Bobby Julich, ehemaliger US-Profi und heute Radsportanalyst, hat eine weitere außergewöhnliche Saison bilanziert – eine Saison, die aus seiner Sicht „von Anfang bis Ende“ auf höchstem Niveau verlief.
In seinem ausführlichen Jahresrückblick für Velo analysierte Julich die Highlights der Saison in vier wesentlichen Kategorien: Grand Tours, Klassiker, Sprints und Teams. Und wie könnte es anders sein:
Tadej Pogacar stand nach einem nahezu historischen Siegeszug erneut im Zentrum der Betrachtung. Der Slowene gewann 2025 nicht nur die Tour de France, sondern auch Welt- und Europameisterschaften, drei Monumente sowie zahlreiche weitere Top-Rennen.
Julich erinnerte daran, dass er bereits 2024 Zeuge einer Saison geworden war, die für ihn Maßstäbe setzte: „Nachdem ich gesehen hatte, wie Tadej Pogacar das Triple aus Giro d’Italia, Tour de France und Straßen-WM 2024 schaffte, war ich überzeugt, gerade die größte Saison der modernen Radsportgeschichte erlebt zu haben.“
Doch statt eines Einbruchs folgte eine noch dominantere Antwort:
„Ich war besorgt, dass die enorme Belastung nach diesem nahezu perfekten Jahr zu einer mittelmäßigen Kampagne 2025 führen würde. Aber Pogacar übertraf alle Erwartungen – und war in meinen Augen in dieser Saison sogar noch dominanter.“
Pogacar wieder unschlagbar bei GC und Klassikern
Für Julich war – wie für die meisten Beobachter – die Wahl zum besten Rundfahrer des Jahres ein Selbstläufer:
„Die offensichtliche Wahl ist Tadej Pogacar“, erklärte er. „Er gewann jedes Etappenrennen, an dem er teilnahm – darunter die UAE Tour, das Critérium du Dauphiné und natürlich die Tour de France.“
Hinter dem dominanten Slowenen würdigte Julich vor allem João Almeida, der sich mit mehreren Podiumsplätzen und drei aufeinanderfolgenden Gesamtsiegen nachhaltig in der Weltspitze etablierte.
Ein weiterer Name, der ihm imponierte: Florian Lipowitz. Der Deutsche bestätigte sein enormes Potenzial mit einem „gewaltigen“ dritten Platz bei der Tour de France. „Ich bin allerdings gespannt, wie sich die Hierarchie mit Remco im Team entwickeln wird“, merkte Julich an.
Tom Pidcock wurde Julichs Überraschungsmann bei den Grand Tours:
„Wir alle wissen um sein Talent bei Eintagesrennen und kürzeren Rundfahrten. Aber dass er nach einer langen Saison – auf und abseits der Straße – bei der Vuelta Dritter wird, hat mich beeindruckt. Sagen Sie Tom nie, dass er etwas nicht kann – er wird das Gegenteil beweisen.“
Weniger positiv fiel das Fazit zu Primož Roglič aus:
„Er hat zwar die Volta Catalunya gewonnen, aber er schien nicht der Primož zu sein, den wir kennen. Er bleibt eine Legende – doch es wird spannend zu sehen, wie er sich mit Lipowitz und
Remco Evenepoel als aufstrebenden Kräften in seinem Team behauptet.“
Auch in der Kategorie Bester Klassikerfahrer fiel Julichs Wahl erneut auf Pogacar – dank seiner Siege bei Strade Bianche, Flandern, Flèche Wallonne, Lüttich–Bastogne–Lüttich und Lombardei:
„Er zeigte eine Kombination aus Stärke und taktischer Reife, von der die meisten Grand-Tour-Sieger nur träumen.“
Mathieu van der Poel wurde für sein historisches März-Triple – Mailand–San Remo, E3 Saxo Classic und Paris–Roubaix – besonders gewürdigt. Zudem hob Julich Mads Pedersen hervor, dessen „Power und offensive Fahrweise“ sich wie ein roter Faden durch die Saison zog.
Die Überraschung des Jahres bei den Klassikern war für ihn Neilson Powless, der bei Dwars door Vlaanderen die gesamte Weltelite bezwang.
Weniger euphorisch fiel das Urteil über Wout van Aert aus:
„Vielleicht hat er uns in den letzten Jahren einfach verwöhnt, aber er wirkte selten in Topform.“
Neilson Powless gewann die Dwars door Vlaanderen vor seinen Visma-Teamkollegen Wout van Aert, Tiesj Benoot und Matteo Jorgenson
Enger Wettbewerb unter den Sprintern
n der Kategorie „Bester Sprinter“ entschied sich Julich für Tim Merlier, der über das gesamte Jahr hinweg „unglaublich konstant“ ablieferte.
Eine besondere Erwähnung erhielt Olav Kooij, der trotz des fehlenden, perfekt eingespielten Sprintzugs regelmäßig um Siege kämpfte und seine enorme Klasse bestätigte.
Großes Lob sprach Julich zudem Matthew Brennan aus – das vielleicht spannendste Sprinttalent der neuen Generation:
„Mit 20 Jahren in seinem ersten WorldTour-Jahr zu sein und bereits 12 Siege eingefahren zu haben? Von diesem Jungen wird noch sehr viel kommen.“
Ebenfalls positiv hervorgehoben wurde Paul Magnier, der seine starke Form nicht nur zum Saisonauftakt bewies:
„Wenn ein junger Franzose die erste Etappe der Étoile de Bessèges gewinnt, sieht man ihn oft das restliche Jahr nicht mehr vorne. Doch Paul war die gesamte Saison über präsent und stark. Da er fast so viele Siege wie Tadej eingefahren hat, bin ich sicher, dass er 2026 bei noch größeren Rennen zum Einsatz kommt. Ich freue mich auf seine Entwicklung.“
Weniger erfreulich fiel Julichs Urteil über Biniam Girmay aus:
„Nach drei Sprintetappen und dem Grünen Trikot bei der Tour 2024 hatte ich mehr erwartet. Er war oft nah dran, aber blieb 2025 sieglos. Ich hoffe, dass sich die Situation in seinem Team stabilisiert und er zu seinem gewohnten Niveau zurückfindet.“
UAE Team Emirates führt die Rangliste an
Zum besten Team der Saison erklärte Julich UAE Team Emirates – XRG.
„Mit rekordverdächtigen 95 Siegen in einer einzigen Saison – erzielt von einer beeindruckend breiten Fahrerschaft – war es eine leichte Entscheidung“, schrieb er. „Die Menge an jungem Talent und Ehrgeiz in diesem Team ist atemberaubend.“
Auch Lidl-Trek erhielt Lob für die „clevere Investition zusätzlicher Mittel“ sowie eine klar erkennbare sportliche Weiterentwicklung. Darüber hinaus betonte Julich die herausragende Arbeit der ProTeams Uno-X und Tudor:
„Beide haben die gesamte Saison über ihr Gewicht in die Waagschale geworfen und klopfen an die Tür zur WorldTour. Nicht nur wegen der Ergebnisse, sondern dank hervorragender Organisation und Führung. Sie sind Musterbeispiele dafür, wie man ein erfolgreiches Team aufbaut und Fahrer gezielt weiterentwickelt.“
Besorgt äußerte sich Julich hingegen über Cofidis, nach drei enttäuschenden Saisons in die ProTour abgestiegen:
„Trotz eines starken Starts scheinen die Räder bei einem der traditionsreichsten französischen Teams nicht mehr rundzulaufen. Mit den Managementwechseln stehen sie am Abgrund des WorldTour-Verlustes. Als Gründungsmitglied des Cofidis-Teams von 1997 hoffe ich persönlich sehr, dass sie den Turnaround schaffen.“
Mit Blick auf die Zukunft überwiegt jedoch Vorfreude.
„Die Saison 2025 ist kaum vorbei, und ich zähle bereits die Tage bis zum nächsten Jahr“, schloss Julich. „Jetzt, da die Tour-de-France-Route 2026 bekannt ist, hoffe ich, dass die Fahrer ihre wohlverdiente Pause genießen – bevor sie wieder angreifen.“