Die Saison 2025 ist vorbei und die Ausbeute der
INEOS Grenadiers ist nicht die beste.
Das Team konnte sich in der UCI-Punkterangliste 2023–2025 nur knapp in den Top 5 halten – ein sehr buchstäblicher Beleg dafür, wie schwer es den Briten zuletzt fiel, das Tempo der Top-Mannschaften mitzugehen. Mit 28 Siegen steht dennoch eine solide Bilanz, und einige Momente ragten heraus. Wir blicken auf die wichtigsten Erfolge des britischen Teams im Jahr.
5. Dominanz bei den nationalen Meisterschaften
Es geht hier nicht um einen einzelnen Sieg, sondern um die Ernte bei den Landesmeisterschaften – genauer gesagt in den Zeitfahren. Fünf Erfolge in Serie bei den Nationals (eine Meisterschaft fand zwar einen Monat früher statt) markierten einen zentralen Saisonabschnitt. Sie bestätigten, dass die Arbeit des Teams in dieser Disziplin Früchte trägt und dass selbst Fahrer abseits der absoluten Spitze davon profitieren.
Artem Shmidt überraschte mit dem Titel in den Vereinigten Staaten, und Youngster Michael Leonard siegte ebenso überraschend nördlich der Grenze bei den kanadischen Meisterschaften im Juni. Für INEOS bitter: Es scheint fast sicher, dass beide 2026 nicht mehr im Team fahren. In Europa untermauerte Filippo Ganna seine Rolle als Leitfigur des italienischen Zeitfahrens, während Bob Jungels und Tobias Foss die Titel in Luxemburg bzw. Norwegen holten.
4. Magnus Sheffield bei Paris–Nizza
Der US-Amerikaner hat sich in den vergangenen Jahren zu einem nahezu universellen Fahrertyp entwickelt. Ist er nicht in Topform, arbeitet er häufig für andere Kapitäne. Ist er es, agiert er als Top-Zeitfahrer, Klassikerfahrer, Ausreißer oder sogar als Kletterer. Bei Paris–Nizza sahen wir die bislang wohl beste Kletter-Performance von Magnus Sheffield.
Der sechste Saisonsieg fiel in eine brutale Woche in Südfrankreich und eine – wie so oft – chaotische Etappe in den Hügeln rund um Nizza. Mit einer gefährlichen Gruppe voraus versuchten mehrere Teams, das Rennen hinterher zu kontrollieren, um Leader Matteo Jorgenson anzugreifen. INEOS hatte
Thymen Arensman dabei und führte die GC-Gruppe über die Côte de Peille, um nichts anbrennen zu lassen. Nach der Kuppe änderte sich die Taktik, und Sheffield ging in die Offensive. Vorn lagen Mads Pedersen, Alexander Wlasow und Felix Gall (die beiden Letzteren zuvor aus der Favoritengruppe heraus attackiert); auf der Ebene sprang Sheffield zu ihnen hin.
Auf den letzten beiden Anstiegen machte Sheffield weiter Druck, distanzierte seine Begleiter und hielt den entfesselten Matteo Jorgenson in Schach, der hinter ihm sogar Florian Lipowitz stehen ließ – jenen Fahrer, der später im Jahr Dritter der
Tour de France werden sollte.
Sheffield gewann die Finaletappe von Paris–Nizza. @Imago
3. Egan Bernal zurück bei den Siegen
Egan Bernal ist ein Publikumsliebling, und nach seinem Crash zu Beginn der Saison 2022 gewann seine Geschichte noch mehr Herzen. Entsprechend warteten Fans seit Jahren auf seinen ersten Profisieg seit dem Giro d’Italia 2021 – jenem Rennen, das er insgesamt gewann. Das gelang ihm bei den kolumbianischen Meisterschaften, sogar zweimal. Doch zwischen Nationals und großen WorldTour-Rennen, für die er weiterhin Ambitionen hat, besteht ein Unterschied.
Dieser Schritt gelang schließlich bei der Vuelta a España. An einem Tag, an dem kaum jemand vorhergesagt hätte, dass er rund 8 Kilometer vor dem Ziel am Fuß des Schlussanstiegs auf einer Nebenstraße in Galicien zum Sprint ansetzt, schlug Bernal zu. Im Gesamtklassement spielte er keine Rolle mehr, zeigte aber auf der 16. Etappe seine besten Beine und schaffte es in die Gruppe des Tages, die den Sieg unter sich ausmachte.
Proteste gegen Israel – Premier Tech neutralisierten schließlich das ursprüngliche Finale, doch die Organisatoren waren vorbereitet und verlegten den Zielstrich an den Fuß des Schlussanstiegs. So lieferten sich Bernal und Mikel Landa einen höchst ungewöhnlichen Sprint um den Etappensieg – mit dem besseren Ende für den Kolumbianer. Es war sein erster offizieller WorldTour-Erfolg seit über vier Jahren.
2. Ben Turner, der Sprinter
Ben Turners Entwicklung ist bemerkenswert. Der 26-Jährige kam 2022 von Trinity Racing – in den Fußstapfen von Tom Pidcock, sowohl was die Disziplinen betrifft als auch mit erfolgreicher Vergangenheit im Cyclocross. Wie Pidcock reifte Turner zum Klassikerfahrer. Doch unterwegs änderte sich etwas – zum Positiven.
Turners Klassiker-Qualitäten blieben unangetastet, doch im Laufe der Jahre bekam er im Team verschiedenste Rollen. Bei der Tour de France 2024 war er einer der Straßenkapitäne und Motoren für Flach- und Hügeletappen. Da dem Team ein echter Sprinter fehlte und der 2025er-Versuch mit Caleb Ewan (der im Frühjahr zurücktrat) kurzlebig blieb, gab es faktisch keinen schnellen Mann. Filippo Ganna probierte es, seine Stärken liegen jedoch anderswo. Also experimentierte das Team mit Turner – und der Brite scheint damit seinen idealen Weg gefunden zu haben.
Bei der Vuelta a Andalucia kam er einem Sieg gegen Alexander Kristoff auf einer leicht ansteigenden Zielgeraden sehr nahe – etwas, das er später im Jahr wohl souverän gewonnen hätte. Beim Giro d’Italia deutete er diese Entwicklung ebenfalls an und wurde Dritter im Massensprint auf flacher Ankunft. Bei 1,94 Metern Körpergröße bleibt das Gewicht selbst bei einem schmalen Fahrertyp hoch. Im Fall von Turner sind es 74 kg, laut
ProCyclingStats. Also lief das Experiment weiter.
Und bei der Tour de Pologne wurde daraus eine Siegformel. Turner gewann die 3. Etappe nach Walbrzych und setzte sich im ansteigenden Sprint souverän gegen Puncheure und Klassementfahrer durch. Von den kletterstarken Fahrern sprintet er am besten. An den folgenden zwei Tagen wurde er jeweils Zweiter, nur geschlagen von Paul Magnier und Matthew Brennan, die keiner Vorstellung bedürfen.
Und bei der Vuelta a España holte Turner seinen ersten Grand-Tour-Sieg: Er gewann auf der 4. Etappe den Sprint nach Voiron vor keinem Geringeren als Jasper Philipsen. Es war ein kniffliger Sprint, doch seinem klaren Sieg – erneut auf einer leicht ansteigenden Zielgeraden – ist nichts abzusprechen. Er hat seine Spezialität gefunden, und an hügeligen Tagen ist er für die Konkurrenz zur echten Gefahr geworden. Der Vuelta-Triumph bestätigte das erfolgreiche Projekt des Teams, ihn in diesem Jahr zum schnellen Mann zu formen.
Turner war in diesem Jahr auf der 4. Etappe der Vuelta siegreich. @Sirotti
1. Thymen Arensman bezwingt Pogacar und Vingegaard bei der Tour de France
Thymen Arensman sorgt für den größten INEOS-Moment dieses Jahres – und das bei der Tour de France. Seine Gesamtklassement-Ambitionen verflogen in der ersten Woche, doch wie der Niederländer schon mehrfach gezeigt hat, wächst seine Form über die Dauer einer Grand Tour. In der zweiten Woche rettete der Kletterer dem Team das Rennen, indem er aus der Ausreißergruppe die 14. Etappe nach Superbagnères gewann. Seinerzeit war es möglich, dass Tadej Pogacar und die konservative UAE-Taktik dahinter Arensman den Sieg begünstigten – anders als an anderen Tagen. Die beiden sind bekanntlich befreundet.
Doch auf der 19. Etappe nach La Plagne, selbst wenn man Ähnliches sagen könnte, ging der Sieg beim letzten Bergfinish der Rundfahrt voll auf das Konto von Thymen Arensman. Pogacar und Jonas Vingegaard fuhren am Alpenanstieg sehr taktisch, dennoch war es beeindruckend, wie Arensman vorne wegflog und oben schneller ankam als jeder andere Fahrer im Feld. Selbst wenn man das gegenseitige Belauern der beiden Topfavoriten ausklammert, kletterte Arensman schneller als der drittplatzierte Florian Lipowitz und nahm den meisten Fahrern aus den Top 10 Minuten ab. Es war die beste Kletterleistung seiner Karriere.
Ein markanter Sieg für den Niederländer, womöglich karriereprägend, auch wenn es nicht sein erster bei dieser Rundfahrt war. Nun kann er sich ein Bild an die Wand hängen, auf dem er die zwei besten Kletterer dieser Generation schlägt – ohne Ausreißergruppe und ohne von einem Missgeschick zu profitieren.
Arensman fuhr das letzte Bergfinish nach La Plagne schneller hinauf als Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard. @Sirotti