Neilson Powless sorgte Anfang April für eine faustdicke Überraschung: Bei
Dwars door Vlaanderen ließ der Amerikaner niemand Geringeren als
Wout Van Aert hinter sich – im Sprint, auf Terrain, das sonst die Klassiker-Könige dominieren. Ein Moment, der nicht nur Powless selbst, sondern die gesamte Radsportwelt staunen ließ.
Für den 28-jährigen
EF Education-EasyPost-Profi war es mehr als nur ein Sieg. Es war ein Wendepunkt. Der Mann, der einst als Rundfahrt-Hoffnung galt, ist endgültig zum Eintagesspezialisten gereift – und zu einem, der auch im tiefsten belgischen Frühling bestehen kann.
Im Gespräch mit Velo blickte Powless auf seine frühen Jahre zurück. „Ich dachte, ich würde ein GC-Fahrer werden“, sagt er. „Ich war ein Allrounder, ganz ordentlich im Zeitfahren. Also dachten die Teams, ich solle auf die Gesamtwertung gehen.“ Doch der Weg nahm eine andere Richtung – nicht durch Zufall, sondern durch Erfahrung.
Die Kehrtwende kam bei der Tour de France 2022. Besonders die legendäre 5. Etappe über das Pflaster von Paris-Roubaix öffnete Powless die Augen. „Vorher dachte ich, man müsse 90 Kilo wiegen, um sich auf Kopfsteinpflaster wohlzufühlen. Aber das stimmt nicht.“ Statt Masse zählt für ihn nun Stil und Fitness. „Es geht darum, wie du trittst und wie stark du bist.“
Diese Erkenntnis veränderte alles – sein Training, seinen Fokus, seine Identität. Powless ließ die Rolle des Kletterers hinter sich. Er begann, die rauen Klassikerstraßen zu lieben. Bei der Flandern-Rundfahrt 2023 belegte er Platz fünf – das beste Ergebnis eines Amerikaners seit George Hincapie 2011. Ein Resultat, das sein Selbstbild neu definierte.
„Nach Flandern habe ich mich gefragt: Warum eigentlich nicht? Warum nicht voll auf Eintagesrennen setzen?“ sagte Powless. Die Antwort war klar: Genau dort liegt sein Potenzial – in harten, unnachgiebigen Rennen, bei denen Mut und Timing entscheiden.
Auch 2025 läuft es rund. Nach dem Triumph in Flandern zeigte er mit Rang sieben beim Brabantse Pijl und Platz 13 beim Amstel Gold Race erneut starke Leistungen. Jetzt richtet sich sein Blick auf Lüttich–Bastogne–Lüttich – mit Rückenwind und wachsendem Selbstvertrauen.
Powless' Überzeugung ist klar: Nicht der Körperbau, sondern die Form entscheidet auf dem Pflaster. „Wenn du richtig fit bist, fühlst du dich auf Kopfsteinpflaster sogar wohler als auf glattem Asphalt“, sagt er. Ein Satz, der seine neue Rolle perfekt beschreibt: Powless, der Taktgeber auf rauem Terrain.