Tom Pidcock hat in den letzten zwölf Monaten einen radikalen Wendepunkt in seiner Karriere erlebt. Nach der überraschenden Trennung von
INEOS Grenadiers fand der Brite beim kleinen, aber ambitionierten
Q36.5 Pro Cycling Team nicht nur sportlich zu alter Stärke zurück, sondern half dem Schweizer Projekt auch, sich den Platz unter den WorldTour-Teams zu sichern. In einem ausführlichen Gespräch mit Cyclingnews blickte der 26-Jährige auf ein außergewöhnliches Jahr zurück – und sprach offen über seinen Weggang von INEOS.
„Wir haben damals gedacht, das könnte ein Übergangsjahr werden, um etwas Neues aufzubauen“, erklärte Pidcock. „Aber am Ende lief es unglaublich gut. Ich war in der besten Form meines Lebens. Jetzt sehe ich nur, dass ich mich weiterentwickle – mit mehr Zeit, mehr Wissen und einem großartigen Team um mich herum.“
Neustart ohne Druck
Pidcocks Wechsel zu Q36.5 kam auf Initiative von Pinarello-Eigentümer Ivan Glasenberg, der auch Hauptinvestor des Teams ist. Der Schritt erwies sich als Befreiung: fernab des immensen Drucks und der internen Spannungen bei INEOS konnte der Allrounder wieder nach seinem eigenen Programm trainieren – und gewinnen. Schon früh im Jahr feierte er Podiumsplätze bei Strade Bianche, Flèche Wallonne und Tirreno-Adriatico, ehe er bei der Vuelta a España endgültig den Durchbruch schaffte.
Dort gelang ihm, was ihm bei INEOS stets verwehrt blieb: eine Grand Tour auf dem Podium zu beenden. Mit einem aktiven, offensiven Rennstil kämpfte er sich an die Seite von Jonas Vingegaard und João Almeida und schloss die Rundfahrt als Dritter ab. Einige neutralisierte Etappen verhinderten sogar einen möglichen Etappensieg.
„Vertrauen, Glaube und Professionalität – das waren die Schlüssel“, betonte Pidcock. „Ich habe das höchste Niveau erreicht, das ich je hatte. Ich fühle mich wirklich als Teil des Teams, nicht nur als Anführer. Ich helfe beim Aufbau, bei Entscheidungen – das macht für mich den Unterschied.“
Die Vuelta als Wendepunkt
Auch beim Arctic Race of Norway zeigte Pidcock im Sommer seine Kletterqualitäten, doch die Vuelta war der eigentliche Durchbruch. „Bei einer Grand Tour zu fahren, war der größte Schritt meiner Karriere – und ich habe es wirklich genossen“, sagte er. „Ich mag es nicht unbedingt, um die Gesamtwertung zu fahren, aber ich genieße die Dinge, in denen ich erfolgreich bin. Das hat meine Sicht auf die Grand Tours verändert.“
Heute ist Pidcock überzeugt, dass er bereit ist, noch mehr zu erreichen. „Früher war es das Ziel anderer, dass ich bei einer Grand Tour glänze. Jetzt sehe ich selbst den Reiz darin. Wenn man etwas wirklich genießt, wird man auch besser darin.“
Ob er 2026 bei der Tour de France starten wird, hängt von den Einladungen für Q36.5 ab – doch die Chancen stehen gut. Mit Verpflichtungen wie Chris Harper, Eddie Dunbar, Quinten Hermans, Fred Wright, Brent van Moer und dem talentierten Tom Gloag präsentiert sich das Team stärker als je zuvor und hat beste Argumente für Startplätze bei den großen Rundfahrten.
Warum Pidcock INEOS verließ
Ein Jahr nach seinem Abschied spricht Pidcock nun offen über die Gründe für die Trennung. Der Ausschluss aus dem Aufgebot für Il Lombardia war nur der letzte Tropfen. „Es gab keinen bestimmten Moment – es geschah schrittweise“, erklärte er. „INEOS ist ein großartiges Team mit klaren Zielen und Strukturen. Aber letztlich war das, was bei mir passiert ist, geschäftlich – nicht persönlich.“
Für Pidcock markiert 2026 nun den Beginn einer neuen Ära – mit weniger Druck, mehr Freiheit und dem Gefühl, endlich wieder der Fahrer zu sein, der er immer sein wollte.