Pavel Sivakov hat sich nie davor gedrückt, die schwierigen Fragen zu seiner eigenen Karriere zu stellen. Der Franzose, der einst als möglicher Grand-Tour-Sieger gehandelt wurde, hat sich zu einem vielseitigeren und – aus seiner Sicht – bedeutenderen Fahrertyp entwickelt.
In einem aufschlussreichen Interview mit Cycling News zum Saisonende blickte Sivakov auf die Höhen und Tiefen seiner Laufbahn zurück: vom vielversprechenden Talent bei
INEOS Grenadiers zum verlässlichen Edelhelfer von Tadej Pogacar beim UAE Team Emirates – XRG. Dabei wurde deutlich, wie sehr ihm dieser Schritt geholfen hat, seine sportliche Balance und sein Selbstvertrauen wiederzufinden.
Eine Lektion in Sachen Druck und Übertraining
Sivakovs Selbstanalyse geht bemerkenswert tief. Seine Saison 2019 – mit Siegen bei der Alpenrundfahrt und der Tour de Pologne sowie dem neunten Platz beim Giro d’Italia im Alter von nur 22 Jahren – schien damals der Startschuss für eine ganz große Karriere zu sein. Doch es folgte eine harte Lektion über Erwartungsdruck, Perfektionismus und mentale Erschöpfung.
„2019 war meine Durchbruchssaison. Dann kamen zwei, drei Jahre, in denen ich mich nicht so entwickelte, wie ich es mir erhofft hatte“, sagt er rückblickend. „Ich habe gekämpft, vor allem mental. Ich habe mich selbst zu sehr unter Druck gesetzt, wollte immer mehr. Ich war nicht selbstbewusst genug, um auf meinen Körper zu hören, und bin einfach den Trainingsplänen gefolgt.“
Wie viele Fahrer jener Zeit bei Team Sky bzw. INEOS wurde er von der kompromisslosen Trainingsphilosophie mitgerissen. „Ich habe gesehen, wie
Geraint Thomas und Chris Froome immer mehr trainierten“, erinnert er sich. „Als junger Fahrer wollte ich genauso sein. Doch dann stressst du dich nur – trainierst zu viel, machst zu strenge Diäten, stürzt vielleicht häufiger. Ein Teufelskreis.“
Diese Haltung sei ihm teilweise in die Wiege gelegt worden. „Das kommt wohl etwas aus meinen Wurzeln – vielleicht vom sowjetischen Stil meiner Eltern – wo man selbst dann trainiert, wenn man schon völlig am Ende ist. Man zieht die Stunden durch, egal was kommt.“
Sivakov fuhr zwischen 2018 und 2023 sechs Saisons lang für Sky/INEOS
In den UAE einen neuen Rhythmus finden
Als Sivakov INEOS verließ und sich 2024 dem UAE Team Emirates – XRG anschloss, war das weit mehr als ein reiner Teamwechsel. Es war ein Wechsel der gesamten sportlichen Philosophie. Tadej Pogačars entspannter, instinktgesteuerter Ansatz stellt für ihn ein ganz anderes Modell von Spitzenleistung dar – eines, das ihm neue Freiheit und Leichtigkeit gegeben hat.
„Tadej hat die Fähigkeit, ruhig zu bleiben und sich nicht verrückt zu machen. Ich bin nicht so – ich habe mich früher über jedes Detail aufgeregt, und das hat mich irgendwann blockiert“, erklärt Sivakov.
Im Umfeld von Pogačar hat er gelernt, seine hohe Arbeitsmoral produktiver einzusetzen. Auch wenn seine Saison 2025 nicht ohne Rückschläge blieb – einem frühen Sieg bei der Vuelta a Andalucia folgten Ausfälle bei Paris–Nizza, Katalonien und sogar der Tour de France – zeigte er immer wieder die Klasse, die ihn einst als künftigen Grand-Tour-Star erscheinen ließ.
„Die Tour war eine große Enttäuschung für mich“, gibt er offen zu. „Ich wollte die Jungs unterstützen und selbst in Topform sein, aber ich wurde gleich am ersten Anstieg abgehängt. Das war mental hart, denn ich weiß, dass ich mehr drauf habe. Aber wir hatten einen unglaublichen Teamzusammenhalt, und das hat mir geholfen, es nach Paris zu schaffen. Ich habe persönlich gelitten, aber ich war Teil des Teams, das die Tour gewonnen hat – und das ist immer etwas Besonderes.“
Immer noch hungrig nach mehr
Sivakov sieht sich längst nicht in einer reinen Helferrolle – sein Ehrgeiz ist ungebrochen. Mit 28 Jahren glaubt er, sich weiterhin im Aufwärtstrend zu befinden und gerade erst in seine stärksten Jahre einzutreten.
„Ich mache jedes Jahr Fortschritte, meine Werte werden immer besser“, sagt er. „Ich bin überzeugt, dass meine besten Jahre noch vor mir liegen, weil ich gelernt habe, mich viel besser zu steuern. Ich habe große Ziele. Ich unterstütze Tadej und das Team gerne, wenn ich etwas bewirken kann – aber ich will weiterhin Rennen gewinnen, angreifen und um Siege kämpfen. Dafür trainiere ich jeden Tag.“
Seine Worte zeichnen das Bild eines Fahrers, der sich mit der Unvorhersehbarkeit des Profisports arrangiert hat – und darin seinen Platz gefunden hat. Im Schatten eines Superstars wie Pogačar hat Sivakov nicht etwa an Strahlkraft verloren. Stattdessen hat er sein eigenes Licht wiederentdeckt – und es scheint, als würde es erst jetzt richtig hell.