Der langjährige Sportdirektor von
Team Jayco AlUla,
Matt White, hat nach seiner überraschenden Entlassung im Sommer erstmals Stellung bezogen – und ein düsteres Bild vom Zustand des Profiradsports gezeichnet. White warnte eindringlich, dass der Sport „kaputt“ sei, solange die Teams fast ausschließlich von Sponsoren abhängig bleiben.
Der Australier, der das Projekt seit seinem WorldTour-Debüt 2012 über 14 Jahre hinweg prägte, erklärte im Gespräch mit Cyclist, dass die Tour de France die Struktur des Sports nach wie vor dominiere. „Wir sind zu 90 Prozent von Sponsoren abhängig“, so White. „Es gibt keine Rückvergütungen aus den TV-Einnahmen und nur minimale Einnahmen aus Merchandising. Selbst wenn man das erfolgreichste Team der Welt ist – zieht der Sponsor ab, steht man vor dem Aus.“ Reformen wie „One Cycling“ hält er für schwer umsetzbar, solange die Tour eine „eigene, unangreifbare Einheit“ bleibe.
Eine Ära bei Jayco AlUla
Über die genauen Umstände seines Abgangs wollte sich White nicht äußern. Teambesitzer Gerry Ryan kommentierte lediglich: „Wenn man immer dasselbe tut, kommt auch dasselbe dabei heraus.“ White selbst betonte jedoch, stolz auf das Erreichte zu sein: „14 Jahre lang war das Team ein großer Teil meines Lebens. Wir sind 2012 direkt in die WorldTour eingestiegen und haben eine Erfolgswelle erlebt.“
Unter seiner Leitung gewann Jayco rund 300 Rennen, darunter vier Monumente, Podiumsplätze bei Giro und Tour sowie Simon Yates’ Vuelta-Sieg 2018. Besonders stolz zeigte sich White auf Yates’ Giro-Triumph 2025 – auch wenn dieser bereits in den Farben von Visma-Lease a Bike kam: „Wir haben Simon und Adam Yates aus der U23 geholt. Sie waren viele Jahre das Rückgrat unserer Mannschaft.“
Mega-Budgets und Superteams
Neben seiner eigenen Laufbahn sprach White offen über die wachsende finanzielle Kluft im Peloton. „Wenn man starke Sponsoren hat, ist das ein klarer Vorteil. Früher stiegen Möbelhäuser ein, heute ganze Nationen“, so White. „Team Sky hat den Trend mit einem 30-Millionen-Pfund-Budget begonnen. Heute arbeiten Mannschaften wie UAE Emirates XRG mit mehr als dem Doppelten.“
Eine Gehaltsobergrenze hält White grundsätzlich für sinnvoll, aber schwer durchsetzbar. „In einem globalen Sport mit Teams und Fahrern aus zig Nationen ist das logistisch extrem kompliziert“, meinte er.
Kritik am Punktesystem
Auch das seit einigen Jahren etablierte Abstiegssystem sieht White kritisch. „Das Punkteranking verzerrt die Realität. Zwischen Mailand-Sanremo und Lüttich gibt es so viele Punkte, dass es die Klassikerspezialisten bevorteilt.“
Ein Beispiel aus der Praxis: „Wir gewannen 2024 insgesamt 25 Rennen, darunter Tour- und Vuelta-Etappen, und lagen am Ende nur auf Platz 14 der Rangliste. Nur sieben Teams hatten mehr Siege. Für einen Sponsor zählen Siege – nicht Punkte. Ich könnte Ihnen heute nicht sagen, wer im Ranking Dritter wurde, und ich bin seit Jahren in diesem Sport.“
Neue Wege abseits des Radsports?
Wie es für ihn persönlich weitergeht, ließ White offen. Eine Rückkehr in die WorldTour sei möglich, aber nicht sicher. „Wenn es 2026 noch einmal passiert, muss die Entscheidung bald fallen – ab Oktober beginnen die Planungen, im Dezember die Trainingslager.“ Gleichzeitig denkt er über Alternativen nach: „Ich habe großes Interesse am Hochleistungssport allgemein. Vielleicht führt mich die nächste Herausforderung in eine andere Disziplin.“
Vorerst bleibt Whites Vermächtnis bei Jayco AlUla ein Jahrzehnt voller Erfolge – und eine mahnende Stimme, dass die Zukunft des Radsports gefährdet bleibt, solange das Fundament des Sports allein auf Sponsoren ruht.