2025 war für
Ben Healy die bislang stärkste Saison seiner jungen Karriere: Er gewann eine Etappe der
Tour de France, trug zeitweise das Gelbe Trikot und holte Bronze bei den Weltmeisterschaften.
Neben Aerodynamik, Kletterstärke und hervorragendem Renninstinkt nennt EF-Education-EasyPost-Teamchef Jonathan Vaughters jedoch einen weiteren Erfolgsfaktor – einen, der bei vielen jungen Profis fehle: Healy kann zuhören.
„Ben ist einer der wenigen jungen Fahrer, die wir in den letzten Jahren hatten, der tatsächlich auf uns als Management hört“,
sagte Vaughters gegenüber stickybottle. „Ich behaupte nicht, dass das der einzige Grund ist, warum er jetzt zu den Besten der Welt zählt. Aber als er ins Team kam, gaben wir ihm einige Ratschläge – und er hat sie umgesetzt.“
Viele Nachwuchsfahrer würden sich hingegen von sozialen Medien ablenken lassen und versuchen, Spitzenathleten blind zu imitieren:
„Diese jungen, aufstrebenden Kids wollen es so machen, wie sie es auf Instagram oder TikTok gesehen haben. So, wie Tadej Pogačar es macht – egal, ob das für sie sinnvoll ist oder nicht.“
Vaughters unterstrich seine Aussage mit einem drastischen Beispiel dafür, wie leicht sich der Nachwuchs von fragwürdigen Trends verleiten lässt:
„Da heißt es: ‚Ich habe gelesen, dass dieser Arzt Peter Attia gesagt hat, man müsse Elefantenhoden essen, um zu gewinnen.‘ Und wir müssen dann erklären: ‚Vielleicht… aber vielleicht probieren wir es erst einmal mit einem einfacheren Ansatz.‘ Erst das Wesentliche – dann der Nachtisch.“
Bei Healy sei diese Botschaft angekommen:
„Wir haben ihm das gesagt, und er meinte: Ja, okay, das ergibt Sinn.“
Ein vorsichtiger Start in eine Profikarriere
Healy machte 2019 erstmals international auf sich aufmerksam, als er bei der Tour de l’Avenir als jüngster Fahrer eine Etappe gewann. Nach seinem Wechsel zu EF Education–EasyPost im Jahr 2022 setzte das Team auf eine sorgfältige, langfristige Entwicklung:
„Eines der ungewöhnlichsten Dinge, die wir mit Ben in seinem ersten Profi-Jahr gemacht haben, war, ihm zu sagen: Wir wissen noch nicht genau, was für ein Fahrertyp du bist“, erinnert sich Vaughters.
Die Vorgabe war ungewöhnlich simpel – und für die meisten jungen Profis wohl schwer hinnehmbar:
„Wir haben gesagt: Trainiere hart bis zum Saisonstart, aber sobald die Rennen laufen, wollen wir, dass du einfach drei bis vier Stunden am Tag locker Rad fährst. Keine übertriebenen Intensitäten. Dein Rennprogramm steht erst noch. Wir schicken dich zu allen möglichen Rennen – vielleicht rufen wir dich zwei Tage vorher an und sagen: Hey, du startest hier, sorry für die kurze Vorwarnung.“
Es ging darum, den Fokus nicht auf Zahlen zu legen, sondern auf Erfahrung und Rennintelligenz:
„Wir wollten nicht, dass er übermüdet in die Saison geht. Lieber etwas unterkonditioniert, dafür aber frisch im Kopf und in den Beinen – bereit, alles mitzunehmen, was die Rennen ihm beibringen können. Und im zweiten Jahr, wenn wir ihn besser kennen, können wir präziser arbeiten.“
Vaughters betont, dass die meisten Nachwuchsprofis so eine Entwicklung kaum akzeptieren würden:
„Die meisten 19- oder 20-Jährigen würden diesen Ratschlag leidenschaftlich ablehnen. Aber Ben sagte einfach: Ja, okay, klingt gut. Und er hat es durchgezogen.“
Schneller Aufstieg in seiner zweiten Saison
Healys erstes Profijahr verlief vergleichsweise ruhig – mit einem Sieg bei den irischen Zeitfahrmeisterschaften und soliden Resultaten wie einem fünften Platz auf einer Etappe der Tour of Norway, einem sechsten Rang bei den Zeitfahr-Europameisterschaften sowie Platz sechs im Prolog der Deutschland Tour.
Doch bereits 2023 folgte der Durchbruch: Früh in der Saison gewann er das Eintagesrennen GP Industria & Artigianato sowie die dritte Etappe der Settimana Internazionale Coppi e Bartali, wo er zudem Gesamt-Dritter wurde.
Seine starken Auftritte in den Ardennen unterstrichen endgültig sein großes Potenzial: Beim Amstel Gold Race und dem Brabantse Pijl sprintete er jeweils auf Rang zwei, bei Lüttich–Bastogne–Lüttich verpasste er das Podium als Vierter nur knapp.
Sein Grand-Tour-Debüt beim Giro d’Italia krönte Healy mit einem spektakulären Solosieg. Später folgten Titel bei den irischen Straßenmeisterschaften und ein weiterer Etappenerfolg bei der Skoda Tour of Luxembourg – die Bestätigung eines Talents auf dem Weg in die Weltspitze.
Ben Healy trug das gelbe Trikot bei der Tour de France 2025, allerdings nicht lange
Vaughters zeigt sich beeindruckt von Healys Entwicklung – einer, die selbst optimistische Prognosen übertroffen habe. „Sein Fortschritt im Profi-Peloton geht weit über das hinaus, was irgendjemand erwartet hätte, als er noch ein U23-Fahrer war“, so der Teamchef. „Das liegt auch daran, dass er den Sport zu sich kommen ließ, statt Dinge erzwingen zu wollen.“
Obwohl Healy spätestens mit seinem neunten Platz bei der Tour de France 2025 als künftiger GC-Fahrer gilt, hat der 24-Jährige klargemacht, dass seine DNA weiterhin im Angriff liegt: Attackieren, Risiken eingehen, Etappen jagen.
Für Vaughters ist das der richtige Weg: „Eine konservative GC-Strategie passt nicht zu Ben – zumindest nicht jetzt. Wenn der Tag kommt, an dem er um den Toursieg oder ein Podium fährt, wird er seine Herangehensweise natürlich anpassen müssen. Aber derzeit fühlt sich dieses defensive Warten weder für ihn noch für uns als Team richtig an.“