„Sport sollte nicht politisiert werden“ – eine Haltung, die in den vergangenen Monaten im Profiradsport immer wieder betont wurde. Spätestens seit den massiven Anti-Israel-Protesten bei der Vuelta a España ist das Thema allgegenwärtig. Auch die UCI stellte klar, den Sport von politischen Einflüssen trennen zu wollen. Doch nun hat ausgerechnet die zweifache Weltmeisterin
Chloé Dygert bei den Weltmeisterschaften selbst ein politisches Signal gesetzt – und die Debatte erneut entfacht.
Die Bilder der Vuelta sind noch frisch im Gedächtnis. Mehrfach mussten Etappen neutralisiert oder gar abgesagt werden, nachdem Proteste auf den spanischen Straßen eskalierten. Fahrer wurden beschimpft, bedrängt und teilweise durch Blockaden in Sturzgefahr gebracht. Das Ziel der Demonstrationen war das Team Israel – Premier Tech, auch wenn die Angriffe das gesamte Peloton trafen. Hintergrund war das Vorgehen Israels im Gazastreifen und im Westjordanland, das auf internationalen Straßen auch in den Radsport hineingetragen wurde.
Damals hatten die Organisatoren die Verantwortung von sich gewiesen und betont, dass allein die UCI über einen Ausschluss des Teams entscheiden könne. Der Weltverband wiederum verurteilte die Proteste scharf, präsentierte aber keine Lösung. Stattdessen betonte man: „Die UCI verurteilt die Ausnutzung des Sports für politische Zwecke im Allgemeinen und insbesondere, wenn sie von einer Regierung ausgeht. Der Sport muss autonom bleiben, um seine Rolle als Instrument für den Frieden zu erfüllen.“
Nun aber sorgt eine Fahrerin selbst für einen politischen Aufreger. Chloé Dygert trat im WM-Zeitfahren der Frauen mit einem auffälligen Aufkleber auf der rechten Gabel ihres Rades an: „Ich stehe für die Wahrheit. Ich stehe mit Charlie Kirk.“ Auch wenn dies zunächst nicht in den TV-Bildern zu sehen war, machten spätere Fotos die Botschaft unübersehbar. Damit brachte die US-Amerikanerin bewusst eine politische Dimension in den Wettkampf.
Charlie Kirk war ein rechtskonservativer US-Aktivist, bekannt für seine klaren Positionen gegen LGBT-Rechte, Abtreibung und Waffenkontrolle. Seine Nähe zu Donald Trump und seine offen fremdenfeindlichen und homophoben Aussagen machten ihn zu einer höchst umstrittenen Figur. Anfang des Monats war Kirk in den USA ermordet worden – ein Ereignis, das große mediale Aufmerksamkeit erhielt. Dygerts Bekenntnis „Ich stehe für die Wahrheit“ war damit weit mehr als nur eine persönliche Botschaft, sondern eine bewusste politische Stellungnahme.
Besonders brisant: Der Ethikkodex der UCI untersagt explizit jegliche Handlungen, die auf diskriminierende Weise die Würde von Personen oder Gruppen verletzen. Dygerts Auftritt könnte damit klar gegen die Regularien verstoßen. Hinzu kommt, dass die Fahrerin bereits in der Vergangenheit wegen kontroverser politischer Ansichten in die Schlagzeilen geraten war. Die Frage steht im Raum: Wird die UCI diesmal reagieren – oder bleibt es wie bei der Vuelta bei scharfen Worten ohne Konsequenzen?