„Der Radsport verschleißt seine Talente“ – TotalEnergies-Boss mahnt mehr Geduld mit jungen Profis an

Radsport
Dienstag, 11 November 2025 um 20:00
bernaudeau
Jean-René Bernaudeau warnt davor, dass der moderne Radsport seine Talente zu früh aufgibt. Die Besessenheit von Wunderkindern und schnellen Erfolgen, so der TotalEnergies-Teamchef, gefährde eine ganze Generation von Fahrern, die mehr Zeit zur Entwicklung brauchen.
In einem reflektierten Gespräch mit Cyclism'Actu setzte Bernaudeau dem Trend des „sofortigen Erfolgs“ ein klares Gegenbild – verkörpert durch Jordan Jegat, dessen Entwicklung die Geduld seines Teams belohnte.
„Der Radsport ist immer auf der Suche nach seltenen Perlen, aber Fahrer wie Paul Seixas sind die Ausnahme“, so Bernaudeau. „Wir dürfen einen 22-Jährigen nicht als ‚fertig‘ oder ‚gescheitert‘ abstempeln. In Frankreich gibt es rund 15 Ex-Profis in diesem Alter – das ist tragisch.“
Jegats Top-10-Platzierung bei der Tour de France 2025 war eine der Überraschungen der Saison – besonders für ein Team mit begrenzten Mitteln. Für Bernaudeau ist sie ein Beweis für das „Doppelprojekt“, das TotalEnergies seit 1991 verfolgt: Junge Fahrer sollen sich parallel sportlich und beruflich entwickeln, statt allzu früh in eine Richtung gedrängt zu werden.
„Jordan steht für all jene, die leicht übersehen werden“, sagt Bernaudeau. „Im Ausdauersport erreicht man seine Reife mit 25 bis 30 Jahren. Wer später kommt, darf nicht einfach aussortiert werden.“

Bernaudeau warnt vor einem Zusammenbruch des Amateurradsports

Über Jegats persönliche Erfolgsgeschichte hinaus schlägt Bernaudeau vor allem Alarm wegen des Zustands des französischen Unterbaus im Radsport. Die Amateurszene, lange Zeit eine Talentschmiede des Landes, stehe an einem kritischen Punkt.
„Die Pyramide des Amateurradsports droht einzustürzen“, warnt er. „Ohne Vereine gibt es keine Champions. In der Vendée haben wir Glück – hier gibt es Tradition, starke Strukturen, Freiwillige mit Herzblut. Doch das ist längst nicht überall so.“
Der Teamchef sieht die zunehmende Professionalisierung und den finanziellen Druck in der WorldTour als Gefahr – ein System, das immer kopflastiger werde und die Basis auszuhöhlen drohe. Kleine Teams und lokale Klubs kämpfen ums Überleben, während der Fokus immer stärker auf wenigen Ausnahmetalenten liegt.
Gerade deshalb hält Bernaudeau an den Grundwerten seines Projekts fest: Zusammenhalt vor Einzelinteressen.
„Wir setzen nie alles auf einen Star“, betont er. „Unsere Kapitäne, die im Verborgenen arbeiten, sind das Rückgrat des Teams – sie verdienen Anerkennung, auch wenn sie nicht im Rampenlicht stehen.“
JordanJegat
Jegat in Aktion bei der Tour de France

Blick auf das Leben nach TotalEnergies

Da TotalEnergies sein Sponsoring nach 2026 einstellen wird, bestätigte Bernaudeau, dass bereits Gespräche über die Zukunft des Teams laufen – konkrete Informationen wolle er jedoch erst preisgeben, wenn alles unterschrieben sei.
„Verhandlungen finden im Stillen statt“, sagte er. „Wenn es etwas zu verkünden gibt, werden wir es tun. Aber ja: Das Projekt wird weitergehen.“
Vorerst bleibt der erfahrene Teamchef fest auf die sportliche Weiterentwicklung seiner Mannschaft fokussiert. Der Durchbruch von Jordan Jegat, die zunehmende Konstanz von Emilien Jeanniere und der starke Zusammenhalt innerhalb des Teams bieten eine belastbare Grundlage für die kommenden Jahre.
„Wenn man gewinnt, belehrt man andere nicht – und wenn man Zweiter wird, hält man die Hoffnung am Leben“, so Bernaudeau. „Wenn wir im nächsten Jahr all jene ehren, die Siege erst möglich machen, dann wird die Saison schon ein Erfolg sein.“
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