Mit
Jonathan Milan geht
LIDL-Trek
mit einem der schnellsten Männer im Feld in die
Tour de France 2025. Der
24-jährige Italiener feiert in Lille sein Debüt bei der Großen Schleife – und
träumt dabei nicht nur vom Etappensieg, sondern auch vom Gelben
Trikot. In einer ausführlichen Pressekonferenz sprach Milan gegenüber RadsportAktuell über die erste
Etappe, die Chancen auf das Grüne Trikot, seine Entwicklung als Sprinter
und das besondere Verhältnis zu seinem Anfahrer Simone Consonni.
Wird die erste Etappe in Lille so
gefährlich, wie es scheint?
Definitiv. Jeder wird vorne bleiben wollen, um Unfälle zu vermeiden – was
allein schon das Rennen extrem nervös macht. Ich glaube, es wird ein
Dragster-Rennen, das sehr früh beginnt. Wir haben viele offene Abschnitte, und
wenn dort Wind reinbläst, kann es gefährlich werden. Wir müssen den ganzen Tag
über konzentriert sein. Der Sprint wird entscheidend, klar – aber schon die
Kilometer davor können kritisch sein.
Wollt ihr als Team das „Drag Race“ von
vorne fahren?
Ja, das ist das Ziel – wie bei allen anderen Teams auch. Wir wollen vorne sein.
Habt ihr dafür die nötige Kraft?
Wir haben auf jeden Fall die Power, aber es ist schwierig, 80 Kilometer lang
ganz vorn zu fahren. Die Strecke wechselt: offene Abschnitte, dann Städte,
wieder breite Straßen. Man muss flexibel bleiben und reagieren – je nach Wind
und Rennsituation. Wir werden versuchen, mit Partnern oder allein vorn zu
bleiben.
Mattias Skjelmose hat gesagt, das Team sei
hauptsächlich für dich da. Spürst du Druck?
Ein bisschen, klar – aber es hält sich in Grenzen. Ich weiß, dass ich ein sehr
starkes Lead-Out-Team hinter mir habe. Das nimmt mir Druck. Wenn man Fahrer
hat, die dich in Position bringen, die genau wissen, was sie tun, dann kannst
du dich besser auf den Sprint konzentrieren. Das gibt Selbstvertrauen.
"Vielleicht kann Pogacar um Grün kämpfen"
Gehst du als Favorit ins Rennen?
Nein. Da gibt es andere: Tim
Merlier, Jasper Philipsen, Dylan Groenewegen. Viele starke Teams, viele gute
Sprinter.
Was hältst du vom
Punktesystem für das Grüne Trikot?
Es wird wie immer schwierig. Und dieses Jahr ist es für einen reinen Sprinter
vielleicht sogar noch schwerer – durch die Punktevergabe bei Bergetappen.
Vielleicht kann sogar jemand wie Pogacar um Grün kämpfen.
Denkst du, dass van
der Poel auf das Grüne Trikot gehen wird?
Ja, ich denke schon. Er war bei der Dauphiné richtig stark – gerade am Berg.
Ich glaube, er kommt in Topform zur Tour. Auch Jasper könnte es wieder
versuchen.
Ist Grün ein Ziel –
oder wartest du die ersten Etappen ab?
Natürlich versuchen wir es. Aber das Grüne Trikot ist ein Resultat aus
konstanten Ergebnissen. Wenn du vorne mitfährst und Punkte sammelst, kommt das
irgendwann von selbst. Klar: Es ist eines der großen Ziele.
Greifst du auch in
Zwischensprints an oder konzentrierst du dich auf Zielankünfte?
Ich werde mich auf die flachen Finals konzentrieren – da habe ich meine
Chancen. Aber je nach Gefühl und Rennverlauf werden wir sehen, was möglich ist.
Wie viele echte
Sprintchancen siehst du für dich?
Fünf, sechs Etappen – das ist realistisch.
Hast du dir schon
vorgestellt, das Gelbe Trikot zu tragen?
Nein. Natürlich wäre es ein Traum. Aber ich schaue von Tag zu Tag. Wir
konzentrieren uns auf Samstag.
Was bedeutet das
Gelbe Trikot für dich im Vergleich zum Rosa Trikot des Giro?
Beide haben für mich den gleichen Wert. Beide sind extrem bedeutend – als
Italiener, als Fahrer. Schwer zu vergleichen.
Die Zielankunft auf
den Champs-Élysées wurde verändert. Deine Gedanken dazu?
Als Sprinter hätte ich das Finale gern wie früher. Es war der perfekte
Showdown. Jetzt wird es anders – mit einem Anstieg am Ende. Jasper [Stuyven]
hat mir erzählt, wie hart dieser Anstieg bei Olympia 2024 war – und da waren es
nur 90 Fahrer. Jetzt sind wir doppelt so viele. Es wird anders – und wohl auch
chaotischer. Aber wir versuchen, trotzdem einen Massensprint zu erzwingen.
Was unterscheidet
dich von Philipsen und Merlier?
(lacht) Ich bin größer. Im Ernst: Es hängt vom Sprint ab. In den
UAE-Tour-Etappen zu Beginn der Saison war es oft so: Ich starte früher, er holt
mich ein. Oder umgekehrt. Dieses Jahr bin ich ihm weniger begegnet, aber er ist
definitiv in Topform.
Anfang des Jahres
hast du gesagt, du willst deine Schultern weniger einsetzen. Hat das geklappt?
Ich arbeite daran – sehr intensiv. Auch im Kraftraum. Jede Bewegung kostet
Energie und schadet der Aerodynamik. In diesen letzten 20 Sekunden kann man
kaum noch kontrollieren, was man tut, aber ich versuche, so ruhig und
kraftsparend wie möglich zu sprinten.
"Ich habe ein paar Kilo verloren"
Du siehst etwas
leichter aus – bewusst Gewicht verloren?
Ja, ein bisschen. Ich habe in der Höhe, vor allem im Trainingslager vor der
Dauphiné, ein paar Kilo verloren. Nicht viel – aber genug, um auch in Anstiegen
besser klarzukommen. Das war das Ziel.
Ändert sich deine
Mentalität, wenn am ersten Tag das Gelbe Trikot winkt?
Nicht wirklich. Es bleibt ein Sprint. Natürlich weiß ich, was auf dem Spiel
steht – aber ich werde es wie jeden anderen Sprint angehen.
Wie wichtig ist
deine Beziehung zu deinem letzten Anfahrer Simone Consonni?
Sehr wichtig. Eigentlich sind wir vier – Consonni, Theuns, Stuyven und ich –
ein eingeschworenes Team. Aber mit Simo ist es besonders. Wir kennen uns seit
Jahren, haben auf der Bahn zusammen gearbeitet, auch bei Olympia. Wir wohnen
zusammen, kennen uns blind. Das hilft enorm.
Welche Sprache
sprecht ihr im Finale?
Mit Consonni Italienisch, mit Theuns und Stuyven Englisch. Am Funk natürlich
auch Englisch – aber zwischen Simo und mir geht es schnell und direkt auf
Italienisch. Bei 60 km/h ist das keine schlechte Lösung (lacht).
Spürst du schon
jetzt, dass die Tour größer ist als alles andere?
Ja, absolut. Die ganze Atmosphäre ist anders – viel intensiver. Du spürst es
sofort. Es ist wirklich etwas Besonderes.
Wer sind aus deiner
Sicht die größten Konkurrenten?
Philipsen, Merlier, Groenewegen – und natürlich Girmay. Vielleicht auch Wout
van Aert, je nachdem, wie er drauf ist. Aber das sind die, mit denen ich
rechne.
Was ist bei der
Italienischen Meisterschaft passiert?
Es war ein besonderes Rennen für mich – in meiner Heimatregion. Aber wir waren
nur zu dritt vom Team am Start, Astana hat viel kontrolliert, dann gab’s viele
Attacken. Ich habe bis zum Schluss gekämpft und mein Bestes gegeben. Leider
hat’s nicht gereicht. Aber Chapeau an Filippo Conca – er war am Ende der
Stärkste.