"Fünf Wochen sind zu kurz für eine gute Vorbereitung" - Tom Dumoulin warnt Visma vor Giro-Tour-Risiko

Radsport
durch Nic Gayer
Freitag, 20 Juni 2025 um 12:00
jonasvingegaard simonyates
In etwas mehr als zwei Wochen beginnt in Lille die Tour de France 2025 – mit einer Neuauflage der großen Rivalität: Kann Jonas Vingegaard das Maillot Jaune von Tadej Pogacar zurückerobern? Der Däne kehrt als Speerspitze eines personell wie strategisch tief aufgestellten Teams Visma - Lease a Bike zurück. Doch ausgerechnet in dieser Stärke verbirgt sich eine potenzielle Schwäche – meint Tom Dumoulin.
Denn mit Wout Van Aert, Simon Yates und Edoardo Affini bringt Visma gleich drei Giro-Finisher an den Start. Ein riskanter Plan, war der Giro d’Italia 2025 doch erst am 25. Mai zu Ende – nur fünf Wochen vor der Tour. „Das ist eine Grauzone“, sagt Dumoulin im Gespräch mit Wielerflits. „Damals [2018] lagen sechs Wochen dazwischen. Diese eine Woche hat für Froome und mich den Unterschied gemacht.“
Auf dem Papier scheinen fünf Wochen ausreichend zur Erholung und zum Neuaufbau. Doch laut Dumoulin ist das Gegenteil der Fall: Nach zwei Wochen Regeneration bleiben effektiv nur ein bis eineinhalb Wochen für echtes Training, bevor bereits wieder getapert werden muss. „Das ist viel zu kurz“, urteilt der Giro-Tour-Zweite von 2018.

Mentale und körperliche Gratwanderung

Neben der körperlichen Belastung spielt laut Dumoulin auch die mentale Komponente eine große Rolle: „Zwei Mal drei Wochen voll ans Limit gehen – das ist eine enorme psychische Beanspruchung. GC-Fahrer sind zwar hart im Nehmen, aber das frisst dich auf.“ Das gelte vor allem, wenn man wie Yates den Giro nicht nur überlebt, sondern dominiert hat.
Die gute Nachricht für Visma: Beide – Yates wie Van Aert – sind bei der Tour als Unterstützer eingeplant. Das senkt den Druck, jede Etappe auf Anschlag fahren zu müssen. „In Etappen, in denen sie nicht gebraucht werden, können sie sich zurücknehmen. Das reduziert die Ermüdung erheblich“, erklärt Dumoulin.
Simon Yates gewann auf poetische Weise den Giro d'Italia 2025
Simon Yates gewann auf poetische Weise den Giro d'Italia 2025

UAE mit "Superteam" – Visma mit Fragezeichen

Doch selbst wenn Vingegaards Helfer durchhalten: Der größte Prüfstein könnte das UAE Team Emirates - XRG sein. Pogacars Mannschaft bringt das womöglich stärkste Aufgebot seit der Sky-Ära an den Start: Joao Almeida, Adam Yates, Marc Soler, Pavel Sivakov, Tim Wellens, Nils Politt, Jhonatan Narváez und Domen Novak – allesamt kampfstark, viele in Topform.
Besonders Almeida zeigte sich bei der Tour de Suisse in überragender Verfassung. Nach Pogacars schwacher Teamunterstützung 2023 und Vingegaards Isolation 2024 treten diesmal beide mit voller Kapelle an.

Bürgerkrieg der Brüder Yates?

Ein besonderes Nebenduell könnte sich zudem zwischen den Zwillingsbrüdern Simon (Visma) und Adam Yates (UAE) abspielen. Beide in Helferrollen – aber sollten sich Rennsituationen öffnen, wäre ein Bruderduell á la Etappe 1 der Tour 2023 durchaus denkbar.

Evenepoel – Allein gegen die Giganten?

Und dann ist da noch Remco Evenepoel. Der Belgier wird die Tour mit dem schwächsten der drei Top-Teams bestreiten. Mikel Landa fällt verletzt aus, seine Helfer sind solide, aber nicht überragend. Evenepoel bringt das Talent, um mitzuhalten – aber fehlt es ihm an der Unterstützung, um wirklich zu dominieren.

Fazit: Die große Unbekannte

Letztlich läuft vieles auf eine entscheidende Frage hinaus: Wie gut kann Vingegaard sein – nach seinem schweren Sturz im Frühjahr – und wie sehr kann er sich auf seine Giro-geprüften Helfer verlassen? UAE wirkt eingespielter, frischer, homogener.
Doch wie Dumoulin betont: „Fünf Wochen sind einfach zu lang, um die Form zu halten – aber zu kurz, um wirklich neu aufzubauen. Das ist das Problem.“
Für Visma bleibt der Spagat zwischen Risiko und Routine – und ein ungewisses Warten darauf, wie viel Substanz die Giro-Beine noch hergeben.
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