Am ersten Ruhetag der
Tour de France nahm sich
Florian Lipowitz Zeit für ein ausführliches Gespräch im ARD-Podcast „Sportschau Tourfunk“. Im Interview mit dem ARD-Team – geführt von Michael Ostermann, Marc Drumm und Stephan Klemm – sprach der 24-jährige Deutsche über die Härte der ersten zehn Tage, seine Rolle im Team, das Zusammenspiel mit Kapitän
Primoz Roglic und seine Sicht auf die Tour-Favoriten. Der Tag Pause kam dem jungen Profi von Red Bull - BORA -hansgrohe sichtlich gelegen – und wurde dennoch aktiv genutzt: ein bisschen Training, ein wenig Familienzeit und ein langes Gespräch über das Abenteuer seines Lebens.
Zwischen Teamplayer und Edelhelfer: Die Rollenverteilung ist klar – (noch)
Florian Lipowitz hätte die aktuelle Situation vor der Tour wohl sofort unterschrieben. Auf Platz acht im Gesamtklassement liegend, mit nur dreieinhalb Minuten Rückstand auf das Gelbe Trikot – das ist mehr, als der deutsche Debütant sich je erträumt hätte. „Ich habe mich nicht ganz so gut gefühlt zu Beginn“, gibt Lipowitz offen zu. „Ich habe ein bisschen an mir gezweifelt, auch mit der Vorbereitung.“ Doch die Beine wurden besser, die Form stabilisierte sich. Und nun, nach zehn kräftezehrenden Tagen, ist er „mehr als happy, da vorne mit dabei zu sein“.
Sein Ziel bleibt trotzdem klar: „In Paris ankommen.“ Trotz der starken Leistungen will Lipowitz vor allem lernen – und helfen. Die Rollenverteilung innerhalb des Teams ist für ihn eindeutig: „Ich würde mich als Edelhelfer bezeichnen. Ich meine, die Rollenverteilung ist ganz klar.“ Kapitän bleibt Primoz Roglic – und Lipowitz will in den Bergen alles tun, um ihn bestmöglich zu unterstützen.
Setzt sein beeindruckendes Jahr 2025 auch bei der Tour de France fort: Florian Lipowitz
Allerdings: Sollte sich in den Pyrenäen herausstellen, dass Lipowitz stärker ist als Roglic? „Dann muss ich das erstmal zeigen“, sagt er diplomatisch. „Wir sind ein Team. Dann wird das diskutiert.“ Die Klarheit, mit der er sich selbst in die Helferrolle einordnet, täuscht nicht über sein sportliches Selbstverständnis hinweg – das durch Talent, Bescheidenheit und Ehrgeiz gleichermaßen geprägt ist.
Von der Ungewissheit in die Stabilität: Der Weg in die Tour-Form
Nach dem Critérium du Dauphiné, bei dem Lipowitz durch starke Leistungen auch die breite Öffentlichkeit auf sich aufmerksam machte, folgte eine schwierige Phase. „Ich war körperlich vielleicht gar nicht so müde, aber mental ein bisschen am Limit“, beschreibt er rückblickend. Den Übergang zurück in den Rennmodus habe er erst nach einigen Tagen richtig geschafft. „Ich glaube, ich habe einfach die ersten zwei, drei Tage gebraucht, bis der Körper wieder angesprungen ist.“
Den letzten Feinschliff holte er sich dann in Österreich. Zehn Tage Trainingslager in Kühtai – in Begleitung seiner Freundin – halfen, sich sowohl körperlich als auch mental zu erholen. „Ich konnte da ein bisschen abschalten, einfach mein Ding machen – das tat mir ganz gut.“
Radsport statt Biathlon – und ein wenig Wintersport-Vergangenheit im Gepäck
Lipowitz ist Quereinsteiger. Noch vor sechs Jahren war der gebürtige Laichinger im Biathlon unterwegs, nun fährt er seine erste Tour de France. Dass er sich im Feld erstaunlich gut zurechtfindet, keine Selbstverständlichkeit. Doch trotz zahlreicher Stürze in der ersten Woche kam Lipowitz bisher gut durch. Sein Geheimnis? „Ich glaube, da gehört auch einfach Glück dazu“, sagt er offen. Erfahrung kann es kaum sein – dazu ist seine Profi-Karriere noch zu jung. Aber offenbar besitzt Lipowitz das, was viele als „Gespür“ im Feld bezeichnen – das instinktive Verständnis dafür, wann Gefahr droht und wann es besser ist, zurückzuhalten.
Im Austausch mit Roglic, ebenfalls ein ehemaliger Wintersportler, sieht er Potenzial zur Weiterentwicklung: „Ich kann noch viel lernen, vor allem von Primoz. Er hat so viel gewonnen in seinem Leben – da hat er auf jeden Fall den einen oder anderen Tipp.“ Die gemeinsame Herkunft aus dem Wintersport verbindet – und stärkt die Teamdynamik. Eine Tatsache, die dem Team
Red Bull - BORA - hansgrohe ganz sicher nur guttun kann.
Zwischen Angriffslust und Teamdisziplin: Der schmale Grat
Dass er auf der großen Bühne nun regelmäßig Aufmerksamkeit bekommt, birgt auch Herausforderungen.
Rolf Aldag, sportlicher Leiter, sagte unlängst, man müsse Lipowitz manchmal etwas bremsen. Der junge Deutsche neigt dazu, bei Angriffen mitzugehen, sich aktiv ins Renngeschehen einzubringen – auch wenn es nicht immer sinnvoll ist. „Wahrscheinlich von allem etwas: klar, unerfahren, auf jeden Fall. Aber ich bin einfach jemand, der lieber mal was probiert, auch wenn es vielleicht unnötig ist.“
Diese offensive Herangehensweise ist Ausdruck seiner Persönlichkeit – und seiner Lust am Wettkampf. Nicht nur mitrollen, sondern gestalten. Doch Lipowitz ist auch reflektiert genug, zu erkennen, dass Zurückhaltung manchmal der klügere Weg ist. „Warten, bis Jonas und Pogacar was machen, und dann versuchen hinterherzufahren – dann kommt man irgendwo auf Platz fünf oder zehn ins Ziel. Ich bin lieber jemand, der mal was riskiert – auch wenn man dann vielleicht verliert.“
Im Schatten der Giganten: Die Tour der Superstars
Für Florian Lipowitz ist klar: Der Sieg bei dieser Tour wird zwischen Jonas Vingegaard und Tadej Pogacar entschieden. „Jeder weiß das – und das spürt man auch im Rennen.“ Der Respekt vor den beiden Ausnahmekönnern ist groß. „Es ist brutal, was die zwei da machen“, sagt er. Wenn Pogacar „aus dem Nichts“ beschleunigt und das Feld stehen lässt, sei das „einfach eine andere Liga“.
Doch Lipowitz sieht auch darin seine Aufgabe: nicht auf die Superstars schielen, sondern „sich auf Fahrer wie Remco Evenepoel konzentrieren“ – und um Platz drei kämpfen. Denn im Schatten der Giganten sind viele Plätze offen. Und sein Team, so Lipowitz, sei gut aufgestellt: „Ich hoffe, ich kann Primoz in den Bergen gut unterstützen. Mit Alex, Gianni und Laurence haben wir da starke Leute.“
Pyrenäen voraus – und Erinnerungen an Jugendtage
Die großen Berge stehen bevor – die Pyrenäen rufen. Lipowitz zeigt sich optimistisch, auch wenn er die Etappen noch nicht im Detail studiert hat. „Ich habe sie überflogen, aber ich freue mich drauf.“ Einige Anstiege kennt er noch aus seiner Jugend: „Wir sind früher mit meinen Eltern durch die Pyrenäen gefahren – mit dem Camper.“ Besonders an die gemeinsamen Erinnerungen mit seinem Vater und seiner Mutter denkt der 24-Jährige gerne zurück.
Der Respekt ist da – aber auch die Vorfreude. Schließlich ist es genau das, was ihn anzieht: das Extreme, das Unberechenbare. Und das Gefühl, dass in den Bergen das wahre Herz der Tour schlägt.
Mehr als nur ein deutscher Hoffnungsträger
Mit seinen Leistungen hat sich Lipowitz nicht nur sportlich ins Rampenlicht gefahren, sondern auch symbolisch: als neue Hoffnung des deutschen Radsports. Diese Aufmerksamkeit ist ihm nicht entgangen. „Ich spüre schon, dass da Erwartung da ist“, sagt er. „Ich versuche, das so gut wie möglich auszublenden.“
Gleichzeitig erkennt er die Chance: „Es ist auch schön zu sehen, dass man was für den deutschen Radsport machen kann. Wenn man jemanden begeistert, selbst aufs Rad zu steigen, dann ist das auch Teil unserer Aufgabe.“ Verantwortung also, aber auch Ansporn – genau wie die vielen Nachrichten von alten Freunden oder ehemaligen Biathlon-Kollegen, die ihn erreichen. Einige davon wird er in der letzten Woche an der Strecke sehen – ein zusätzlicher Motivationsschub.
Ein junger Fahrer mit klarem Kompass
Was Florian Lipowitz bei diesem Gespräch auszeichnet, ist Klarheit. Er weiß, wo er steht – und wo er (noch) nicht steht. Er kennt seine Rolle im Team, benennt seine Schwächen, erkennt seine Stärken. Und er stellt sich dem Abenteuer Tour de France mit einer Mischung aus Respekt, Neugier und innerem Feuer.
Der Weg ist noch lang. Elf Tage liegen vor ihm. Die Pyrenäen, das Zeitfahren, der Kampf um Positionen – und der große Traum, Paris zu erreichen. Aber eines ist sicher: Florian Lipowitz hat sich auf dieser Tour schon jetzt einen Namen gemacht. Als Kämpfer. Als Teamplayer. Und als einer, der das Zeug hat, die nächste Generation deutscher Rundfahrer zu prägen.