Die 16. Etappe der
Vuelta a Espana sollte als jener Tag in Erinnerung bleiben, an dem
Egan Bernal seine lange erwartete Rückkehr an die Spitze der WorldTour bestätigte. Der Kolumbianer, der vor drei Jahren nach einem schweren Trainingssturz fast sein Leben verlor, bewies auf den letzten Metern unglaubliche Stärke: Er zog an Mikel Landa vorbei und überquerte als Etappensieger die Ziellinie. Es war sein erster Sieg bei einer Grand Tour seit 2021 – ein Triumph, der an den tiefsten Punkten seiner Genesung kaum vorstellbar schien.
Doch Bernals Erfolg vollzog sich in bemerkenswerter Stille. Es gab keinen Siegesgruß, keine Podiumszeremonie und keine jubelnde Menge am Gipfel. Pro-palästinensische Demonstranten hatten den letzten Anstieg nach Castro de Herville blockiert, wodurch die Organisatoren gezwungen waren, die Etappe acht Kilometer vor dem geplanten Ziel zu verkürzen. Sicherlich benötigen Demonstrationen eine Bühne, um Aufmerksamkeit zu erzielen, und die Welt hat wichtigere Probleme als den Radsport. Dennoch wird die Sicherheit der Fahrer damit zunehmend zum zentralen Thema. Nach der Neutralisation der 11. Etappe in Bilbao markierte Bernals Tag erneut einen Moment der Störung – und erneuerte die Frage, ob die Vuelta sicher bis Madrid fortgeführt werden kann.
„Es ist natürlich großartig für Egan Bernal, die Etappe zu gewinnen, oder?", kommentierte Johan Bruyneel im TheMove-Podcast. „Nach all den Schwierigkeiten, die er nach seinem schrecklichen Unfall hatte, ist ein Etappensieg fantastisch. Aber es ist nicht dasselbe Gefühl. Es gibt keinen Siegesgruß, kein Podium, keine jubelnden Zuschauer. Trotzdem bleibt es ein Sieg."
Sein Co-Moderator Martin fügte hinzu: „Das Ende fühlt sich an wie eine feuchte Decke, Johan, mit dem Protest." Trotz der äußeren Störungen bleibt Bernals Leistung ein Meilenstein – ein beeindruckender Beweis für Willenskraft, Talent und die Fähigkeit, sich selbst unter schwierigen Bedingungen durchzusetzen.
Ein Sieg ohne Feier
Für Egan Bernal war der Etappensieg trotz aller äußeren Umstände ein bedeutender Moment. „Ich meine, irgendjemand musste gewinnen, und Egan Bernal hat es geschafft. Daher freue ich mich wirklich für ihn, dass er wieder auf der obersten Stufe stehen konnte", kommentierte Johan Bruyneel. Dennoch hinterließ die Art des Sieges gemischte Gefühle bei den Radsportfans: Ein Sprint zu einem improvisierten Banner am Ende eines Anstiegs ersetzt selten das Drama eines echten Zielankommens mit jubelnder Menge, Podium und Siegeszeremonie.
Besonders bemerkenswert war der Umstand, dass auch
Mikel Landa nach einer Rückenverletzung zurückkehrte, die er sich auf der ersten Etappe des diesjährigen Giro zugezogen hatte. Sowohl Landa als auch Bernal hatten sich von schweren Verletzungen zurückgekämpft und hatten sich auf einen sportlichen Showdown bis zur Ziellinie gefreut. Der Protest und die Neutralisation des Finales raubten ihnen diese Möglichkeit, was den Sieg für Bernal zwar wertvoll, aber in gewisser Hinsicht auch unvollständig machte.
„Es gab unglaublich viele Faktoren, die das Rennen beeinflusst haben, und es war im Grunde unmöglich für die Organisatoren und selbst die zusätzliche Polizei, die Situation vollständig zu kontrollieren", erklärte Bruyneel. „Daher denke ich, dass es eine sehr kluge Entscheidung war, den Zieleinlauf dort zu platzieren, wo er letztlich stattfand. Zunächst dachte ich, vielleicht werden einfach die Zeiten genommen und es gibt erneut keinen Etappensieger. Doch dieses Mal wurde anders gehandelt."
Bernal und Landa hatten zuvor die Ausreißer auf der vorletzten Rampe distanziert und sahen dann zu, wie das Finale durch die Proteste praktisch verpuffte. Die Fahrer kämpften sich über Steigungen von 17 bis 18 Prozent, drängende Zuschauer säumten die Hänge, doch einen klaren Gipfelpunkt gab es nicht. "Die Fahrer mussten Zickzack über die Straße fahren. Es waren 17-18 % Steigung", schilderte Bruyneel den brutalen Anstieg, der den Tag sportlich entschied.
Beeindruckend waren vor der Unterbrechung auch Nico Denz, der sich fast gegen die Favoriten behauptete, sowie die jungen Talente von Groupama-FDJ. „Nico Denz hätte beinahe eine Bergetappe gewonnen – sehr stark", sagte Co-Moderator Martin. „Und der FDJ-Fahrer Brieuc Rolland war erneut nah dran. Er wurde schon auf der 12. Etappe Dritter, und heute beeindruckte er erneut mit nur 22 Jahren."
Bruyneel hob zudem einen weiteren Namen hervor: „Braz Afonso, ebenfalls von Groupama-FDJ, war heute bis kurz vor dem Finale mit Bernal und Landa unterwegs, ehe ihn ein Reifenschaden stoppte." Die Leistung der jungen Fahrer deutet darauf hin, dass in den kommenden Etappen noch viele Überraschungen warten.
Vingegaard stabil in Rot
Egan Bernal gewann eine unterbrochene Etappe der Vuelta a Espana 16
In der Gesamtwertung konnte
Jonas Vingegaard sein Rotes Trikot erfolgreich verteidigen, doch der Tag war nicht ohne Tücken. Ein mechanischer Defekt zwang ihn, kurzfristig auf das Rad eines Teamkollegen umzusteigen – ein Szenario, das an einen berühmten Zwischenfall bei der Tour de France 2022 erinnerte. Diesmal überstand er die Situation jedoch ohne gravierende Konsequenzen.
„Jonas Vingegaard hatte ein Problem mit seinem Rad – ein Platten oder ein anderer Defekt. Er nimmt das Rad eines Teamkollegen, genau wie bei der Tour 2022. Ben Tullett steigt sanft ab, schiebt Vingegaard an, und er kommt ziemlich gut wieder ins Rennen, fährt dann bis zur Ziellinie", erklärte Martin. „Wir sehen, dass es ihn nicht stört, ein fremdes Rad zu fahren, und dass er es so souverän meistert, dass es keinerlei Probleme gibt", fügte er hinzu.
Trotz des Zwischenfalls bleibt Vingegaard mit einer Gesamtzeit von 61:16:35 an der Spitze.
Joao Almeida folgt nur 48 Sekunden dahinter, Tom Pidcock liegt als Dritter bei 2:38 Rückstand, Jai Hindley auf Rang vier bei 3:10, und Giulio Pellizzari auf Platz fünf mit 4:21. Felix Gall, Matthew Riccitello, Sepp Kuss, Torstein Træen und Junior Lecerfkomplettieren die Top Ten.
Die Tiefe von Visma bleibt beeindruckend: Kuss rangiert mit 5:46 Minuten Rückstand auf Rang acht, Jorgenson auf Platz elf mit 8:52 Minuten. Die Teamkontrolle steht in starkem Kontrast zu den zunehmenden Rissen im UAE-Team um Almeida, doch der Portugiese hat weiterhin Chancen, das Rote Trikot zu übernehmen.
Die taktischen Rätsel der UAE
Die UAE haben ihren Kapitän erneut isoliert. „Er hätte an dieser Stelle nicht in der Ausreißergruppe sein dürfen. Sie brauchen keinen weiteren Etappensieg. Jetzt muss der Fokus darauf liegen, Jonas Vingegaard und Visma unter Druck zu setzen", kommentierte Johan Bruyneel die Entscheidung von Marc Soler, sich den Ausreißern anzuschließen.
Wann werden die VAE Almeida vollständig zurücknehmen?
„Sie haben nur noch sechs Fahrer im Feld", fügte er hinzu, nachdem João Almeida durch Krankheit und Stürze geschwächt wurde. Der Portugiese wurde in den entscheidenden Momenten immer wieder gestellt. "Von jetzt an darf niemand mehr in die Ausreißergruppe, wir bleiben bei unserem Leader und unterstützen ihn konsequent", erklärte Bruyneel.
Gleichzeitig betonte er, dass Soler grundsätzlich eine wichtige Rolle in den Ausreißergruppen spielen sollte: "Er war für den Etappensieg vorgesehen. Ich verstehe nicht, warum diese Fahrer immer wieder in Ausreißergruppen fahren dürfen. Das ist verwirrend und strategisch nicht nachvollziehbar."
Die wiederholten Attacken aus der Ferne haben Almeida anfällig gemacht. „Die Ausreißer sind zu einem Problem geworden. Sie erschweren die Arbeit der UAE erheblich", erklärte Bruyneel weiter. Die Situation verdeutlicht, wie schwierig es für Almeida ist, sich in der Gesamtwertung zu behaupten, wenn die Teamstruktur und die Strategie nicht optimal aufeinander abgestimmt sind.
Visma hingegen profitiert von einer klaren Teamkontrolle, während die UAE weiter daran arbeiten müssen, ihre Taktik zu straffen und die Kräfte ihrer verbleibenden Fahrer besser einzusetzen.
Das Problem der Proteste
Früher dominierten taktische Diskussionen das Gespräch rund um die Vuelta a Espana. Heute jedoch haben die Proteste die Agenda vollständig verschoben: Sicherheit und Schutz der Fahrer stehen nun klar im Vordergrund.
„Sollte das Rennen abgebrochen werden? Sollten sie einfach abbrechen, wenn keine sichere Strecke gewährleistet werden kann?" fragte Martin. Johan Bruyneel antwortete unverblümt: „Das ist durchaus eine Option. Wenn die Sicherheit der Fahrer gefährdet ist und man sie nicht garantieren kann, gibt es meiner Meinung nach nicht viele Alternativen."
Er wies darauf hin, dass trotz starker Polizeipräsenz das Geschehen nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte. „Heute war schon viel Polizei im Einsatz, und dennoch konnten sie es nicht handhaben. Ich befürchte, dass diese Bewegung nur noch größer wird."
Die Gefahr weiterer Unterbrechungen ist real. „Morgen geht es wieder in dieselbe Gegend, auf dieselben Straßen wie heute. Wenn sie es heute nicht in den Griff bekommen haben, was wird die gleichen Personen morgen davon abhalten, wieder einzugreifen?" fragte Bruyneel. Auch Zeitfahren könnten Zielscheiben werden. „Es gibt nichts Leichteres, als ein Zeitfahren zu stören, weil die Fahrer dort praktisch leichte Beute sind", warnte er.
Logistik, TV und das Erlebnis der Fans
Die abrupt verlegte Ziellinie führte zu logistischem Chaos. „Es sind zwei Fahrzeuge pro Team im Rennen, alle anderen stehen oben. Sie haben es nicht nach unten geschafft. Ein totales Chaos", erklärte Bruyneel.
Auch das Fernsehprodukt litt. „Das Problem beim TV ist, dass das Rennen erst übertragen wird, nachdem die entscheidenden Szenen passiert sind, und dann wird der letzte Teil abgebrochen. Das ist das schlechteste Fernsehprodukt, das man haben kann", kommentierte Martin.
Die Fragilität des Straßenradsports wird damit deutlich. „Vieles hängt von der Kommunikation zwischen Fans und Fahrern ab. Stürmt die Strecke nicht, denn wir können euch nicht wirklich aufhalten, wenn ihr es wollt", bemerkte Martin. Bruyneel warnte für die Zukunft: „Wir werden in Zukunft wahrscheinlich mehr Rundstreckenrennen sehen, Spencer. Etwas, das vollständig kontrollierbar ist."
Was kommt als Nächstes?
In der Gesamtwertung bleibt es spannend. Almeida hat weiterhin Chancen auf das Rote Trikot, Hindley ist nah am Podium, und Pidcock liefert weiterhin seine bisher beste Grand-Tour-Leistung. Doch die Ungewissheit überschattet das Rennen zunehmend: Werden die Etappen wie geplant beendet?
„Es ist ein Dämpfer für das Rennen, wenn man denkt: 'Wir wissen nicht, was heute passiert wäre, und werden es nie herausfinden'", sagte Martin. Madrid verspricht ein großes Finale, doch jeder erfolgreiche Protest ermutigt weitere Aktionen. „Morgen geht es wieder bergauf… was wird die gleichen Leute morgen davon abhalten, das Gleiche zu tun?"
Für Egan Bernal markierte die 16. Etappe die lang ersehnte Rückkehr auf das Siegerpodest. Für die Vuelta insgesamt ist es eine Erinnerung daran, dass die Austragung 2025 weniger durch die Anstiege als durch die Fragen abseits der Straße geprägt sein könnte. Sicherheitsfragen und politische Proteste werden so zu zentralen Faktoren, die das Rennen in einer bisher ungekannten Weise definieren.