Tadej Pogacar hat den Radsport in den letzten Jahren geprägt wie kein Zweiter. Zwei Gesamtsiege bei der
Tour de France, ein Triumph beim Giro d’Italia – und dazu zwölf Etappensiege allein im vergangenen Jahr. Seine Überlegenheit wirkt beinahe unantastbar. Doch ist eine noch größere Dominanz möglich? Könnte Pogacar 2025 gar zehn Etappen bei der Tour de France gewinnen?
Cyrille Guimard, ehemaliger Sportdirektor und einer der erfahrensten Radsport-Analysten Frankreichs, blickt differenziert auf die Ausgangslage. „Letztes Jahr hätte es auch anders laufen können. Vergessen Sie nicht die schweren Stürze, bei denen diejenigen starben, die zu Recht als Favoriten galten – Remco Evenepoel, Jonas Vingegaard, Primoz Roglic“, erinnert Guimard im Gespräch mit
Cyclism'Actu. Für ihn steht fest: Die Stärke der Gegner ist diesmal größer, die Unsicherheiten aber bleiben.
Alles spricht für Pogacar
Vor allem die taktische Ausgangslage habe sich verändert. „Pogacar hat jetzt eine viel stärkere, erfahrenere Mannschaft. Die Mannschaft von Vingegaard hingegen scheint etwas schwächer zu sein“, analysiert Guimard. Skeptisch zeigt er sich bei Evenepoel: „Solange er nicht gelernt hat, mit Steigungen über sechs Prozent umzugehen, wird er nicht im Rennen sein. Es sei denn, er hat speziell dafür trainiert.“
Viele Experten rechnen mit einem direkten Duell zwischen Pogacar und Vingegaard um das Maillot Jaune. Doch Guimard warnt vor Vereinfachungen: „Der Radsport ist nie so linear. Stürze, Rückschläge, taktische Fehler – all das gehört dazu. Jeder kennt heute die Wattwerte der anderen. Sogar die der Helfer.“
Auch die Streckenkenntnis ist umfassender denn je. „Die Route ist analysiert bis ins letzte Detail – in 3D, mit GPS, aus der Luft per Drohne. Wir wissen sogar, wo die Kreisverkehre liegen. Überraschungen? Vielleicht durch einen Moment der Unachtsamkeit.“
Die letzte Unbekannte?
Ein Element aber bleibt für Guimard unberechenbar: „Der Wind. Wie ich immer sage: Radfahren ist wie Segeln. Es dreht sich alles um den Wind. Vielleicht sage ich das zum letzten Mal: Der Wind ist der einzige Faktor, der die Dinge ins Wanken bringen kann.“
Was aber wäre, wenn alles für Pogacar läuft? „Er hat letztes Jahr sechs Etappen gewonnen, das Gleiche beim Giro 2024. In diesem Jahr gibt es zehn, elf Etappen, die ihm liegen“, sagt Guimard. „Könnten wir einen gierigen, kannibalischen Pogacar erleben?“
Seine Antwort bleibt vorsichtig. „Ich mag mich irren, aber ich sehe nicht, wie ein einzelner Fahrer zehn Etappen gewinnen könnte. Und ehrlich gesagt, würde das das Ende der Tour de France bedeuten. Wenn es so aussähe, würden die Leute ihn bitten, etwas kürzer zu treten.“
So stellt sich am Ende nicht nur die Frage nach Pogacars Form – sondern auch nach dem Gleichgewicht des Sports selbst.