Die Saison 2025 von
Lorena Wiebes war wohl ihre bislang dominierendste. Mit 25 Siegen gewann sie mehr Rennen als jede andere Fahrerin oder jeder Fahrer im Profipeloton, meist in ihrer typischen Manier: indem sie auf Flachankünften alle im Sprint überflügelte. Doch je weiter das Jahr voranschritt, desto klarer wurde, dass die 26-jährige Niederländerin ihre Horizonte erweitern will.
Mehr als nur eine Sprinterin?
„Ich will mehr sein als nur eine Sprinterin“, sagte Wiebes vergangenen Monat dem Ride-Magazin – ein Satz, der die jüngste Phase ihrer Karriere prägt. Sie hat unzählige Male bewiesen, dass sie mit deutlichem Abstand die stärkste Sprinterin im Peloton ist, arbeitet jedoch daran, vielseitiger zu werden.
„Sie ist mehr als eine Sprinterin. Was sie macht, ist unglaublich“, sagte Wiebes’ Agent Andre Boskamp kürzlich im Gespräch mit
Cycling Weekly.
Wie Boskamp betont, ist es nicht nur die Masse an Erfolgen (sie hat bereits 118 Profisiege), sondern auch deren Bandbreite.
„Sie ist sehr impulsiv“, so Boskamp weiter. „Sie braucht Herausforderungen – das ist Lorena.“ Boskamp hat in seiner Laufbahn rund 130 Radsportlerinnen und -radsportler sowie olympische Eisschnellläufer betreut, doch Wiebes sei einzigartig. „In meiner ganzen Karriere habe ich niemanden kennengelernt, der professioneller ist als sie.“
Rückblickend auf ihre Entwicklung seit dem ersten Treffen verweist Boskamp vor allem auf die mentale Seite. „Mental ist sie sehr, sehr, sehr, sehr stark geworden. Sie schaut, was sie tun kann, um immer besser zu werden. Tatsächlich zieht sie in den Süden der Niederlande, nach Limburg, damit sie für hügeliges Terrain trainieren kann, und so weiter. Das ist Lorena.“
Diese Arbeit trägt bereits Früchte. Bei der Vuelta a Burgos Féminas im Mai überraschte Wiebes viele, als sie an einer sechsprozentigen Rampe attackierte und
Elisa Longo Borghini sowie
Lotte Kopecky im bergauf Sprint distanzierte. „Hügel-Etappen sind für sie inzwischen kein Problem mehr.“
Wiebes selbst spricht offen darüber, sich außerhalb des Sprints verbessern zu wollen, um die Motivation hochzuhalten. „Ich brauche diese Herausforderung“, sagte sie zu Ride. „Ich glaube, das ist es, was mich im Radsport länger weitermachen lässt. Würde ich mich nur auf Sprints fokussieren, wäre es irgendwann vorbei damit.“
Wiebes wechselte 2023 von DSM zu SD-Worx
Der Vergleich mit einer weiteren niederländischen Größe
Wie Wiebes war auch Kirsten Wild die Frau, die es auf Flachankünften zu schlagen galt. Sie gewann 109 Profirennen in ihrer Karriere, verfolgte den Erfolg jedoch mit einer anderen Haltung. „Vielleicht war das eine Stärke, dass ich immer daran zweifelte, ob ich gut genug war – also musste ich schneller fahren“, sagte Wild. „Ich hatte immer die Motivation, härter, schneller zu fahren.“
Auf Wiebes’ Dominanz angesprochen, ist Wild eindeutig. „Sie ist dominanter, als ich es je war. Ich war in etwa auf Augenhöhe mit Ina-Yoko Teutenberg, Marianne Vos und Giorgia Bronzini, es war also nie sicher, dass ich gewinne. Es war immer eine von uns. Ich denke, Lorena steht aktuell über allen Sprinterinnen.“
Welchen Rat kann Wild Wiebes geben, um die Motivation langfristig hochzuhalten? „Ich liebte, was ich tat, und ich glaube, das ist eines der Hauptdinge, vielleicht das wichtigste. Ich habe mich ständig herausgefordert. Sie fährt Gravel, Bahn und Straße. Sie liebt den Sport, und ich denke, das ist auch ihre Stärke.“
Mit jedem weiteren Sieg stellt sich stärker die Frage nach dem Vermächtnis. Manche Stimmen nennen sie bereits die beste Sprinterin aller Zeiten, doch Boskamp betont, dass Wiebes daran nicht denkt. „Nein, nein, nein. Damit ist sie nicht beschäftigt. Für sie ist jedes Rennen neu. Auf jedes Rennen ist sie fokussiert.“
Der Blick nach vorn bleibt klar: weiter gewinnen. „Vielleicht versucht sie nächstes Jahr, 30 Siege zu holen. Darüber hinaus schaut sie auf die Olympischen Spiele und die Weltmeisterschaften 2028.“