Doping ist seit Jahrzehnten ein hartnäckiger Schatten des Radsports. Immer wieder markierten spektakuläre Enthüllungen und Skandale Meilensteine in der Geschichte dieser Sportart – auch wenn sie in den letzten Jahren seltener geworden sind. Doch auch heute noch werden Radprofis gelegentlich beim Einsatz verbotener Substanzen ertappt und mit Sperren belegt.
Was jedoch weit weniger diskutiert wird, sind die psychologischen und emotionalen Folgen, die solche Sperren für die betroffenen Sportlerinnen und Sportler haben. Die Konsequenzen beschränken sich nicht nur auf das Ende einer Karriere oder den Verlust von Erfolgen – oft hinterlassen sie auch tiefe persönliche Wunden.
Ein besonders erschütterndes Beispiel ist der Fall der Französin Marion Sicot, die 2019 beim Gebrauch des verbotenen EPO erwischt wurde. Die offizielle Sperre war nur die formale Strafe – die eigentlichen Folgen für Sicot waren weit gravierender. Die einst hoch gehandelte Fahrerin verlor nicht nur ihre Karriere, sondern geriet in eine Spirale aus psychischem Leid und persönlicher Krise.
In einem Interview mit L’Équipe schilderte die heute 33-Jährige ihre Verzweiflung:
„Ich war in meiner Blase eingeschlossen, der Radsport war mein Leben. Ich wollte auf dem Niveau der Besten fahren. Ich dachte: Alle anderen machen es, also versuche ich es auch.“
Sicot kämpfte zudem mit einem schweren Missbrauchsfall. Ihr damaliger Manager, der Belgier Marc Bracke, soll sie unter dem Vorwand, ihr Gewicht zu kontrollieren, gezwungen haben, ihm Unterwäschefotos zu schicken. Bracke wurde lebenslang gesperrt – und nahm sich 2022 das Leben.
Sicots Geschichte verdeutlicht nicht nur die zerstörerische Wirkung einer Dopingsperre, sondern auch die Komplexität des psychischen Traumas, das damit einhergehen kann:
„Es war, als ob eine Bombe auf mich gefallen wäre. Ich musste ganz allein damit fertigwerden. Ich existierte nur als Marion, die Radfahrerin. Von einem Tag auf den anderen war ich ein Nichts. Ich konnte mir ein Leben ohne Radfahren nicht vorstellen. Wären meine Lieben nicht gewesen, wäre ich nicht hier“, gestand sie.
Der beunruhigende Fall von Marion Sicot
Die Auswirkungen der Sanktionen: Ein Weg der Einsamkeit und Verzweiflung
Marion Sicot ist nur ein Beispiel dafür, wie Doping nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche von Sportlerinnen und Sportlern zerstören kann. In einer kürzlich von L’Équipe veröffentlichten Recherche berichteten mehrere französische Athleten über ihre Erfahrungen mit den Folgen einer Sperre – und machten deutlich, dass der Preis weit über verlorene Rennen hinausgeht.
So schilderte Paul Pogba, der in diesem Jahr wegen Dopings gesperrt wurde, wie sehr er darunter litt, seine Identität zu verlieren:
„Wenn du gesperrt wirst, wird dir alles genommen – sogar deine Rolle. Ehrlich gesagt war es, als wäre ich kein Fußballer mehr.“
Diese Worte beschreiben ein wiederkehrendes Muster: Eine Rückkehr nach einer Sperre ist selten unbelastet möglich. Selbst wenn Athleten ihre Strafe verbüßen, bleiben tiefe Narben. Der sportliche Wiederaufstieg ist meist unerreichbar, während der öffentliche Ruf und der hart erarbeitete Respekt schnell erodieren.
Für Marion Sicot kam die Rückkehr ins Peloton nie. Die Französin gibt offen zu, dass sie in ihrer dunkelsten Zeit kaum noch einen Sinn im Leben sah:
„Eines Tages wird ein wegen Dopings gesperrter Sportler Selbstmord begehen – so wie es mir fast passiert wäre.“
Ihre Aussage macht deutlich, was in der öffentlichen Debatte oft verschwiegen wird: Doping ist nicht nur ein Regelverstoß, sondern eine existenzielle Krise, die Betroffene psychisch an den Abgrund treiben kann.
Der Sportpsychologe Mattia Piffaretti warnt daher:
„Die Selbstmordgefahr ist beträchtlich. Doping muss nicht nur als körperliches, sondern als umfassendes psychisches Problem verstanden werden.“
Piffaretti fordert einen humaneren, mitfühlenderen Umgang mit suspendierten Athleten – und einen Diskurs, der nicht nur auf Strafe, sondern auch auf Prävention und Unterstützung setzt.