Spezial | „Auch im Training gibt es Verpflegung aus dem Auto“ – wie Profis sich im Winter auf Rennen vorbereiten

Radsport
Mittwoch, 24 Dezember 2025 um 19:00
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Profi zu sein ist im Radsport extrem vielschichtig. Neben unzähligen Trainingsstunden, spezifischen Einheiten, jahreslang geplanter Ernährung und vielem mehr… gibt es auch den technischen Aspekt. Wie entwickeln Fahrer ihre Fähigkeiten auf dem Rad, damit sie im Peloton nicht scheitern? Darüber sprechen wir mit Matevz Govekar von Bahrain - Victorious.
Fahren im Peloton bedeutet Effizienz. Es gibt viele Bereiche, in denen das entscheidend ist. Einer ist die Aerodynamik auf dem Rad, die immer wichtiger wird, je schneller das Feld fährt. Ein anderer ist die Positionierung – nicht nur in Sprints, was Govekar als früheren Etappensieger der Tour of Britain und der Tour of Guangxi direkt betrifft, sondern während stundenlanger Rennen und besonders in den Klassikern.
Viele Fahrer haben dafür ein natürliches Talent. Antonio Tiberi, Teamkollege des Slowenen, hat uns kürzlich erklärt, welchen Unterschied es macht, mit Damiano Caruso zu fahren, einem deutlich erfahreneren Profi mit anderthalb Jahrzehnten im Peloton: „Mit ihm bin ich definitiv entspannter, weil ich weiß: Wenn ich ihm einfach folge, befinde ich mich im richtigen Moment am richtigen Ort. Er kann das Rennen unglaublich gut lesen, sieht, was passiert, und reagiert optimal.“ Der Italiener lernt so, Rennen ähnlich zu lesen, Energie nur dann zu investieren, wenn es nötig ist, und in unwichtigen Phasen keine Körner zu verschießen.
Bike-Handling ist ein weiterer zentraler Punkt, besonders in den Kopfsteinpflaster-Klassikern, wo die Straßen oft schmal, tückisch und der Belag fordernd ist – volle Konzentration und schnelle Reaktionen sind gefragt. Man denke an Mathieu van der Poel, inzwischen dreimal in Folge Sieger von Paris-Roubaix. Die physische Komponente ist unverzichtbar, doch seine jahrzehntelange Cyclocross-Erfahrung lässt sich auf diesem Terrain direkt auf die Straße übertragen.

Nutrition

Beispiele gibt es unzählige. Heute nehmen Fahrer in Rennen mit hoher Energienachfrage oft bis zu 120 Gramm Kohlenhydrate pro Stunde auf. Das gilt für Kapitäne wie Helfer. Solche Mengen erfordern Konzentration, und in einem schnellen Peloton oder auf technischem Terrain ist feste Nahrung oft schwer zu konsumieren. Vielen bleibt Tadej Pogacars Einbruch am Col du Granon bei der Tour de France 2022 in Erinnerung. Vismas Attacken aus der Ferne führten zu einem Missgeschick des Slowenen, das er teuer bezahlte. Wer in Phasen hoher Anspannung richtig verpflegen kann und mitten im Feld essen kann, ist am Ende im Vorteil.
Doch es geht weiter: Govekar verrät, dass während Trainingslagern gegessen wird, als wäre es ein Rennen – um den Körper frühzeitig an die ideale Strategie für einen ganzen Tag, etwa bei einer Grand Tour, zu gewöhnen. „Ich würde sagen Ernährung, zu 100 Prozent. Ich denke, alle Teams werden jedes Jahr detailreicher. Besonders in Trainingslagern simulieren wir die Ernährung, die wir im Rennen umsetzen, damit der Darm vorbereitet ist.“
Die Ernährung hat sich in den vergangenen Jahren stark entwickelt, und das Essen selbst ist für manche fast eine Aufgabe. Tadej Pogacar hat beschrieben, was er an Renntagen typischerweise frühstückt und wie viel Zeit das kostet. Velon hat sogar konkrete, überraschend öffentliche Zahlen zu Kalorien, Kohlenhydraten, Eiweiß und Fett geteilt, die ein Fahrer wie Pogacar auf einer Bergetappe der Tour de France konsumiert – bis ins Detail.
Matevz Govekar sprintet beim 2024 Tour of Britain zum Sieg
Als Sprinter muss Matevz Govekar die Kunst der Positionierung beherrschen. 

Putting on clothes

Kleidung an- und ausziehen. Oft übersieht man das, doch nicht selten ringen Fahrer im Rennen mit Überschuhen oder sogar mit Jacken. Aero ist König, daher sitzt alles eng – selbst bei Kälte oder Regen. Nicht zufällig heißt Q36.5s neue Jacke „the condom“ – das Thema wird ernst genommen. Das macht die Handhabung aber auch heikel.
Eines der ikonischsten Bilder der 2020er ist ohne Zweifel Jai Hindleys Kampf, sich am Passo dello Stelvio eine Jacke überzuziehen. Minuten der Anspannung, als der Australier allein auf weiter Flur die Jacke nicht anbekam. Man stelle sich vor, er hätte anhalten und dadurch Zeit verlieren müssen… oder gestürzt, weil sich die Jacke im Rad verfangen hätte… oder sie gar nicht anbekommen, wäre krank geworden und hätte das Rennen verloren oder an Leistung eingebüßt. Monate der Vorbereitung bis ins kleinste Detail – und dann entscheidet etwas so Rudimentäres das Resultat.
Dennoch müssen Profis das beherrschen. Es ist ihr Beruf, und Versagen kann im Topniveau teuer werden, wo die Einsätze höher sind als irgendwo sonst im Sport. Govekar erklärt, dass das im Team nicht spezifisch trainiert wird, aber jeder Fahrer eigene Routinen hat. „Kleiderwechsel ist, glaube ich, Typsache. Manchen liegt das sehr natürlich, und sie bekommen die nötigen Handgriffe schnell raus.“

Preventing unnecessary stops 

Noch so ein Thema: Urinieren auf dem Rad. Die Bilder von Fahrern, die am Straßenrand pinkeln und dabei von einem Teamkollegen angeschoben werden, gehören zu den ungewöhnlichsten des Sports. TV-Regisseure verbergen das meist geschickt, doch ganz vermeiden lässt es sich nicht. Normalerweise passiert das in ruhigeren Rennphasen, aber im modernen Radsport kann es stundenlang ohne echte Pause zur Sache gehen. In den Kopfsteinpflaster-Klassikern ist dieser Luxus oft nicht drin.
Anhalten kostet überraschend viel Zeit – und Kraft, um wieder ins Peloton zurückzukehren. In Rennen, die oft in knappen Sprints entschieden werden, kann das über Sieg oder Platz zwei entscheiden. Im Training wird das jedoch nicht geübt: „Vom Rad zu pinkeln machen wir im Training nicht, ich finde das auch etwas unangebracht, weil wir Zeit haben anzuhalten und es irgendwo privat zu erledigen.“ Im Rennen spart es unterwegs jedoch in vielen Fällen massiv Zeit.

Dienst am Kapitän und mehr

Verpflegung aus dem Auto holen – für sich selbst und um sie an Teamkollegen zu verteilen – ist eine Kernkompetenz, die vor allem Helfer brauchen. Govekar kennt die Rolle und wie man seine Kapitäne unterstützt. „Sagen wir, wenn ein neuer Fahrer ins Team kommt, üben wir im Training auch das Verpflegen aus dem Auto, damit sie zurück zum Auto fahren und Flaschen holen“, erklärt er. „Klar, aber es ist auch ein bisschen Typsache.“
Viele dieser kleinen Details, für den Gelegenheitszuschauer fast unsichtbar, können am Ende den Unterschied machen. Und in einem Sport der „marginal gains“ darf man kein Detail ignorieren. „Wenn jemand mit etwas kämpft, frage ich: ‚Kann ich das so probieren? Kann ich es so machen?‘ Und die Dinge werden bestmöglich gelöst.“
Flaschen von den Betreuern greifen (und die Betreuer darauf schulen, sie perfekt zu übergeben); sauber durch Kurven und Abfahrten kommen; Windstärke und -richtung lesen, um die Position im Feld zu steuern; das Funkgerät nutzen und mit Auto und Teamkollegen kommunizieren; bei schnellen Rad-/Laufradwechseln helfen – all das sind wichtige Details, die nichts mit VO2max, FTP oder anderen Kennzahlen zu tun haben, aber für alle Fahrer im Peloton entscheidend sind.
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