„Sie haben mich vor den Bus geworfen“ – Bradley Wiggins erhebt schwere Vorwürfe gegen Team Sky

Der frühere Tour-de-France-Sieger und fünfmalige Olympiasieger Sir Bradley Wiggins hat das britische Team Sky beschuldigt, ihn geopfert zu haben, um andere vor Dopinguntersuchungen zu schützen. In einem Interview mit der Times vor der Veröffentlichung seines neuen Buches The Chain sprach Wiggins offen über die turbulente Zeit seiner Karriere – und über die Schatten, die sie bis heute wirft.

„Da war etwas Größeres im Gange. [Sky] hat mich vor den Bus geworfen“, sagte der 45-Jährige. Auf die Frage, wer genau damit gemeint sei, ließ er Raum für Spekulationen: „Es wird herauskommen“, erklärte er kryptisch – eine Ankündigung, die auf mögliche Enthüllungen im Buch hindeutet.

Wiggins’ Aussagen beziehen sich auf eine der umstrittensten Phasen des modernen Radsports. Zwischen 2011 und 2013 stand Team Sky wegen des Gebrauchs sogenannter TUEs (Therapeutic Use Exemptions) unter Druck – medizinischer Ausnahmegenehmigungen für den Einsatz von Kortikosteroiden. Besonders im Fokus stand die mysteriöse „Jiffy Bag“-Affäre beim Critérium du Dauphiné 2011.

Wiggins hatte vor seinem Tour-de-France-Sieg 2012 eine TUE erhalten – eine Praxis, die zwar legal, aber moralisch umstritten war. Der Brite beteuerte stets, im Rahmen der Regeln gehandelt zu haben. Trotzdem blieben Zweifel – und ein beschädigtes Vertrauen.

In The Chain beschreibt Wiggins nicht nur diese Jahre, sondern auch seinen tiefen Absturz nach dem Karriereende 2016. Er enthüllt erschütternde Details über seine Drogenabhängigkeit – und wie Ruhm und Druck ihn zerstörten.

„Hunderttausende Menschen haben mich angefeuert, Millionen sahen zu. Einer der größten Momente von London 2012 – und da stand ich in einem Schrank und schnupfte Kokain von meiner Goldmedaille“, schreibt Wiggins. „Ich verhöhnte meine Leistung, hasste sie für das, was sie mir gebracht hatte. Es war, als würde ich auf das Grab von jemandem pissen – und in diesem Moment pisste ich auf mein eigenes.“

Der einstige Nationalheld berichtet von Obdachlosigkeit, Nächten in Crack-Häusern und einem Leben, das in wenigen Jahren völlig entgleiste.

Heute, sagt Wiggins, sei er seit einem Jahr clean und Teil der Anonymen Drogensüchtigen. Das Buch sei sein Weg, Verantwortung zu übernehmen. Unterstützung fand er überraschend bei einem früheren Rivalen – Lance Armstrong half ihm, ein Reha-Programm in den USA zu beginnen.

„Ich wollte der Erzähler meiner eigenen Geschichte sein – im Guten wie im Schlechten“, sagte Wiggins der Times. Der Brite lebt inzwischen abstinent, folgt einem strikten Tagesablauf und trainiert wieder regelmäßig. „Ich gehe jeden Tag ins Fitnessstudio, fahre Rad, plane meine Mahlzeiten. Ich lebe wieder wie ein Profi – aber diesmal für mich selbst.“

Wiggins spricht in seinem Buch auch über den sexuellen Missbrauch durch seinen ehemaligen Jugendtrainer Stan Knight, der ihn jahrelang prägte und später seine Beziehung zum Radsport zerstörte. „Ich verbinde jeden Aspekt des Radsports mit Stan. Hätte ich nicht mit dem Radsport begonnen, hätte ich diesen Mann nie kennengelernt“, erklärt er. „Aber heute kann ich wieder Rad fahren – am Wochenende, für mich. Dieses Gefühl von Freiheit, das ich als Kind hatte, ist wieder da.“

Nach seiner Insolvenz sagt Wiggins, er habe inzwischen „mehr Arbeit, als ich bewältigen kann“ und wieder ein eigenes Zuhause. Doch seine Vorwürfe gegen Team Sky – die Behauptung, er sei geopfert worden, um andere zu schützen – werfen ein neues Licht auf eine Epoche, die längst als abgeschlossen galt.

Mit The Chain reißt Bradley Wiggins alte Wunden auf – und konfrontiert nicht nur sich selbst, sondern auch den britischen Radsport mit der Frage: Wer trägt wirklich Verantwortung für die Schatten der goldenen Ära?