Großbritannien dominierte in den 2010er Jahren mit Fahrern wie Bradley Wiggins, Chris Froome und Geraint Thomas die Tour de France – doch im aktuellen Jahrzehnt haben andere Nationen das Kommando übernommen. Slowenien und Dänemark teilen sich bislang sämtliche Gesamtsiege, während Großbritannien noch auf den nächsten großen Wurf wartet. Wales und England wurden zuletzt durch Podiumsplätze von Geraint Thomas und Adam Yates vertreten – nun könnte mit
Oscar Onley auch Schottland in den Kreis der Großen vordringen.
Es ist ein ambitioniertes Ziel, doch bislang übertrifft Onley alle Erwartungen. Auf der 17. Etappe fuhr er für das Team Picnic–PostNL auf einen beachtlichen vierten Rang und zeigte erneut seine Konstanz in den Bergen wie im Zeitfahren. Der erst 22-Jährige scheint bereit für Großes – und könnte die Tour mit einem Paukenschlag beenden.
Im Gesamtklassement liegt er aktuell auf Platz vier. Der Rückstand auf Deutschlands
Florian Lipowitz, Dritter und Träger des Weißen Trikots, beträgt nur 2:01 Minuten. Zwei harte Bergetappen bleiben – genug, um den Deutschen vielleicht noch abzufangen. Mit einem starken Schlussakt könnte Onley gleich zwei historische Meilensteine erreichen: ein Podium und das Weiße Trikot.
Der Mont Ventoux war eine echte Bewährungsprobe. Onley gehörte zu den stärksten Fahrern des Tages und wurde Fünfter der Klassementfahrer. „Das war gut für mein Selbstvertrauen“, erklärte er im Ziel. „Wenn man hört, dass andere zurückfallen und sich selbst noch gut fühlt, ist das ein tolles Gefühl.“ Als Pogacar und Vingegaard attackierten, entwickelte sich für Onley ein direktes Duell mit den beiden BORA-Fahrern Roglic und Lipowitz.
Am Ende musste er sich knapp geschlagen geben. Das Duo nahm ihm rund 30 Sekunden ab. „Ich gratuliere den beiden, sie haben das clever gemacht. Sie haben mich am Ende ein bisschen zu sehr unter Druck gesetzt“, gab Onley offen zu. Sein Blick richtet sich nun auf genau diese beiden Rivalen: „Lipowitz ist vielleicht nicht so stark wie Vingegaard und Pogacar, aber er ist besser als der Rest. Roglic muss ihm also nicht helfen – und kann sich stattdessen darauf konzentrieren, Zeit auf mich gutzumachen.“
Sein Sportdirektor Matt Winston zeigte sich begeistert vom Auftreten seines Kapitäns. Das niederländische Team hat sich durch Onleys Leistungen in eine völlig neue Position gebracht – auch mit Blick auf wichtige UCI-Punkte. „Oscar hat am Ventoux eine beeindruckende Leistung gezeigt. Wir können stolz auf ihn und auf das gesamte Team sein. Wir sind weiterhin gut platziert und haben in der letzten Woche noch viel vor uns.“
Die letzten zwei Etappen könnten also Geschichte schreiben – für Onley, für Picnic–PostNL und vielleicht auch für Schottland.