Nur noch wenige Tage trennen uns vom Start der Vuelta a España 2025, und die Spannung steigt mit jeder Stunde. Wie immer ist die dritte Grand Tour des Jahres mehr als nur ein sportliches Spektakel – sie ist ein Härtetest für Körper und Geist. In diesem Jahr könnten die Fahrer allerdings zumindest in einer Hinsicht etwas entlastet werden: Der Großteil der Strecke führt durch die nördlichen Regionen Spaniens. Damit entgeht das Peloton den drückenden Hitzeschlachten Andalusiens oder der Mancha, die im vergangenen Jahr für fast unerträgliche Bedingungen sorgten. Dennoch bleibt die Vuelta ihrem Ruf treu: anspruchsvolle Anstiege, wechselhaftes Wetter und ein Terrain, das selbst die besten Fahrer auf die Probe stellen wird.
Zwei große Namen, ein Kontinent voller Erwartungen
Auf den vorläufigen Startlisten tauchen bereits einige große Namen auf, und zwei von ihnen stehen im Fokus ganz Lateinamerikas:
Richard Carapaz aus Ecuador und
Egan Bernal aus Kolumbien. Beide haben bereits Grand Tours gewonnen, beide besitzen das Talent, das Rennen zu prägen – und beide haben in dieser Saison eine sehr unterschiedliche Vorbereitung hinter sich. Während Carapaz mit seinem Podiumsplatz beim Giro d’Italia neue Zuversicht schöpfte, arbeitet Bernal kontinuierlich daran, nach Jahren voller Rückschläge seinen Platz in der absoluten Weltspitze zurückzuerobern.
Carapaz: Von einem schwierigen Frühling zum Giro-Podium
Richard Carapaz’ Saison verlief alles andere als geradlinig. Der 32-Jährige begann das Jahr mit enttäuschenden Resultaten – frühe Aufgabe bei der Etoile de Bessèges, ein 25. Platz bei der Classic Var, Rang neun bei der Tour des Alpes Maritimes. Auch bei Klassikern wie Strade Bianche und Tirreno-Adriatico, die seinem Profil eigentlich liegen, konnte er kaum Akzente setzen.
Doch beim Giro d’Italia wendete sich das Blatt. Carapaz steigerte sich von Woche zu Woche, gewann eine Etappe und zeigte in den Dolomiten und im Trentino wieder jene Kletterstärke, die ihn 2019 zum Giro-Sieger gemacht hatte. Nur taktische Fehler und eine missglückte Abstimmung mit Teamkollege Isaac del Toro verhinderten den ganz großen Coup. Am Ende stand ein dritter Platz in der Gesamtwertung – ein Ergebnis, das Mut macht, aber auch Fragen offenlässt. Seit dem Giro ist Carapaz kein Rennen mehr gefahren. Ob er mit frischen Beinen oder mit fehlendem Rennrhythmus zur Vuelta kommt, wird sich in den ersten Bergetappen zeigen.
Bernal: Das langsame, aber sichtbare Comeback
Egan Bernal hat einen anderen Weg eingeschlagen. Der Kolumbianer startete mit einem Paukenschlag in die Saison, als er sowohl das Zeitfahren als auch das Straßenrennen seiner Landesmeisterschaften gewann – ein historisches Double, das seit über 20 Jahren keinem Landsmann gelungen war.
Im Frühjahr tastete er sich über kleinere Etappenrennen heran: ein solider siebter Platz bei der Volta a Catalunya, ein erneuter siebter Rang beim Giro d’Italia. Noch wichtiger als die nackten Zahlen war aber die Art, wie Bernal fuhr: offensiv, mit Attacken in den Bergen und wieder in Reichweite von Etappensiegen. Sein sechster Platz bei der Vuelta a Burgos, speziell auf der Königsetappe zu den Lagunas de Neila, zeigte, dass er über drei Wochen konkurrenzfähig sein kann. Nach all den Verletzungen und Rückschlägen der vergangenen Jahre ist Bernal zurück auf einem Niveau, das ihn zu einem Mitfavoriten für das Podium macht.
Die Bühne ist bereitet
Für Carapaz und Bernal bedeutet die Vuelta 2025 mehr als nur ein weiteres Rennen. Es ist die Chance, ein durchwachsenes Jahr mit einem großen Erfolg abzuschließen und die Farben Lateinamerikas auf einer der größten Bühnen des Sports hochzuhalten. Beide haben realistische Chancen auf die Top 10 – und sollten sie im Verlauf der drei Wochen den richtigen Rhythmus finden, ist sogar ein Podium nicht ausgeschlossen.
Carapaz bringt die Erinnerung an seinen Giro-Erfolg mit, aber keine Rennkilometer seit Mai. Bernal kommt mit dem Schwung von Burgos und dem Vertrauen, wieder mit den Besten mithalten zu können. Gemeinsam verkörpern sie zwei Geschichten, die unterschiedlicher kaum sein könnten – und doch eint sie ein Ziel: Madrid im Roten Trikot oder zumindest auf dem Podium zu erreichen.