Nach zwei Saisons bei
Red Bull - BORA - hansgrohe steht
Matteo Sobrero vor einem Neuanfang: 2026 wird der Italiener zu Lidl-Trek wechseln. Im Gespräch mit Bici.Pro gewährte der Zeitfahrspezialist einen selten offenen Einblick in die Welt eines der modernsten, aber auch forderndsten Teams im Radsport – und schickte indirekt eine Warnung an
Remco Evenepoel, der bald die neue Galionsfigur des Projekts sein wird.
„Sie wollen nicht nur zu den Besten gehören – sie wollen die Besten sein“
Sobrero beschreibt ein Umfeld, das von Hochleistung, Präzision und unermüdlichem Fortschrittsdrang geprägt ist. „Man spürt dieses Streben nach dem Extremen innerhalb der Mannschaft“, sagte der 27-Jährige. „Aber um ehrlich zu sein – und das ist keine Kritik – ist das nichts völlig Neues. INEOS Grenadiers waren die ersten, die stark in die Ernährung investierten; dann ging das Team Visma | Lease a Bike mit Asker Jeukendrup noch einen Schritt weiter, und andere folgten.“
Für Sobrero verkörpert Red Bull - BORA - hansgrohe die moderne Philosophie des Spitzensports: immer einen Schritt voraus zu sein. „Das ist die aktuelle Philosophie im Radsport – nicht nur mithalten, sondern vorausdenken. Red Bull investiert in Bereiche, in denen man noch Verbesserungspotenzial sieht. Sie wollen nicht einfach unter den Besten sein – sie wollen die Besten sein.“
„Das alte Gefühl der Vertrautheit ist verblasst“
Doch der Preis für diesen Perfektionismus ist hoch. „Im Vergleich zu anderen Teams herrscht hier eine eher unternehmerische Atmosphäre. Das alte Gefühl der Vertrautheit ist verblasst“, beschreibt Sobrero. „Besonders im letzten Jahr konnte man diese Veränderung spüren. Jeder hat sein eigenes Fachgebiet und gibt in diesem Bereich alles.“
Die Mannschaft umfasst mittlerweile fast 200 Mitarbeiter – ein Detail, das laut Sobrero verdeutlicht, wie stark das Team gewachsen ist, aber auch, wie unpersönlich es teilweise geworden ist. „Ich habe mit allen gut zusammengearbeitet, aber das ist nun mal in großen Teams so. Die Investitionen treiben jeden Einzelnen an, aber die menschliche Seite geht verloren. Es gibt Mitarbeiter, die man beim ersten Trainingslager sieht – und dann das ganze Jahr nicht mehr.“
Die Wissenschaft hinter der Leistung
Hinter den Kulissen steht Dan Lorang an der Spitze der Leistungsabteilung. Der frühere Triathlon-Trainer gilt als analytischer Taktgeber, der die Arbeit aller Trainer koordiniert. „Lorang kommt vom Triathlon, wo er ein echter Guru war. Er forscht ständig, aktualisiert seine Methoden – ein Forscher der Forschung“, so Sobrero. „Wenn etwas nicht funktioniert, geht er den Ursachen auf den Grund.“
Auch die Ernährung folgt dieser Philosophie der Präzision. Unter der Leitung von Asker Jeukendrup wird jede Mahlzeit über die App Food Coach dokumentiert. „Wir Italiener essen aus einer Kultur heraus ausgewogen. Bei Red Bull ist das ähnlich – nur wird dort alles aufs Gramm genau gemessen“, erklärt Sobrero. „Die App verbindet dich direkt mit deinem Ernährungsberater. Du gibst ein, was du gegessen hast – und bekommst Feedback. Diese Systeme funktionieren, besonders bei Grand Tours, aber der ganze Sport hat sich in Richtung Extrem entwickelt.“
„Das Risiko ist Burnout“
Sobrero sieht in diesem Perfektionismus sowohl Chancen als auch Gefahren – vor allem für Fahrer wie Evenepoel. „Diese Kontrolle kann helfen, weil man über nichts mehr nachdenken muss. Aber wer jahrelang alles auf seine Weise gemacht hat, tut sich schwer, alte Gewohnheiten aufzugeben“, sagt er. „Man muss klar sehen: Das ist eine Investition in sich selbst.“
Doch mit der maximalen Kontrolle wächst auch der Druck. „Jeder bringt Opfer, um das Limit zu erreichen, aber das Risiko ist Burnout. Und das kommt immer häufiger vor – viele hören plötzlich auf. Es ist Aufgabe der Psychologen, dafür zu sorgen, dass diese feine Linie zwischen Perfektion und Erschöpfung nicht überschritten wird.“
Zwischen Fortschritt und Menschlichkeit
Während Red Bull - BORA - hansgrohe seine Strukturen weiter ausbaut und mit Evenepoel ins nächste Kapitel startet, blickt Sobrero mit gemischten Gefühlen zurück. Sein Fazit ist nüchtern, aber ehrlich: „Der gute Teil ist das Niveau, der schlechte Teil ist der Verlust der menschlichen Note.“