ANALYSE | Steht Mads Pedersen beim Giro d'Italia 2025 vor einer absoluten Spitzenleistung?

Radsport
durch Nic Gayer
Donnerstag, 15 Mai 2025 um 11:00
pedersen
Nach nur fünf Etappen beim Giro d’Italia 2024 ist Mads Pedersen bereits dabei, die Möglichkeiten für einen Klassikerfahrer bei einer Grand Tour neu zu definieren. Drei Etappensiege in den ersten fünf Tagen – darunter ein Sieg bei einer selektiven Bergankunft auf der 5. Etappe, bei der er das Maglia Rosa trug – markieren einen der explosivsten Starts eines Fahrers bei einer dreiwöchigen Rundfahrt in den letzten Jahren. Der 29-jährige Däne von Lidl–Trek ist in der Form seines Lebens, und angesichts von noch 16 ausstehenden Etappen stellt sich nicht mehr die Frage, ob Pedersen das Maglia Ciclamino (das Trikot des Punktbesten) gewinnen kann, sondern wie viele Etappen er noch holen wird – und wie weit ihn dieser Lauf tragen kann.
Die Königsetappe unter seinen bisherigen Erfolgen war zweifelsohne der Tag in Rosa – Etappe 5. Was zunächst wie eine für Sprinter machbare Zielankunft aussah, entpuppte sich als zermürbender Härtetest. UAE Team Emirates - XRG erhöhte das Tempo am letzten Anstieg und das Rennen zerfiel in Einzelteile. Sogar große Namen wie Wout van Aert und Antonio Tiberi wurden kurzzeitig abgehängt. 13 Kilometer vor dem Ziel wurde das Ausreißerduo Mattia Bais und Lorenzo Milesi gestellt, woraufhin ein chaotischer, nervöser Finalabschnitt begann.
Kurz nach der 4-Kilometer-Marke ließ Van Aert endgültig abreißen – ganz im Sinne seiner eigenen Einschätzung vor dem Start, nicht in Topform zu sein. Das Fehlen des klassischen 3-km-Regel-Bereichs für GC-Fahrer sorgte für zusätzliche Spannung. Primoz Roglic übernahm in Eigenregie die Kontrolle des Feldes, um möglichen Zeitverlust zu vermeiden. Zu diesem Zeitpunkt schien Pedersen plötzlich am Limit zu sein, sichtbar distanziert von der Spitze. Hatte er sich übernommen?
Doch der ehemalige Weltmeister kämpfte sich eindrucksvoll zurück. Einen Kilometer vor dem Ziel tauchte er wieder an der Seite von Mathias Vacek auf, der ihn perfekt zum Sprint brachte. Im Finale setzte sich Pedersen mit einem kraftvollen Antritt gegen Edoardo Zambanini und Tom Pidcock durch – sein dritter Sieg in fünf Tagen.
Bereits auf den Etappen 1 und 3 hatte Pedersen im Sprint triumphiert. Doch sein jüngster Erfolg in den Hügeln unterstreicht seine Vielseitigkeit: Er ist kein eindimensionaler Finisher, sondern ein kompletter Rennfahrer. Damit hat er seine bisherige Grand-Tour-Bestmarke von drei Etappensiegen (Vuelta 2022) bereits eingestellt – mit Aussichten auf mehr.
Ironischerweise ist Pedersens Start beim Giro überhaupt nur einem strategischen Schachzug seines Teams geschuldet. Lidl–Trek entschied sich, den letztjährigen Maglia-Ciclamino-Gewinner Jonathan Milan für die Tour de France zu schonen – eine Entscheidung, die sich nun als Geniestreich erweist. Pedersen ist der klare Favorit auf das Punktetrikot. Und mit weiteren Sprintetappen und welligem Terrain in Sicht ist es nicht vermessen zu fragen: Wie weit kann diese Formkurve noch steigen?

In bester Gesellschaft: Pedersen und die großen Grand-Tour-Leistungen

Wenn Pedersen seinen Lauf fortsetzt, werden Vergleiche mit den ganz Großen der Grand-Tour-Geschichte unausweichlich. Auch wenn der Däne nicht um die Gesamtwertung fährt, hat er das Rennen bisher geprägt wie nur wenige Sprinter vor ihm. Drei Beispiele aus der Historie zeigen, welche Fußstapfen er betritt – oder sogar ausfüllen könnte:

Bernard Hinault – Tour de France 1985

Hinaults fünfter Gesamtsieg war geprägt von einem schweren Sturz und einer Bronchitis – und dennoch kämpfte er sich durch. In Erinnerung bleibt nicht die absolute Dominanz, sondern der eiserne Wille. Pedersen teilt nicht Hinaults GC-Ambitionen, doch sein stoischer Auftritt am Berg lässt ähnliche Entschlossenheit erkennen.

Eddy Merckx – Tour de France 1969

Der Inbegriff der Grand-Tour-Dominanz. Sechs Etappensiege, Sieg in der Gesamt-, Punkte- und Bergwertung – in seinem ersten Tour-Start. Merckx’ Alleingang auf Etappe 17 ist Legende. Pedersen wird diese Vielfalt nicht erreichen, doch im Bereich Sprint und Konstanz ist er auf einem ähnlich historischen Kurs.

Mario Cipollini – Giro d’Italia 2002

Die Messlatte für Sprinter. Sechs Etappensiege bei einem einzigen Giro, dazu absolute Kontrolle auf flachen Etappen. Cipollini dominierte im hohen Alter und definierte den Giro-Sprint neu. Wenn Pedersen drei weitere Etappen gewinnt, wird ein Vergleich unausweichlich – bei vier Siegen könnte er Cipollinis Leistung sogar überflügeln.
Zur Erinnerung: Cipollini hält mit 42 Etappensiegen immer noch den Allzeitrekord beim Giro. Pedersen wird diese Marke nicht angreifen, aber die beste Sprinter-Performance seit 2002 ist für ihn durchaus in Reichweite.

Zwischen Rosa und Lila: Pedersens Einfluss auf das Rennen

Pedersen ist mehr als nur ein Etappenjäger. Die Tatsache, dass er das Rosa Trikot trägt, zeigt, wie komplett sein Giro bislang ist. Es ist unwahrscheinlich, dass er dies in den Hochalpen behalten kann, doch seine Rolle als Rennprägender ist unumstritten.
Gleichzeitig sind die Vergleiche mit Tadej Pogacars Giro-Triumph 2024 (sechs Etappensiege, fast 10 Minuten Vorsprung in der Gesamtwertung) natürlich eine andere Dimension. Pogacar ist ein Ausnahmeathlet mit Alleskönner-Gen. Doch in der Welt der Sprinter und Klassikerjäger steht Pedersen ganz vorne – vielleicht sogar vor einem historischen Meilenstein.
Mit weiteren Sprintetappen im Profil, seinem Selbstvertrauen im Rosa Trikot und der Möglichkeit, sein bisheriges Grand-Tour-Bestresultat deutlich zu übertreffen, könnte dieser Giro zur Karriere-Leistung des Mads Pedersen werden.
Drei Siege hat er bereits – doch wo liegt die Grenze? Vier? Fünf? Sechs? Wenn er weiterhin so auftritt, ist nicht nur das Maglia Ciclamino sicher, sondern vielleicht auch ein Platz in den Geschichtsbüchern des Giro d’Italia.
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