„Wenn das Fundament schwächelt, bricht alles zusammen“ – Fahreragent Carera warnt vor Kollaps der 2. Radsportliga

Radsport
Donnerstag, 13 November 2025 um 7:00
Adam Yates
Die Reichen werden reicher, während Durchschnittsfahrer ums Überleben kämpfen – so lässt sich die aktuelle Lage in den beiden obersten Radsport-Divisionen treffend beschreiben. Der Graben zwischen den finanzstarken WorldTour-Teams und den ProTeams aus der zweiten Kategorie wird immer tiefer. Der Rückzug vieler Sponsoren aus dieser unteren Ebene ist daher kaum überraschend – und zugleich alarmierend. Verstärkt wird der Trend durch die fehlende Regulierung des Transfermarkts seitens des Weltverbands UCI. Setzt sich diese Entwicklung fort, könnte die ProTeam-Kategorie in wenigen Jahren nahezu ausgedünnt sein.
Fahreragent Alex Carera beobachtet diese Dynamik mit wachsender Sorge – auch wenn es positive Beispiele gibt: Teams wie Uno-X Mobility, das 2026 den Aufstieg in die WorldTour schaffte, oder zuvor Alpecin-Deceuninck, zeigen, dass ein Aufstieg möglich bleibt. Doch Carera warnt: Damit solche Erfolgsgeschichten keine Ausnahme bleiben, müsse die UCI den ProTeam-Status attraktiver gestalten – insbesondere für Sponsoren.
„Damit das gelingt, brauchen neue Sponsoren klare Rahmenbedingungen, Garantien und einen kohärenten Rennkalender“, sagte Carera im Gespräch mit Cyclism’Actu.
Der Italiener beschreibt, dass es derzeit durchaus möglich sei, für ein neues Projekt Geldgeber zu finden, die 3 bis 5 Millionen Euro in ein ProTeam investieren. „Wenn dann die Ergebnisse kommen, wenn Einladungen zur Tour de France, zum Giro d’Italia, zur Vuelta oder zu Klassikern wie Paris–Roubaix folgen, ist ein höheres Engagement realistisch“, so Carera. „Aber ohne echte Perspektive verliert jeder Sponsor schnell die Motivation.“

Der einzige Ausweg

Die derzeitigen Strukturen erschweren genau das Gegenteil: Neue ProTeams sind bei attraktiven Wildcards völlig vom Wohlwollen der Rennveranstalter abhängig – und die bevorzugen in der Regel etablierte Mannschaften aus der oberen ProTeam-Etage.
„Das Problem ist, dass nur der WorldTour-Kalender wirklich klar definiert ist“, erklärt Carera. „ProTeams tappen im Dunkeln. Sie brauchen einen garantierten, transparenten sportlichen Weg – und eine echte Chance, sich sportlich zu beweisen.“
Als Lösungsansatz schlägt Carera eine vergleichsweise einfache, aber wirkungsvolle Maßnahme vor: den Zugang zu Rennen der Kategorien 1.1 und 2.1 für WorldTour-Teams zu begrenzen. Damit, so der Agent, ließen sich gleich zwei Probleme entschärfen. Erstens könnten kleinere WorldTour-Teams ihre UCI-Punkte nicht länger über schwächer besetzte Rennen absichern. Zweitens – und für Carera entscheidender – entstünde für ProTeams ein echtes sportliches Spielfeld, auf dem sie Rennen mitgestalten und eigene Erfolge feiern könnten.
Isaac del Toro gewann in diesem Herbst sieben kleinere italienische Eintagesrennen
Isaac del Toro gewann in diesem Herbst sieben kleinere italienische Eintagesrennen
„Wenn die besten Teams der Welt ihre Fahrer überall einsetzen können, gewinnen sie nicht nur die größten Rennen – sondern auch die 30 kleineren. Das erdrückt das gesamte Ökosystem“, warnt Carera. „Am Ende holen fünf Teams zusammen 250 Siege pro Saison. Das ist nicht gesund. Ich möchte ProTeams nicht von Mailand–Sanremo oder Paris–Roubaix fernhalten – ich will nur, dass es Rennen gibt, die auch sie gewinnen können.“

ProTeam-Liga

„Die UCI hat eine WorldTour-Liga geschaffen. Jetzt muss sie auch eine echte ProTeam-Liga mit eigenem, klar definiertem Kalender etablieren“, fordert Carera. „Jede Mannschaft sollte die gleiche Anzahl an Renntagen haben – das würde die Ranglisten deutlich realistischer machen.“
Nach Ansicht des erfahrenen Spielervermittlers steht die zweite Liga des Radsports vor einer existenziellen Krise. Wenn die UCI nicht bald handelt und die ProTeams in der Ära der Supermannschaften gezielt stützt, könnten sie in wenigen Jahren verschwinden – mit gravierenden Folgen für den gesamten Sport.
„Wenn das Fundament bröckelt, fällt alles in sich zusammen“, warnt Carera. „Das Fundament des Profiradsports sind die ProTeams. Wenn morgen nur fünf übrig sind, wird es nahezu unmöglich, dass neue Teams entstehen und eines Tages in die WorldTour aufsteigen. Das ist einfache Mathematik.“
Gleichzeitig betont er, dass seine Kritik nicht gegen die großen Teams gerichtet sei: „Zu sagen, es sei ‚gegen UAE‘, ist lächerlich. Natürlich müssen Topmannschaften wie UAE, Visma oder INEOS die Tour de France, die UAE Tour, Paris–Roubaix oder die Weltmeisterschaften gewinnen – das gehört zu ihrem Anspruch. Das Problem ist, dass sie zusätzlich auch die kleineren Rennen dominieren, die eigentlich die Bühne der ProTeams sein sollten. Das schadet der Vielfalt im Radsport.“
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