Zwischen Hoffnung und Druck: Visma-Fahrer will das Karriereende verhindern

Das Team Visma | Lease a Bike ist in der Breite wie in der Spitze außergewöhnlich stark besetzt – schon allein ein Platz im Kader erfordert absolute Topform. Julien Vermote konnte sich diesen für 2026 jedoch nicht sichern und steht derzeit ohne Vertrag da. Noch ist nichts entschieden, aber die Zeit wird knapp.

„Man weiß immer, dass das Team letztendlich entscheidet, aber es war eine kleine Überraschung. Jeder im Team sagte, dass sie zufrieden mit meinen Leistungen und allem drumherum waren – doch irgendwann müssen Entscheidungen getroffen werden“, erklärt Vermote im Gespräch mit Domestique. „Ich habe mich bei Visma wohl gefühlt und wusste, dass ich für das Team wertvoll bin, aber sie haben sich für jüngere Fahrer entschieden. Die Kommunikation war fair und transparent, und das schätze ich sehr.“

Der Belgier kam nach einer schwierigen Phase im Amateurbereich 2024 zurück in die WorldTour und überzeugte sofort. Als zuverlässiger Arbeiter und erfahrener Rouleur trug er zwei Jahre lang entscheidend dazu bei, die Kapitäne von Visma in wichtigen Rennmomenten zu schützen.

Und der 35-Jährige ist überzeugt, dass er weiterhin auf höchstem Niveau abliefern kann: „Wenn ich nächstes Jahr weitermachen will, dann weil ich von meinem Wert überzeugt bin – weil ich weiß, dass ich noch etwas leisten kann und die Leidenschaft nicht verloren habe. Aber wenn man ständig unter Druck steht, schaltet man nie ab – dann leidet irgendwann auch die Leistung.“

Doch es ist nicht das erste Mal, dass der Belgier im November – während die meisten WorldTour-Profis eine wohlverdiente Pause genießen – um seine Zukunft bangen muss.

„Beim zweiten Mal, als ich erneut in letzter Minute ohne Vertrag dastand, war es völlig verrückt“, erinnert sich Vermote. „Ich musste wieder auf Amateurlevel zurück, aber ich war fest entschlossen und überzeugt, dass sich eine Chance ergeben würde. Beide Situationen haben mir viele Lektionen fürs Leben mitgegeben. Im Radsport denkt man, Teil einer großen Familie zu sein – doch sobald man draußen ist, ist man draußen …“

Die Motivation ist dennoch ungebrochen:

„Mein Ziel ist nicht einfach, nächstes Jahr irgendwo im Peloton zu bleiben. Ich möchte ein guter Fahrer sein – einer, der seinem Team echten Mehrwert bringt. Ich bin überzeugt, dass ich das weiterhin kann.“

Die Marktsituation macht es jedoch nicht leichter: Durch die Fusion von Intermarché – Wanty und Lotto, die für Vermote potenziell neue Arbeitgeber hätten sein können, ist die Anzahl belgischer Top-Teams sogar kleiner geworden – Konkurrenz und Unsicherheit dagegen größer denn je.

Doch diesmal steht Vermote vor einer neuen, sehr modernen Hürde: In einem Radsport, in dem UCI-Punkte mehr denn je darüber entscheiden, wer bleibt und wer geht.

„Kleinere Teams setzen auf junge Fahrer, die Punkte einfahren sollen. Die großen Teams wiederum suchen Helfer für ihre Top-Leader. Und genau dort sehe ich meinen Wert“, erklärt Vermote. „Sie wissen, dass ich Erfahrung habe und dass man mich die ganze Saison über zuverlässig einsetzen kann. Heute bin ich konstanter als früher – und man kann jungen Fahrern ja nicht vorwerfen, dass ihnen diese Konstanz erst noch fehlt. Es braucht eine gute Mischung: Routiniers, die die Talente führen und ihnen etwas beibringen.“

Ein Wechsel in die Kontinental-Kategorie kommt für ihn dennoch nicht infrage:

„Nein, das mache ich nicht. Theoretisch ginge es, aber diese Phase meines Lebens ist vorbei. Wenn ich weitermache, dann auf einem anständigen Niveau – nicht nur, um irgendwie beschäftigt zu sein. Ich habe ja genug andere Optionen neben dem Radsport.“

Mit einem leichten Lächeln ergänzt er: „Gemeinsam mit meinem Bruder betreibe ich ein sportmedizinisches Zentrum in Kortrijk, außerdem führen wir mit meinem Schwager ein Fahrradgeschäft. Wenn es vorbei ist, gibt es noch ein anderes Leben.“