„Sie müssen an Stress, Wut und Rückschlägen arbeiten“ – Jens Voigt über Remco Evenepoels Baustellen nach dem Red Bull-Wechsel

Radsport
Freitag, 08 August 2025 um 15:30
evenepoel
Nach der offiziellen Bestätigung, dass Remco Evenepoel ab 2026 für Red Bull – BORA – hansgrohe an den Start gehen wird, hat sich Ex-Profi und Radsportexperte Jens Voigt ausführlich zu Wort gemeldet. In einem Gespräch im Echelon Cycling Podcast analysierte der 52-Jährige nicht nur das Potenzial des belgischen Superstars – sondern auch die Herausforderungen, die mit dem Wechsel einhergehen.

Zwischen Genie und Instabilität

Evenepoel gehört mit zwei WM-Titeln im Zeitfahren und zwei olympischen Goldmedaillen zu den erfolgreichsten Fahrern seiner Generation. Doch Voigt sieht noch Luft nach oben – vor allem in Sachen Konstanz und Führungsstärke.
„Er muss lernen, mit Stress, Frust und schlechten Momenten besser umzugehen“, sagte Voigt. Seine Aussagen bekommen nun, nach Bekanntgabe des Transfers, zusätzliche Brisanz. Evenepoels sportlicher Wert steht außer Frage – doch Voigt warnt davor, die Begleiterscheinungen eines solch hochkarätigen Wechsels zu unterschätzen.

„Heiß oder kalt“ – Voigt über Grand Tour-Bilanz

Ein zentrales Thema war Evenepoels bisherige Bilanz bei Grand Tours. Voigt rechnete nüchtern vor: „Er hat sechs Grand Tours bestritten. Eine hat er gewonnen, einmal wurde er Dritter, einmal Zwölfter – und dreimal ist er ausgestiegen. Das sind 50 Prozent Ausstiege.“ Für Voigt ein klares Zeichen: „Es ist entweder heiß oder kalt.“
Dabei ließ der frühere CSC-Kapitän aber keinen Zweifel an Evenepoels Talent: „Wir hätten alle für einen seiner Siege getötet“, scherzte er. Besonders beeindruckt zeigte er sich von dessen Comeback-Qualitäten bei der Tour de France 2024: „Er führte das Rennen, brach ein, blieb aber im Spiel, kämpfte sich durch – und hätte fast noch zwei Etappen gewonnen. Das ist ein starkes Zeichen.“

Führungsstärke als Schlüssel zum Respekt

Doch für Voigt zählt nicht nur die sportliche Leistung, sondern auch die mentale Reife. Besonders in einem Team, das bei Grand Tours auf Gesamtsieg fährt, sei Führungsstärke entscheidend.
„Wenn du willst, dass sich deine Helfer für dich zerreißen, musst du ihnen zeigen, dass du es wert bist“, so Voigt. „Du willst ihren Respekt? Dann steh nach einem schlechten Tag wieder auf, richte dich auf – und fahr weiter.“
Es sei diese Fähigkeit zur Selbstüberwindung, die Champions auszeichne. Nicht die Siege allein, sondern wie man sich nach Niederlagen verhält. „Das Team will sehen, dass du leidest wie sie“, sagte Voigt. „Sie haben auch Salatblätter gegessen und ihre Familien in Höhentrainingslagern vermisst.“

„Er macht das Team interessanter“ – Voigt über Evenepoels Wechsel

Obwohl das Interview noch vor der offiziellen Bekanntgabe aufgezeichnet wurde, sprach Voigt bereits offen über den bevorstehenden Wechsel: „Sehr, sehr wahrscheinlich wussten Remco und das neue Team längst Bescheid – aber sagen durften sie es erst im August.“
Mit der Bekanntgabe sei nun klar: Evenepoel wird das Gesicht von Red Bull – BORA – hansgrohe. Und das sei laut Voigt eine spannende Entwicklung: „Er macht das Team definitiv interessanter. Mit ihm zu arbeiten, dürfte nicht langweilig werden.“
Besonders seine Vielseitigkeit hebt Voigt hervor: „Er kann auch Il Lombardia gewinnen – ein Fahrer, der Klassiker und Rundfahrten auf Topniveau fährt, ist ein seltenes Gut.“

Zweifel bleiben: Reicht es für das ganz große Ziel?

Doch trotz aller Lobeshymnen bleibt Voigt kritisch. Gerade in Hinblick auf die langfristige Strategie von Red Bull – BORA – hansgrohe stellt er Fragen: „Wahrscheinlich hat man im Januar gesagt: 'Okay, Primoz Roglic wird 35 – wir brauchen den nächsten Leader.' Das ergibt Sinn.“
Gleichzeitig warnt Voigt: „Aber wenn du drei von sechs Grand Tours aufgibst – wirst du dann das Team wirklich stärker machen?“ Diese Frage wird Evenepoel in den kommenden Jahren beantworten müssen.
Denn in einem Team mit Tour-de-France-Ambitionen zählt am Ende vor allem eins: Beständigkeit. Und die wird – so Voigts Fazit – das entscheidende Element sein, wenn aus dem Wunderkind ein echter Kapitän werden soll.
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