Jonas Vingegaard kehrt als Titelanwärter zur
Tour de France 2025 zurück – mit mehr Muskeln, mehr Selbstvertrauen und dem klaren Ziel, ein drittes Mal das Maillot Jaune in Paris zu tragen. Im Rahmen der Team-Pressekonferenz sprach der 27-Jährige gegenüber RadsportAktuell mit bemerkenswerter Offenheit über seine Vorbereitung, die Rivalität mit
Tadej Pogacar und seinen mentalen Zustand nach einem weiteren schwierigen Frühling.
„Ich bin stärker als je zuvor – aber auch schwerer“
Frage: Herr Vingegaard, wie sieht der Plan aus, um Tadej Pogacar zu schlagen?
Vingegaard: Den verrate ich nicht – weder Ihnen noch sonst jemandem. Natürlich habe ich einen Plan, wie immer. Aber das ist etwas, das wir nur im Team besprechen.
Frage: Pogacar sagte, Sie seien an langen Anstiegen besonders stark. Stimmen Sie dem zu?
Vingegaard: Das ist ein schönes Kompliment von ihm, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das unterschreiben würde – zumindest nicht auf Basis der Dauphiné. Dort war er an den langen Anstiegen stärker. Ich hoffe aber, dass ich jetzt besser bin. Wir haben ein starkes Team und einen klaren Plan.
Frage: Welchen Stellenwert haben die ersten zehn Tage dieser Tour?
Vingegaard: Einen sehr großen. Die ersten zehn Etappen werden hektisch – vielleicht sogar chaotisch. Ich habe noch nie an einem Massensprint auf der ersten Etappe teilgenommen. Wenn man die Tour als Kind im Fernsehen gesehen hat, weiß man, wie nervös es zu Beginn ist. Wichtig ist: keine Zeit verlieren, dann entscheidet sich alles in den Bergen.
Frage: Sie sagen, Sie sind stärker als je zuvor – reicht das, um zu gewinnen?
Vingegaard: Ich glaube schon. Letztes Jahr war ich auch auf einem sehr hohen Niveau, aber ich war leichter, hatte weniger Muskeln. Jetzt bin ich schwerer, aber es ist Muskelmasse – und wir wissen, dass sie mehr Leistung bringt. Ich bin so stark wie noch nie – ob es reicht, wird sich zeigen.
Frage: Was ist konkret anders im Vergleich zur letzten Saison?
Vingegaard: Letztes Jahr habe ich lange gebraucht, um mich von meinem Sturz zu erholen. Ehrlich gesagt, hat es fast ein Jahr gedauert, bis sich mein Körper wieder so angefühlt hat wie vorher. Und wenn man drei Wochen im Bett liegt, verliert man natürlich viel Muskelmasse. Die haben wir jetzt zurückgewonnen.
„Das wird stressig und gefährlich“
Frage: Paris wartet – aber viele sprechen über die Montmartre-Etappe. Was erwarten Sie?
Vingegaard: Ich glaube nicht, dass sie wie eine Schaulauf-Etappe gefahren wird – vor allem nicht, wenn es im Gesamtklassement eng ist. Dann gibt’s keinen Platz für Paraden. Bei Olympia waren 50 Fahrer im Anstieg, diesmal werden es über 150 sein. Alle wollen vorne fahren – das wird stressig und gefährlich.
Frage: Ihre Rivalität mit Tadej Pogacar ist statistisch gesehen eine der knappsten aller Zeiten. Was bedeutet sie Ihnen?
Vingegaard: Ein so starker Gegner wie Tadej bringt das Beste in einem hervor. Man muss jeden Tag hart trainieren, um mitzuhalten. Ich schätze ihn sehr – sportlich und menschlich. Ich habe nur gute Worte für ihn.
Frage: Ihr Hauptziel ist Gelb in Paris – aber auch Wout van Aert hat Ambitionen. Unterstützen Sie ihn?
Vingegaard: Natürlich freue ich mich, wenn Wout Etappen gewinnt oder ein paar Tage im Gelben Trikot fährt. Aber unser großes Ziel ist der Gesamtsieg. Wenn ich ihm helfen kann, ohne das zu gefährden, tue ich das gern.
Frage: Haben Sie Angst vor Pogacar – oder seinem Team?
Vingegaard: Angst? Wenn wir Angst hätten, wären wir nicht hier. Mein Sportdirektor hat es treffend gesagt: Wer Angst hat, soll zu Hause bleiben. Aber natürlich respektieren wir, was Tadej kann – sehr sogar.
Frage: Bei der Dauphiné waren Sie im Zeitfahren deutlich besser als Pogacar. Vorteil?
Vingegaard: Man kann das nicht verallgemeinern. Ein gutes oder schlechtes Zeitfahren bei der Dauphiné bedeutet nicht automatisch, dass man bei der Tour so oder so fährt. Trotzdem ist es natürlich besser, wenn man dort gut drauf ist. Wir werden auf der 5. Etappe sehen, wie es aussieht.
Frage: Welche Bergetappe wird Ihrer Meinung nach die schwerste?
Vingegaard: Es gibt viele schwere Etappen – ich würde keine besonders hervorheben. Die zwei in den Pyrenäen und die zwei in den Alpen sind alle brutal. Es wird in jeder einzelne hart.
So ging es Vingegaard nach seinem Sturz
Frage: Wie lange hat es gedauert, nach Ihrem Sturz bei Paris–Nizza wieder auf das Rad zu steigen?
Vingegaard: Ich lag eine Woche auf der Couch. Ich war jeweils eine Stunde wach, musste dann wieder eine Stunde schlafen – so war das in den ersten fünf Tagen. Ab dem achten oder neunten Tag konnte ich wieder ganz leicht trainieren.
Frage: In der Dauphiné sind Sie im Sprint gegen Tadej angetreten. Was haben Sie danach miteinander gesprochen?
Vingegaard: Um ehrlich zu sein – ich kann mich nicht erinnern! (lacht)
Frage: Hilft die zusätzliche Muskelmasse auch in den Bergen – zum Beispiel bei den Attacken von Pogacar?
Vingegaard: Ja, definitiv. Wenn man mehr Muskeln hat, kann man besser beschleunigen. Genau daran haben wir seit letztem Jahr gearbeitet – weil ich bei den Antritten oft das Nachsehen hatte. Daran haben wir gezielt gearbeitet.
Frage: Neben Ihnen und Remco Evenepoel – wer ist aus Ihrer Sicht noch gefährlich?
Vingegaard: Es gibt viele. Es ist die Tour de France – alle bringen ihre besten Teams mit. Primož Roglič darf man nie abschreiben, auch wenn er beim Giro gestürzt ist. INEOS ist stark, Movistar auch. Es gibt viele Namen, die ich hier gar nicht alle nennen kann.
Frage: Wie blicken Sie auf Ihre ersten vier Tour-Teilnahmen zurück?
Vingegaard: Es fühlt sich an, als hätte ich viermal gewonnen. Im ersten Jahr war ich Zweiter – das war wie ein Sieg. Dann zwei echte Siege. Und letztes Jahr war allein die Rückkehr nach dem Sturz für mich ein Sieg. Deshalb: ja, es fühlt sich an wie viermal gewonnen.
Frage: Also jagen Sie Nummer fünf?
Vingegaard: Sagen wir’s so. (lacht)
Frage: Sie haben Simon Yates, einen Giro-Sieger, im Team. Was bedeutet das für Sie?
Vingegaard: Simon ist super – nicht nur stark, sondern auch menschlich top. Wir waren gemeinsam im Höhenlager in Tignes, und er hat beim Giro gezeigt, wie gut er ist. Mit ihm, Sepp Kuss und Matteo Jorgenson habe ich mein Traumteam für die Berge. Und auch für die Flachetappen – wir haben ein komplettes Klassikerteam.
Frage: Wie gehen Sie mit dem ganzen Medienrummel um – gerade hier bei der Tour?
Vingegaard: Beim ersten Mal ist es ziemlich überwältigend. Aber man gewöhnt sich dran. Man wird entspannter, denkt irgendwann nicht mehr groß darüber nach. Die Tour ist halt doppelt so groß wie jedes andere Rennen – aber inzwischen kenne ich das.
Frage: Gibt es eine Schwäche bei Tadej Pogacar?
Vingegaard: In den letzten Jahren hatte er ehrlich gesagt kaum Schwächen. Und wenn er welche hat – dann werde ich sie sicher nicht hier verraten. Das sind unsere Karten, und die behalten wir für uns.