Das Warten ist vorbei. Nach monatelanger Vorfreude feiert Ruanda seine Premiere als Gastgeber der UCI
Weltmeisterschaft. Kigali ist bereit, die besten Fahrer der Welt zu empfangen. Am Sonntag, dem 21. September, eröffnet das Einzelzeitfahren der Männer die Titelkämpfe. Damit richtet sich der Blick der Radsportwelt für eine ganze Woche fest auf Ostafrika.
Es ist nicht nur eine weitere WM, sondern ein historischer Meilenstein. Zum ersten Mal werden Regenbogentrikots auf afrikanischem Boden vergeben. Der Parcours kombiniert Klettern, Kopfsteinpflaster und technische Abfahrten – ein Auftakt, der Dramatik verspricht. Und das, noch bevor die großen Namen in den Fokus rücken.
Der Kurs
Gestartet wird in der BK-Arena, dem größten Hallenstadion Ostafrikas, das normalerweise für Basketballspiele und Konzerte genutzt wird. Am Sonntag aber verwandelt es sich in den Schauplatz des Radsports. Über 40,6 Kilometer führt die Strecke durch die Hügel von Kigali, ehe das Ziel am ikonischen Kigali Convention Centre erreicht wird – ein Wahrzeichen moderner Identität, das nachts weithin leuchtet.
Doch für die Fahrer ist es nicht die Architektur, die bleibt, sondern das Profil. 680 Höhenmeter warten, die jenen weh tun, die den Kurs als flaches Drag Race unterschätzen. Das Zeitfahren ist gemacht für Spezialisten, die mehr als pure Watt auf langen Geraden liefern können.
Die ersten acht Kilometer wirken harmlos. Flach und einfach, dienen sie zum Warmfahren. Doch dann wartet die Côte de Nyanza – 2,5 Kilometer mit fast sechs Prozent Steigung. Früh im Rennen werden die Fahrer in den roten Bereich gezwungen, untypisch für ein Zeitfahren.
Der anschließende Abstieg bringt kaum Erleichterung. Sofort geht es erneut bergauf: sechs Kilometer mit 3,5 Prozent, nicht steil, aber unerbittlich. Wer hier zu schnell gestartet ist, wird entlarvt. Beide Gipfel dienen als Kontrollpunkte und liefern die ersten Anhaltspunkte zur Form.
Nach 31,6 Kilometern folgt eine lange Steigung über sieben Kilometer, ehe die Côte de Péage auftaucht. Zwei Kilometer mit sechs Prozent markieren den Auftakt zum Finale. Noch härter ist die Côte de Kimihurura: 1,3 Kilometer mit 6,3 Prozent auf afrikanischem Kopfsteinpflaster – eine Prüfung für Beine, Balance und Technik. Der letzte Kilometer zieht sich mit vier Prozent Steigung, bevor das Ziel am Convention Centre erreicht wird.
Rückblick auf Zürich
Ein Jahr zuvor triumphierte
Remco Evenepoel in Zürich. Der Belgier kam als Titelverteidiger und zerstörte Strecke wie Konkurrenz. Er gewann vor Filippo Ganna und Joshua Tarling und sicherte sich erneut das Regenbogentrikot.
Seit 2021 hat Evenepoel in jedem Jahr mindestens einen Weltmeistertitel errungen. 2022 gewann er das Straßenrennen, 2023 das Zeitfahren, 2024 erneut das Zeitfahren. In Paris fügte er Olympiagold im Straßenrennen und im Zeitfahren hinzu. Nur wenige Fahrer der Geschichte dominierten so im Kampf gegen die Uhr.
Doch 2025 zeigten sich Risse. Bei der Tour de France brach sein Traum vom Gesamtsieg. Zwar gewann er ein frühes Zeitfahren und trug das Weiße Trikot, doch im Bergzeitfahren von Loudenvielle nach Peyragudes implodierte er. Pogacar gewann klar, Jonas Vingegaard flog vorbei, und Evenepoel verlor mehr als zweieinhalb Minuten. Am nächsten Tag stieg er am Tourmalet aus – eine Demütigung für den Titelverteidiger.
Seitdem stellt sich die Frage: Ist seine Dominanz im Zeitfahren vorbei? Bei der Tour of Britain meldete er sich zurück, gewann eine Etappe und wurde Gesamtzweiter. Zahlen und Form stimmen, doch Kigali ist nicht Zürich. Der Kurs erinnert eher an Peyragudes – technisch, holprig und voller Rampen.
Trotzdem wirkte Evenepoel im Vorfeld gelassen. „Ich habe alles getan, was nötig war. Die Vorbereitung war perfekt, ich habe gut trainiert und fühle mich bereit“, erklärte er bei Sporza. Ob Selbstvertrauen reicht, wird Kigali zeigen.
Die Favoriten
Tadej Pogacar
Wenn einer Evenepoel gefährlich werden kann, dann Pogacar. Der Slowene hat vier Tour-de-France-Titel, einen Giro-Sieg, Monumente und das Regenbogentrikot im Straßenrennen gesammelt. Doch der WM-Titel im Zeitfahren fehlt noch.
Seine Stärke liegt in Bergzeitfahren. 2020 verblüffte er Roglic auf der Planche des Belles Filles, 2025 siegte er in Peyragudes mit uneinholbarer Zeit. Doch auch er schwächelt gelegentlich. Beim Critérium du Dauphiné verlor er in einem hügeligen Zeitfahren überraschend deutlich gegen Evenepoel.
Für Kigali gilt: Auf den flachen Abschnitten darf er nicht zu viel Zeit verlieren. Auf den Kopfsteinpflasterrampen kann er seine Klasse ausspielen. Sollte er das Regenbogentrikot im Zeitfahren gewinnen, würde er seine Karriere fast komplettieren – und die Debatte um den größten Fahrer aller Zeiten neu entfachen.
Jay Vine
Der Australier hat sich einen Namen als Kämpfer gemacht. Bei der Vuelta war er im Zeitfahren von Valladolid nur eine Sekunde langsamer als Ganna. Auch beim Giro-Zeitfahren in Tirana fehlten ihm nur drei Sekunden auf Tarling.
Vine gilt zwar als Kletterer, doch seine Fortschritte gegen die Uhr sind beachtlich. Ein Podestplatz in Kigali wäre ein Meilenstein – und angesichts des Profils nicht ausgeschlossen.
Thymen Arensman
Der Niederländer überzeugte 2025 mit zwei Tour-Etappensiegen, darunter in La Plagne, wo er Pogacar und Vingegaard distanzierte. Zeitfahren war bislang nicht seine Spezialität, doch das hügelige Profil in Kigali spielt ihm in die Karten. Die Rampen im Finale könnten ihm sogar eine Medaille ermöglichen.
Isaac del Toro
Das mexikanische Wunderkind hat 2025 die Szene erobert. Beim Giro trug er lange Rosa, wurde Zweiter und bester Nachwuchsfahrer. Besonders auf der nassen, technischen 10. Etappe bewies er seine Zeitfahrqualitäten. Kigali ist ein nächster Schritt, doch del Toro hat gezeigt, dass er sich vor niemandem verstecken muss.
Die große Entscheidung
Wenn die Sonne am Sonntag über Kigali untergeht, wird ein Fahrer im Kongresszentrum das Regenbogentrikot überstreifen. Gewinnt Evenepoel, feiert er den dritten Titel in Serie – und die Antwort auf seinen Tour-Zusammenbruch. Triumphiert Pogacar, schließt er eine der letzten Lücken in seiner Karriere.
Oder aber ein Außenseiter sprengt das Duell der Giganten. Kigali ist bereit für Geschichte.