus Jahren voller Umwege mit. „Ich weiß, mit wem ich es zu tun habe – mit einigen der Besten der Welt. Aber ich weiß auch, wozu ich fähig bin. Ich bin bereit.“
Für jemanden, der einst sein erstes Rad aus Ersatzteilen zusammensetzte, wäre ein Etappensieg bei einer Grand Tour mehr als nur ein sportlicher Erfolg – es wäre die Erfüllung eines Lebenstraums. „Eine Grand-Tour-Etappe. Ein Monument. Das ist es, was ich anstrebe“, sagt Aular.